Mehr Artenschutz, weniger Risiko: Biodiversität im Fokus
Sie ist klein und hat doch großen Einfluss: die Biene. Als Bestäuber trägt sie einen großen Teil zum Erhalt der biologischen Vielfalt und damit zu einem funktionierenden Ökosystem bei. Fehlt die Biene, verlieren nicht nur Tiere Nahrung, sondern auch der Mensch. Das Bienensterben ist nur eines von mehreren physischen Risiken, die eine schwindende Biodiversität mit sich bringt. Es folgen weitere, etwa eine schlechtere Wasser- oder Bodenqualität. Denn das Verschwinden von immer mehr Tier- und Pflanzenarten verändert das Ökosystem. Das bestätigt auch der Global Risks Report 2022 des Weltwirtschaftsforums, der den Verlust der biologischen Vielfalt als eines der drei größten Risiken für die kommenden zehn Jahre einstuft.
Auch Unternehmen sind so gut wie ausnahmslos direkt oder indirekt von der Natur abhängig und damit von den Folgen durch Biodiversitätsverlust bedroht. Vor allem in Bereichen wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Viehzucht, da hier die Produktion von einem intakten Ökosystem abhängt. Andere Wirtschaftszweige wiederum haben negative Einflüsse auf die Natur und fördern den Verlust der Biodiversität: etwa der Energiesektor, das verarbeitende und das Baugewerbe, der Transportsektor, der Bergbau und die Rohstoffgewinnung.
Daher ist es umso überraschender, dass nur 29 der 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen einen Verlust der Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt (Biodiversität) als Geschäftsrisiko ansehen. Das ist eines der Ergebnisse des „KPMG Survey on Sustainability Reporting“ 2022, für den die Berichterstattung der jeweils 100 umsatzstärksten Unternehmen aus 58 Ländern ausgewertet wurde.
All diese Unternehmen sind Kunden von Finanzinstituten. Doch nicht nur dadurch rücken auch diese beim Thema Biodiversität ins Blickfeld: Inzwischen fordern auch die Aufsichtsbehörden, Biodiversität im Risikomanagement angemessen zu berücksichtigen. Der Verlust der Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt stellt damit in zweierlei Hinsicht ein Geschäftsrisiko für Finanzakteure dar.
Die richtige Metrik
Doch wie lassen sich Risiken in puncto Biodiversität überhaupt erfassen und bewerten? Beim Klimaschutz geht es hauptsächlich um die Reduzierung von CO2-Emissionen. Bei der Biodiversität dagegen sind die Ursachen und Treiber der Zerstörung von Ökosystemen vielfältig. Das macht das Risikomanagement komplexer.
Unterschiedliche Initiativen wurden inzwischen ins Leben gerufen, die an einem Rahmenwerk für die Messung und das Management naturbezogener Risiken arbeiten. Unter ihnen ist die „Taskforce Nature-related Financial Disclosures“ (TFND). Empfehlungen von TFND sind bereits öffentlich einsehbar – die endgültige Veröffentlichung des TNFD-Rahmens wird erst im September 2023 erwartet. Aufgrund der Komplexität des Themas sollten Finanzinstitute jedoch nicht darauf warten – sondern frühzeitig entsprechende Risikomanagement-Maßnahmen ergreifen.
Viele Risikotreiber
Grundsätzlich sind beim Verlust der Biodiversität physische Risiken und Übergangsrisiken (Transitionsrisiken) zu unterscheiden. Physische Risiken entstehen, wenn beispielsweise Ökosysteme gestört werden – etwa durch das fortschreitende Artensterben, das unter anderem zum Verlust von Insekten und Vögeln führt, die für die Nahrungsmittelproduktion von Bedeutung sind. Übergangsrisiken sind finanzielle Verluste, die direkt oder indirekt infolge des Anpassungsprozesses an eine umweltfreundlichere und nachhaltigere Wirtschaft entstehen können. Dieses Risiko könnte beispielsweise aufgrund unverhofft verabschiedeter politischer Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz, des technischen Fortschritts oder aufgrund von Veränderungen bei Marktstimmung und Präferenzen zum Tragen kommen. Finanzakteure müssen sämtliche Treiber dieser beiden Risikokategorien im Risiko-Scoring berücksichtigen.
Im Hinblick auf Übergangsrisiken müssen Finanzinstitute Länder und Regionen im Auge behalten, da je nach Land unterschiedliche Regeln zum Schutz der Biodiversität gelten, an denen sich Unternehmen orientieren. Finanzinstitute, die diese Unternehmen finanzieren, tragen indirekt das Risiko des Biodiversitätsverlusts mit, das entstehen könnte, wenn Firmen diese Regelungen missachten.
Auch der Import und Export von Waren gehört zu den Risikofaktoren bei der Biodiversität: Geht er umweltfreundlich vonstatten – oder trägt er zur Zerstörung der Natur und zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen bei? Davon können etwa EU-Handelsgenehmigungen abhängen. Nicht zuletzt stellt auch das Reputationsrisiko eine wesentliche Komponente dar, welche bei der Gegenüberstellung von Geschäft und Risiko einkalkuliert werden sollte.
So kann beispielsweise eine übermäßige Verschmutzung von Luft oder Wasser durch ein Unternehmen ansässige Arten gefährden und zu einer erheblichen Rufschädigung führen.
Viele Finanzinstitute haben Biodiversität bereits in ihre Risikotreiberanalyse aufgenommen, um zu untersuchen, ob die Folgen ihres Verlustes große Auswirkungen auf ihr Portfolio hat. Sie versuchen, Biodiversität ins Kreditscoring zu integrieren und im Stresstesting unterschiedliche adverse Szenarien zu simulieren, um eine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage bei der Kreditvergabe zu schaffen.
Transparenz Teil der Lösung
Neben den zentralen Herausforderungen, Transparenz über das eigene Risiko zu schaffen und regulatorisch auf dem Laufenden zu bleiben, sollten Banken und Finanzdienstleister über das regulatorische Mindestmaß im Punkt Biodiversität hinausgehen und Eigeninitiative an den Tag legen.
Veränderungen mögen zunächst im Kleinen beginnen, doch wenn wir eines von der Biene gelernt haben, dann vor allem auch, dass selbst kleine Dinge großen Einfluss haben können. Der Schutz der Biodiversität ist ein globales Thema, das jedes Portfolio betreffen wird. Weder Gesellschaft noch Politik oder Finanzakteure werden sich dieser Thematik entziehen können.