„Nicht mehr vorstellbar, dass digitaler Euro ausbleibt“
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Die Beratungsgesellschaft Roland Berger geht fest davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) sich für die Einführung eines digitalen Euro als Bargeld-Komplementär entscheiden wird. China schreite bei ihrer Einführung einer Central Bank Digital Currency (CBDC) in großen Schritten voran, da könnte Europa als Währungsraum nicht untätig bleiben, so Payment-Experte Sebastian Maus im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der EZB-Report zum digitalen Euro als Retail Coin sei breit gehalten worden und in der Konsultation hätten sich Zielkonflikte ergeben zu Datenschutz und Finanzstabilität. Aber angesichts schwindender Bargeldnutzung und des Wettlaufes der Regionen um die beste CBDC sei es „nicht mehr vorstellbar, dass der digitale Euro ausbleibt“. Wenn die Privatsphäre der Zahlung mit einer CBDC sichergestellt sei – und das sei technologisch möglich –, dann spreche nichts gegen den digitalen Euro als Bargeld-Komplementär.
Dabei sei zwar auch das kontobasierte Modell möglich, indem Limits für Depositenhöhe und Verzinsung gesetzt würden für die von den Banken verwalteten EZB-Wallets der Bürger. Maus rechnet aber mit der Einführung des tokenbasierten Modells, wo Guthaben auf das Smartphone geladen werden. Dieses Modell wird von der chinesischen Notenbank (PBoC) schon pilotiert: Dabei sorgen Banken dafür, dass neben der bestehenden Smartphone-Wallet eine weitere Wallet zur Verfügung steht, die mit Guthaben der DC/EP getauften CBDC gefüllt wird – analog würde das in Deutschland funktionieren mit Euro-Guthaben.
Maus geht davon aus, dass die EZB egal in welcher Konstellation keine direkte Kontoverbindung zum Retail-Sektor unterhalten wird und diese über Intermediäre aus dem Banken- und Fintechsektor angeboten werden inklusive regulatorischer Basisdienstleistungen für Konto- und Zahlungsverkehr wie KYC. Da ergäben sich dann Chancen für Fintechs als Third Party Provider mit Mehrwertdiensten in Wallet-Management und Payment.
Ob die EZB auch dem sogenannten „Giralgeld 2.0“ und damit dem programmierbaren Euro für den B2B-Zahlungsverkehr den Weg ebnen wird? Maus ist da skeptisch, auch wenn er von der Notwendigkeit dieser Funktionalität für die europäische Industrie (Stichworte Automatisierung und Machine-to-Machine-Payment) überzeugt ist. Die Banken würden derzeit prüfen, ob sie im Greenfield Approach eine komplette neue DLT-Infrastruktur aufsetzen oder auf dem bestehenden Backend-System des Massenzahlungsverkehrs aufsetzen und die Programmierbarkeit über einen separaten Layer abbilden (sogenannte Trigger-Lösung). Eine solche Trigger-Lösung hatten Bundesbank und Deutsche Börse kürzlich erfolgreich im Wertpapiermarkt getestet. Hier wurde das Settlement der Wertpapiertransaktion über DLT und das der zugrundeliegenden Zahlung über die konventionelle Zahlungsinfrastruktur durchgeführt. Die Investitionskosten einer komplett neuen Payment-DLT wären Maus zufolge jedenfalls überschaubar.
Sollte sich die EZB zu einer Unterstützung des Giralgeld-2.0-Modells durchringen, dann bliebe noch das Problem der Standardisierung. Schließlich kann kein Interesse daran bestehen, viele kleine Insellösungen einzelner Banken und Industrieunternehmen zu haben. Die Notenbank könnte Banken, Industrie und weitere Stakeholder beauftragen, einen solchen Standard zu entwickeln, schlägt der Experte vor. Das wäre auch eine Chance für deutsche Institute, einen Standard zu setzen für eine Infrastruktur, die perspektivisch alle geldseitigen Supply-Chain-Prozesse der Industrie abbilden könne. „Das wäre ein Riesenschritt.“
Allerdings sieht Maus hier auch einen Wettlauf mit der Zeit. Banken und Industrie sollten daher zusammenarbeiten, um erste Lösungen zeitnah in den Markt zu bringen. Wenn jeder abwarte, wie der andere reagiere, würden wir von Lösungen anderer Länder überholt. Gerade im B2B-Umfeld habe Deutschland eine sehr gute Ausgangsposition und solle diese auch nutzen. Bei Retail-Payments habe Europa den Anschluss schon verloren und mit der European Payment Initiative (EPI) vielleicht eine letzte Chance, sagt Maus. EPI soll als „Payment Scheme“ Karten- und Wallet-Zahlungen grenzüberschreitend verfügbar machen – und zwar auf einer gemeinsamen Infrastruktur und mit einheitlichem Funktions- und Serviceumfang. Damit können sich teilnehmende Banken einer gemeinsamen Tech-Plattform bedienen, um Kunden alle modernen digitalen Zahlungsdienste zu bieten. Das wäre dann auch für die derzeit so beliebten „Buy now, pay later“-Produkte von Fintechs wie Klarna der Fall. „Solche Funktionen könnten schnell reingeholt werden.“
Allerdings müssten Europas Banken für EPI Schätzungen zufolge einen hohen einstelligen Milliardenbetrag in die Hand nehmen. Maus plädiert dafür, diese Investitionen vorzunehmen, könnte EPI doch eine Lösung sein, um die Banken im Zahlungsverkehr vis-à-vis Bigtech wettbewerbsfähig zu halten: Der große Mehrwert liege in den aus Payment-Vorgängen entstehenden Daten. Außerdem sei es auch gar nicht so abwegig, zur Finanzierung von EPI Subventionen aus EU-Strukturfonds zu erhalten. Das sei von Anfang an von den Instituten, die im Zahlungsverkehr mit größeren Ertragsreduzierungen (z.B. aufgrund der Reduzierung der Interchange) zu kämpfen hatten, aufgebracht worden und es passe zu so einem ur-europäischen Projekt, da auch Mittel zum Beispiel aus dem Digitalfonds anzuzapfen, so Maus.
Der Showdown zum Budget-Schwur für (oder gegen) EPI dürfte im Herbst stattfinden. Maus wirkt optimistisch und hofft, dass in der Beurteilung der Entscheider die langfristigen Chancen die kurzfristige Perspektive überwiegen. Mit der Einführung des digitalen Euro und EPI stehe Europa im Jahr 2021 vor richtungsweisenden Entscheidungen über die Zukunft des Zahlungsverkehrs.