Wohlstand für alle bleibt das Ziel
Welche Zahl im Bericht zu den globalen Geldvermögen gibt vor allem Anlass zur Sorge? Ist es der Rückgang der Bruttogeldvermögen um 2,3%, den die Allianz für das laufende Jahr prognostiziert? Die niedrige Wertpapierquote, die in Westeuropa bei mageren 30% und in Deutschland bei 28% liegt? Oder das im Vergleich zu anderen Industrienationen eher bescheidene Geldvermögen in Deutschland, das pro Kopf netto nur gut ein Viertel so viel ausmacht wie der Wert in den USA?
Weder noch! Viel beunruhigender ist die nur noch schleppende Integration der bisher ärmeren Menschen in das System der privaten Geldvermögen. Gerade einmal rund 1,3 Milliarden Personen haben laut Schätzung im neuen Global Wealth Report der Allianz ein Nettogeldvermögen von umgerechnet jeweils mehr als 9700 Euro aufgebaut. Inklusive einiger Immobilienbesitzer, die komfortabel leben, aber auf dem Papier im Minus stehen, ist die Zahl der Menschen mit einem zumindest bescheidenen Wohlstand vermutlich noch etwas höher. Doch es ändert wenig am grundsätzlichen Befund: Die breite Mehrheit der Menschheit hat unterm Strich kaum Geldvermögen oder sogar Schulden. Die Hoffnung, dass Wirtschaftswachstum und Globalisierung einer wachsenden Zahl an Menschen einen zumindest kleinen Wohlstand bescheren, erfüllt sich augenblicklich nicht. Die weltweite Verteilung sei „eingefroren“, so die Allianz. Ganz zu schweigen von all jenen, die nicht bloß nicht vermögend, sondern in absoluter Armut ihr Leben bestreiten müssen.
Die Entwicklung ist ein Problem. Denn die Fürsprecher von Globalisierung und Wirtschaftswachstum stellen eine Teilhabe möglichst vieler Menschen in Aussicht – kommt hier nichts voran, fällt eine positive Sicht auf die Dinge schwer. Der Aufbau von Vermögen ist in der modernen Welt Voraussetzung für eine autonome Lebensplanung – je mehr dazu fähig sind, desto besser. Energiekrise und Inflation stehen diesem Ziel entgegen. Hatte zuvor der Kursrutsch an den Börsen vor allem das Vermögen wohlhabender Menschen geschmälert, so hindert die Inflation vor allem die Mittelschicht an der Geldanlage.
Doch es bleibt Raum für Optimismus. Wirtschaftswachstum ist weiterhin ein langfristig stabiles Phänomen, das absehbar bleibt. Mehr und mehr Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten Zugang zu Finanzdienstleistungen erhalten. Gerade der Aufstieg der Mittelschicht in China ist bemerkenswert, auch wenn der Unrechtsstaat sonst nur selten als Vorbild taugt. Langfristig gewinnen die Vermögen der Menschen in Schwellenländern auch relativ an Gewicht, lediglich die jüngere Vergangenheit zeigte hier Stagnation. Es gibt natürlich vieles, was die Perspektive trübt. Die grundsätzlichen Triebfedern für Wohlstand bleiben aber intakt. Es kommen wieder bessere Jahre.
In der Welt der Wohlhabenden lassen sich Geldvermögen natürlich auch kritisch deuten: Wohlstand trägt in besonders üppiger Fülle kaum noch zur Lebenszufriedenheit bei und kann im Sinne einer nachhaltigen Lebensweise sogar schädlich sein. Doch derartige Erwägungen setzen voraus, dass überhaupt erst einmal ein gewisser Wohlstand vorhanden ist. Die meisten Menschen sind davon weit entfernt. Wohlstand für alle bleibt ein erstrebenswertes Ziel.
(Börsen-Zeitung,