Ulrich Göres, Rechtsanwalt

Zu viele Schlupflöcher im Sanktionsgeflecht

Finanzkriminalität-Experte Ulrich Göres hält die wegen des Ukraine-Krieges verhängten Sanktionen für unzureichend. Oft sei nicht klar, wo einzufrierende Assets sind. Selbst wenn, hake es nicht selten an der Umsetzung.

Zu viele Schlupflöcher im Sanktionsgeflecht

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Um Schlupflöcher im Sanktionsgeflecht gegen Russland zu schließen, fordert Finanzkriminalität-Experte Ulrich Göres schärfere rechtliche Schwerter und einen besseren Informationsaustausch. Die von westlichen Staaten wegen des Überfalls auf die Ukraine verhängten Sanktionen samt Abkopplung von Banken vom Finanzinformationsdienst Swift seien ein guter Anfang, schöpften aber ihre Möglichkeiten nicht aus, sagt das Mitglied des sechsköpfigen Führungsgremiums der Anti Financial Crime Alliance (AFCA), einer Public-Private Partnership von Behörden, Banken und Unternehmen gegen Geldwäsche.

Die Sanktionen seien bei weitem nicht so effizient wie behauptet, sagt Göres im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Es ist ein Märchen, dass Vermögenswerte auch eingefroren werden, nur weil man eine Person sanktioniert hat.“ Denn das würde voraussetzen, dass bekannt ist, wer welche Vermögenswerte besitzt. Häufig genug sei genau das aber nicht der Fall, weil in der Vergangenheit viel zu wenig passiert sei, um Jachten, Villen und Hubschrauber von Oligarchen und anderen Helfershelfern des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu ermitteln.

Auch könnten die auf Konten und Depots schlummernden Finanzmittel von Banken oftmals nicht eingefroren werden, da die sanktionierten Personen im Verborgenen blieben. Zwar sind Banken gemäß der Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung verpflichtet, die wirtschaftlich Berechtigten von Konten und Depots zu ermitteln, jene natürlichen Personen also, die tatsächlich dahinterstecken. Ein altbekanntes Problem ist jedoch, dass die Nachforschungen bei irgendwelchen Briefkastenfirmen etwa auf den Virgin Islands, in Zypern oder auf der Isle of Man enden.

Wie einfach es sein kann, Sanktionen zu umgehen, zeigt das Beispiel des betroffenen russischen Oligarchen Alexej Mordaschow. Der Tui-Großaktionär hat seine über die firma Unifirm in Zypern gehaltenen Anteile an dem Reisekonzern an eine Gesellschaft übertragen, die auf den British Virgin Islands sitzt und seiner Gattin gehört. „Deutlicher kann man die Ineffizienz bestehender Regelungen nicht illustrieren“, sagt Göres. „Das ist ein völliges Versagen.“

London als Teil des Problems

Die Sanktionen von Europäischer Union und USA hält er für weitgehend deckungsgleich, hinter denen aber die von Großbritannien verhängten Maßnahmen weit zurückblieben. „Großbritannien und die britischen Überseegebiete waren und sind Teil des Problems und weniger Teil der Lösung, eben weil es diese Lokationen erlauben, mittels Briefkastenfirmen den tatsächlichen wirtschaftlich Berechtigten zu verschleiern“, kritisiert Göres. Noch offensichtlicher werde dies durch die Zurückhaltung der britischen Regierung, wenn es darum gehe, die in „Londongrad“ gehaltenen Vermögenswerte in Milliardenhöhe von durch EU und USA sanktionierte Personen einzufrieren. „In Großbritannien können Sie gegen eine Zusatzgebühr Immobilien mittels einer rechtlichen Konstruktion erwerben, ohne dass der wirtschaftlich Berechtigte genannt wird“, beklagt Göres. Besser gehe es aber auch hierzulande nicht zu. Schließlich sei es auch in Deutschland allen Anti-Geldwäsche-Paketen der vergangenen Jahre zum Trotz nach wie vor möglich, mittels rechtlicher Konstruktionen und ohne Einschaltung eines Notars Immobilien zu erwerben und dabei den wirtschaftlich Berechtigten in der Anonymität zu belassen.

Datenbündelung tut not

Auch wenn eine ganze Reihe deutscher Banken über spezielle Einheiten verfüge, die sich vorwiegend um Beobachtung, Auswertung und Aktualisierung von Daten bestimmter Kunden kümmerten, so bleibe es doch schwierig, die Assets sanktionierter Personen aufzuspüren, wenn diese Konten bei unterschiedlichen Banken führen. In der Regel wisse Bank A nichts von Assets ihres Kunden bei Bank B, sagt Göres. „Die zentrale Frage ist, wie man es schafft, die vorhandenen Informationen aus den einzelnen Instituten zusammenzuführen.“ Er plädiert dafür, staatlicherseits direkte Auskunftsersuchen an Bank zu richten, um so umfassendes Wissen über Vermögenswerte und Kontrollrechte von sanktionierten Personen zu erlangen. Diese Informationen sollten dann möglichst in einer staatlichen Institution gebündelt und verwahrt werden. Das dürfte sich nach seiner Erfahrung aber derzeit insbesondere aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken als schwierig erweisen.

Als beispielhaft in der Beschlagnahmung von mit illegalen Geldern erworbenen Assets bezeichnet er das Vorgehen Roms. Die dort geübte Praxis, beschlagnahmte Häuser, Jachten oder Flugzeuge ohne große Um­schweife in staatliche Hand zu überführen und durch Nutzung oder Verkauf sozialen Zwecken zukommen zu lassen, sei vom Europäischen Gerichtshof (EUGH) wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt worden (s. unten stehenden Artikel).

Zudem würden in Italien nicht nur Vermögenswerte der sanktionierten Person selbst vereinnahmt, sondern auch aus ihrem nächsten Umfeld, etwa von Ehefrauen und Kindern, welche diese Assets ebenfalls nutzten. Von „Sippenhaft“, wie das manche Kritiker dieses Vorgehens nennen, könne keine Rede sein, erklärt Göres. „Es ist äußerst bedauerlich, dass trotz aller bekannten Fakten diese Personen den Eindruck kreieren möchten, es bestehen unsagbar schwierige Rechtsfragen. Dies ist schlichtweg Unsinn.“

Beeindruckt ist Göres von der Zahl der Staaten, die nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine Taskforces aufgestellt haben, um die Vermögenswerte der sanktionierten Personen ausfindig zu machen und einzufrieren. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Hier kommt tatsächlich der weltweite Wille zum Ausdruck, diese Assets zu beschlagnahmen.“ Auch Deutschland ist mit einer Taskforce dabei. Sein Wunsch wäre, formuliert es Göres, dass diese sich zunächst um die Durchsetzung der verhängten Sanktionen kümmert und dann zu einer permanenten Institution geformt wird, um Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu unterstützen, insbesondere von Clans. Denkbar sei auch, dabei zu helfen, Vermögenswerte aus anderen Verbrechen, z.B. mit Verbindung zu Cum-ex-Geschäften, aufzuspüren.

Bei allen Schwierigkeiten, Immobilien, Luxuskarossen oder Schiffe von Oligarchen ausfindig zu machen, macht das internationale Recherchenetzwerk OCCRP vor, wie es gehen kann. Im „Russian Asset Tracker“ listet es aufgespürte Vermögenswerte schwerreicher Oligarchen-Freunde, politischer Weggefährten und anderer Steigbügelhalter des Despoten Putin auf. Aktueller Gesamtwert der bislang zugeordneten Immobilien und Mobilien: 17,5 Mrd. Dollar.

Die Hitliste führt Roman Abramowitsch an. Allein den Mindestwert der Assets des mit russischer, israelischer und portugiesischer Staatsbürgerschaft ausgestatteten Geschäftsmanns taxiert OCCRP auf der Homepage auf gut 8 Mrd. Dollar, darunter Kleinigkeiten wie ein Anwesen an der französischen Riviera im mutmaßlichen Wert von 89 Mill. Dollar oder ein Häuschen am Fuschlsee bei Salzburg von mehr als 15 Mill. Dollar. Oligarch und Putin-Buddy Oleg Deripaska werden 5,7 Mrd. Dollar zugeschrieben, angelegt in Assets wie einem Haus am Belgrave Square im Londoner Regierungsviertel Westminster (65 Mill. Dollar) oder drei Villen an der Costa Smeralda an der Nordostküste Sardiniens (gut 400 Mill. Dollar). Wladimir Solowjow, einer der besonders aggressiv gegen den Westen und die Ukraine wütenden Propagandisten Putins, verfügt OCCRP zufolge über Villen am Comer See in Norditalien im Wert von 1,2 Mill. Dollar. Die wurden mittlerweile von den italienischen Behörden konfisziert.

Endstation Briefkastenfirma

Gemein ist den meisten der von OCCRP gelisteten Besitztümer, dass sich ihre wahren Eigentümer hinter einer Front von (Briefkasten-)Firmen oder Stiftungen verlieren, oft genug registriert in Steuerparadiesen wie beispielsweise den British Virgin Islands, Liechtenstein oder der Kanalinsel Jersey – aber auch in New York. Der Wert dieser – sichtbaren – Assets wird aber nach Göres’ Einschätzung von dem der Gelder auf Konten und in Depots noch um ein Vielfaches übertroffen – alles schön verteilt in der Welt. Besonders hohe Vermögenswerte vermutet er etwa in London, wo eine Anhäufung des Reichtums von Oligarchen zu beobachten sei, weil sich die Stadt aktiv darum beworben habe, sowie in der Schweiz. Dort sollen Russen 150 Mrd. bis 200 Mrd. sfr in Banken gebunkert haben, schätzte der eidgenössische Bankenverband jüngst. Diversifizierung werde die Superreichen aus Russland auch dazu angetrieben haben, hohe Vermögenswerte beispielsweise in Dubai anzulegen, sei es in Immobilien oder in Investmentgesellschaften, die von dort aus ihre Gelder in die ganze Welt streuen.

Auch wenn gerade westliche Staaten als sichere Bank für schmutzige Gelder aus dem Osten dienten und mitunter noch immer dienen, hält Göres ihnen zugute, in den vergangenen Jahren einiges auf den Weg gebracht zu haben, um Geldwäsche zu unterbinden. „Es ist viel passiert, und eine Zentralisierung in Form von einheitlichen Regelungen in der EU zu etablieren, ergibt Sinn“, würdigt er die weiteren Bemühungen der EU, mit ihrem im Juli verabschiedeten Anti-Geldwäsche-Paket samt geplanter Behörde AMLA die Geldwäschebekämpfung EU-weit auf ein Maß befördern, das echte Fortschritte zeitigt.

Zugleich warnt Göres aber vor enormen Defiziten der EU. So sei z.B. der anonyme Erwerb von Immobilien mittels steuerlicher Konstruktionen ebenso weiterhin möglich wie der von Anteilen an börsennotierten Gesellschaften. Außerdem würden Transparenzregister, die wirtschaftlich Berechtigte erfassen, weiterhin national geführt, mit Kriterien, die dem Gusto des jeweiligen Staates entsprechen. Sie seien mithin in Europa nicht einheitlich. Angestrebt wird zwar, die national geführten Transparenzregister auf europäischer Ebene zu vernetzen, doch das sei noch Zukunftsmusik, sagt Göres.

Löschten etwa die Balten Gesellschaften gegebenenfalls aus dem Register, wenn die erfassten Daten nicht im Einklang mit der Realität stünden, mit der Folge, dass die jeweilige Firma nicht mehr fortgeführt werden könne, oder verhängten sie gegebenenfalls Freiheitsstrafen, so sei man davon in Deutschland „ganz weit weg“. Hier genieße das Transparenzregister bislang nicht einmal öffentlichen Glauben, sprich, wer Einblick nimmt, kann sich auf die Daten nicht verlassen.

Eine Aufgabe der AFCA sollte es Göres zufolge nun sein, die im Kanzleramt angesiedelte Taskforce und die dafür benannten Vertreter dabei zu unterstützen, die Umgehung der Sanktionen und damit einhergehende Geldwäsche zu verhindern. Der frühere Konzerngeldwäschebeauftragte von Deutscher Bank und HSBC Deutschland und nun als Rechtsanwalt tätige Göres hatte die AFCA 2019 mit ins Leben gerufen. Ihr gehören Vertreter von mehreren Dutzend Banken und Finanzdienstleistern, Vertretern des Nichtfinanzsektors, des Bundeskriminalamts, der Finanzaufsicht BaFin und der Financial Intelligence Unit (FIU) an.

Den Ausschluss mehrerer russischer Banken vom Zahlungsinformationsnetzwerk Swift begrüßt er. Allerdings fehlen auf der sieben Banken umfassenden EU-Sanktionsliste das größte russische Finanzinstitut Sberbank sowie die Nummer 3, Gazprombank, weil über sie die Zahlungen für Öl- und Gaslieferungen laufen. Um auch diese Schwergewichte von Swift abzunabeln, bedürfe es allerdings einer weitgehenden Entscheidung, nämlich kein Öl und Gas mehr aus Russland zu beziehen. „Es hätte massive Konsequenzen: Russland würde jeden Tag ein dreistelliger Millionenbetrag entgehen, wodurch die russische Wirtschaft wahrscheinlich kollabieren würde.“ Allerdings hält Göres es für unwahrscheinlich, dass der Westen sich dazu durchringt. „Um die Banken abzuklemmen, muss diese Entscheidung getroffen werden, und die sehe ich bislang nicht.“

Was die Fähigkeit von Banken angeht, Sanktionen zu überwachen und Geldwäsche zu verhindern, so geht er davon aus, dass sie derzeit personell am Limit arbeiten. „Dafür sind Spezialkenntnisse nötig. Die Zahlungen mit Russlandbezug werden angehalten, und dann muss geprüft werden, ob dem ein legitimer Zweck zugrunde liegt. Das setzt Einzelfallbetrachtungen voraus, und die sind enorm personalintensiv.“ Zudem würden sehr viele Banken von der Masse der Sanktionsmaßnahmen schlicht „erschlagen“.

Mindestwert der Assets von Putins Umfeld
Über diese Vermögenswerte verfügen sanktionierte Personen nachweislich
PersonVermögenswerte (in Dollar)
Roman Abramowitsch (Oligarch)8 Mrd.
Oleg Deripaska (Oligarch)5,7 Mrd.
Alischer Usmanow (Oligarch)3,4 Mrd.
Igor Setschin (CEO Rosneft) 120 Mill.
Igor Schuwalow (CEO Vnesheconombank)103 Mill.
Gennadi Timtschenko (Oligarch)71 Mill.
Denis Popow (Staatsanwalt Stadt Moskau)5,6 Mill.
Nikolai Tokarew (Präsident Transneft)4,8 Mill.
OCCRPBörsen-Zeitung
BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.