„Haben europapolitisch viel erreicht“
IM INTERVIEW: Anton Hofreiter
„Haben europapolitisch viel erreicht“
Der Vorsitzende des EU-Ausschusses des Bundstages zieht ein eher positives Fazit der Legislatur
Anton Hofreiter, der den EU-Ausschuss des Bundestages führt, zieht eine gemischte Bilanz: Trotz aller Schwierigkeiten sei in der nun zu Ende gehenden Legislatur europapolitisch viel erreicht worden, sagt der Grünen-Politiker. Er betont aber zugleich, dass Deutschland seiner Führungsverantwortung in Europa viel mehr gerecht werden müsse.
Herr Hofreiter, die Ampel-Regierung hatte sich 2021 ehrgeizige Ziele für eine Weiterentwicklung der EU gesetzt. Der europapolitische Teil im Koalitionsvertrag galt vielen als sehr fortschrittlich. Im Endeffekt wurden aber nur sehr wenige der dort genannten Projekte angegangen. Welche europapolitische Bilanz der zu Ende gehenden Legislatur würden Sie ziehen?
Nach Beginn des russischen Angriffskriegs haben wir unmittelbar mit unseren europäischen Partnern gegen den harten Widerstand von Orban Sanktionen gegen Russland beschlossen und die Ukraine umfassend unterstützt. Mit der Ukraine und Moldau wurden im vergangenen Jahr Beitrittsverhandlungen eröffnet. Mit Albanien wurden große Fortschritte in den Verhandlungen erreicht. Montenegro hat als erster Beitrittskandidat die Zwischenziele im Bereich Rechtsstaatlichkeit erfüllt. Bei allen Schwierigkeiten haben wir in den letzten Jahren europapolitisch viel erreicht.
Die Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren in Brüssel vor allem durch den berüchtigten German Vote aufgefallen – also Enthaltungen, weil man sich in Berlin nicht einig ist – oder durch das kurzfristige Infragestellen von eigentlich schon gefundenen europäischen Kompromissen. Stichwort: Verbrenner-Aus. Müsste Deutschland als größtes EU-Mitgliedsland nicht eine viel stärkere Führungsverantwortung zeigen?
In den letzten Jahren haben mir meine Kolleg*innen aus unseren europäischen Partnerländern deutlich gemacht, wie stark sie sich an einer deutschen Haltung orientieren. Das bedeutet nicht, dass sie unsere Sicht immer teilen, aber es ist eben ein Gradmesser für sie, wie Deutschland abstimmt. Ich habe versucht, das in den letzten Jahren immer wieder in die deutsche Debatte einzubringen: Deutschland muss Haltung zeigen und seiner Führungsverantwortung in Europa viel mehr gerecht werden.
Kritiker sagen, Deutschland habe durch die EU-Politik der Ampel-Regierung an Einfluss in Brüssel verloren. Sie als Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages führen auch viele Gespräche in Brüssel. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?
Nein, meine Gesprächspartner*innen blicken nach wie vor nach Deutschland – derzeit mit großer Sorge, wie es nach der Wahl weitergehen wird. Wenn der nächste Kanzler seine Verantwortung in Europa ernst nimmt und sich intensiv mit unseren Partnern – allen voran in Paris und Warschau – abstimmt, können wir unseren Einfluss weiterhin geltend machen. Die Gefahr besteht jedoch, dass ein Kanzler Merz die europäische Ebene nicht genügend im Blick haben wird.
Im aktuellen Wahlkampf ist die EU kein großes Thema – außer, es geht um Migrationspolitik und Bürokratieabbau. Woran liegt das?
Die Entscheidungsfindung in Brüssel ist sehr komplex. Viele verschiedene Akteure sind einbezogen und kämpfen um Einfluss. Das ist für die Bürger*innen oft nicht leicht zu überblicken. Trotzdem haben die Entscheidungen in der EU einen hohen Einfluss auf unser Leben: Sie sorgen für Verbraucherschutz, gerechtere Löhne und mehr Sicherheit. Das sollten wir immer wieder deutlich machen.
Welche europapolitischen Vorhaben sollte die nächste Bundesregierung ganz oben auf ihre Agenda setzen?
Angesichts des brutalen Angriffskriegs Putins in der Ukraine, dem aggressiven Agieren Chinas in der internationalen Politik und Trumps zweiter Amtszeit muss Europa noch viel eigenständiger werden. Es muss sich mehr um seine eigene Sicherheit bemühen und mit einer Investitionsoffensive für eine starke Wirtschaft sorgen, die im Handelskrieg bestehen kann und den Wohlstand der Bürger*innen sichert.
Die Fragen stellte Andreas Heitker.