Ein erster Schritt zu einer neuen Finanzlandschaft
Der lateinische Philosoph Seneca, nicht gerade als Optimist bekannt, schrieb seinerzeit, dass aus Schlechtem Gutes entstehen kann. Hoffen wir, dass dies auf die BaFin zutrifft, deren Ruf durch das Wirecard-Desaster zerstört worden ist.
Die Reform der BaFin ist für Europa genauso wichtig wie für Deutschland. Die Neuaufstellung der Behörde sollte daher als Vorstufe zur Stärkung der Marktregulierung und Governance in der gesamten EU gesehen werden – in einer Zeit, in der der Brexit mehr Verantwortung auf die Schultern der kontinentalen Finanzregulierer legt. Die künftige europäische Marktaufsicht – sei es eine erweiterte ESMA oder eine ganz neue Institution – braucht eine starke und angesehene deutsche Behörde als Mitglied.
Enger Fokus greift zu kurz
Die Führung der BaFin ist zurückgetreten, und ein neuer Präsident wurde gerade bekannt gegeben. Der Bundestag befasst sich nun mit einem Gesetzentwurf, der die Prozesse der Unternehmensprüfung verändern, die Rolle der Prüfstelle für Rechnungslegung abschaffen und die Befugnisse der Aufsichtsbehörde stärken würde. Diese Änderungen sind sinnvoll, aber ihr enger Fokus greift zu kurz. Die Gelegenheit, aus allen Lehren der Wirecard-Affäre zu lernen, wird möglicherweise verpasst. Trotz seiner Komplexität ist der Kern des Skandals einfach. Jahrelang nährten Marktgerüchte und Medienberichte den Verdacht, dass Wirecard seine Bilanzen manipulierte. Keine Aufsichtsbehörde sollte nur aufgrund von Gerüchten handeln, aber diese Signale hätten an zwei Fronten zum Handeln führen müssen. Erstens, um die Marktintegrität vor unbewiesenem und potenziell störendem Hörensagen zu schützen. Zweitens, um ohne den Schatten eines Zweifels zu klären, ob diese Gerüchte Substanz hatten. Sollten die Befugnisse der Behörde dazu nicht ausreichen, sollte sie sichtbare Signale an andere Behörden senden. Die BaFin bewegte sich nur an der ersten Front; sie ging sogar so weit, die zweite zu untergraben, indem sie rechtliche Schritte gegen die „Financial Times“ einleitete.
Als sich das Ausmaß des Problems abzeichnete, kamen einige deutsche Banken den Beschuldigten zu Hilfe, indem sie Kreditlinien anboten und günstige Börsentipps gaben, die die Gerüchte auf von Spekulanten verbreitete Falschinformationen zurückführten. Der Ruf des Bankwesens und die Stabilität dieser zum Teil selbst schon geschwächten Banken waren gefährdet.
Das Problem ist, dass die BaFin sowohl die Stabilität der Banken als auch die Integrität des Finanzmarktes überwacht. Dies ist eine Seltenheit. In der Eurozone gibt es nur in wenigen, kleinen Ländern eine Kombination dieser Aufgaben. In Deutschland sind die Banken in erheblichem Umfang am Unternehmenssektor beteiligt, und es gibt keine ausreichenden Schutzmechanismen gegen das Risiko, dass die Banken ihre eigene Stabilität untergraben, um Zombie-Unternehmen zu stützen, an denen sie beteiligt sind. Die gemeinsame Verantwortung der Aufsichtsbehörden führt zu einem Interessenkonflikt zwischen der Aufrechterhaltung der Marktintegrität und der Stabilität der Banken. Die BaFin argumentierte, dass Wirecard ein Fintech sei, also ein Geschäft, das sich ihrer Zuständigkeit entziehe, und dass die Unternehmenstochter Wirecard Bank aufsichtsrechtlich solide sei. Dies ist aber nicht der Fall. Die BaFin ist auch eine Marktaufsichtsbehörde, die für börsennotierte Unternehmen zuständig ist. Zudem wurden die weitreichenden Folgen der Affäre stark unterschätzt. Angesichts ihrer zentralen Rolle als deutsche Aufsichtsbehörde konnte die BaFin ihr Mandat nicht eng auslegen oder ignorieren, was jenseits ihres Zuständigkeitsbereichs geschah. Die aufsichtliche Engstirnigkeit ist nicht nur ein deutsches Problem; eine allzu kleinliche, risikoscheue Mentalität lässt Behörden oft zögern, einzugreifen, wenn ihre Verpflichtung dazu nicht absolut sicher ist. In Deutschland und anderswo sollte versucht werden, eine solche Tendenz zur Untätigkeit zu korrigieren.
Klare Abgrenzung tut not
Diese Überlegungen liefern Anhaltspunkte dafür, wie die Lehren aus Wirecard zu lesen sind und welche Reformen notwendig sind. Das kulturelle Problem sollte durch eine Kombination aus Klarheit im Mandat der Aufsichtsbehörde und der Einstellung von Personal – beginnend mit dem Führungsteam – mit entsprechendem fachlichem Hintergrund angegangen werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Transparenz und Integrität auf allen Ebenen liegen sollte. Die Stärkung der Unabhängigkeit der Institution von der Politik ist wichtig, aber nicht ausreichend. Sie kann sogar nachteilig sein, wenn sich die Kultur der Institution nicht ändert. Das Risiko, das sich aus dem Interessenkonflikt zwischen Bankenstabilität und Marktintegrität ergibt, kann nur durch eine klare Abgrenzung der beiden Zuständigkeiten behoben werden; vorzugsweise, indem sie in getrennten Behörden angesiedelt werden. Nach der Finanzkrise von 2007/2008 begannen die Zentralbanken, eine wichtigere Rolle als Bankenaufseher zu spielen. So ist die EZB auch eine Bankenaufsichtsbehörde. Anfängliche Befürchtungen, dass es zu Konflikten zwischen diesen Rollen kommen könnte, haben sich bisher nicht bewahrheitet. Die Rolle der Bundesbank als Aufseherin kann also ausgebaut werden. Die Risiken sind dabei geringer als bei einer Beibehaltung der unscharfen Trennung zwischen Banken- und Marktaufsicht.
Im Interesse von ganz Europa: Es lebe eine starke und seriöse BaFin. Ihre Mandate, ihre Kultur, ihre Rechenschaftspflicht und ihre Unabhängigkeit sollten gründlich überarbeitet werden, um sicherzustellen, dass die Aufsicht nie wieder den Blick für das große Ganze verliert und die Verantwortung dafür übernimmt.
Ignazio Angeloni ist Senior Policy Fellow am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE und Senior Fellow an der Harvard Kennedy School.
In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.