Ordnungspolitik

Die Krise setzt der Sozialen Markt­­wirtschaft zu

Mit dem zunehmenden Interventionismus hat sich der schleichende Abschied vom Erfolgsmodell deutscher Nachkriegsgeschichte, der Sozialen Marktwirtschaft, noch verstärkt. Dabei würde „Wohlstand für alle“ die Demokratie festigen.

Die Krise setzt der Sozialen Markt­­wirtschaft zu

Die Soziale Marktwirtschaft steckt in der Krise. Diese Diagnose ist nicht neu. Aber nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat sich die Lage verschlechtert. Das einstige Erfolgsmodell des deutschen Wirtschaftswunderlands steht noch stärker unter Druck. Der Weg der Ampel-Regierung und der EU-Kommission entfernt sich immer mehr davon. Hat der Markt als Wohlstand versprechendes Ordnungssystem ausgedient? Der Staat greift in der Energiekrise massiv in das Preissystem ein: bei der Beschaffung und beim Absatz. Dies soll die Inflation bremsen und die Verbraucher entlasten. Zum Krisenmanagement zählt auch die Verstaatlichung von Unternehmen.

Mit dem Ziel, „Wohlstand für alle“ zu schaffen, hatte Ludwig Erhard, politischer Vater der Sozialen Marktwirtschaft, im Geleit der Währungsreform 1948 die Fesseln staatlicher Kommandowirtschaft gesprengt. Wohlstand sollte nach dem Willen Erhards die Breite und Mitte der Gesellschaft erreichen – und nicht nur wie zuvor eine kleine Oberschicht. Erhard war so kühn, auf einen Streich zahlreiche Preisvorschriften und Bewirtschaftungsreglements abzuschaffen. Heftiger Widerstand schlug ihm entgegen. Wegen seiner Prognose, dass sich das zunächst anziehende Preisniveau mit wachsender Produktion normalisieren würde, wurde er erst als „unverbesserlicher Optimist“ verspottet und, wie er selbst schreibt, einige Monate später – als die Tatsachen ihm recht gaben – „zum ‚modernen Wirtschaftspropheten‘ befördert“.

Bekenntnis zum Wettbewerb

„Wohlstand für alle“ und „Wohlstand durch Wettbewerb“ gehörten für Erhard untrennbar zusammen: Das erste Postulat ist das Ziel, das zweite der Weg dorthin. Das Wohlstandsversprechen ist einer der zentralen Aspekte für den Zusammenhalt von Demokratien. Die Regierung, die Wohlstand verspricht und ihr Versprechen hält, hat gute Wahlchancen. Erfüllt werden kann das Wohlstandsversprechen aber weniger durch reine Umverteilung als vor allem durch Wachstum. Wachstum und Innovation entstehen durch – unbequemen – Wettbewerb.

Heute ist von diesem Bekenntnis zum Markt und zum Wettbewerb wenig übrig geblieben. Der Krisenmodus staatlicher Eingriffe in der Coronakrise ist nahtlos in Interventionen als Folge des russischen Kriegs in der Ukraine übergegangen. Mittendrin hat vor einem Jahr in Deutschland ein Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP die CDU-ge­führte große Koalition abgelöst. Von Richtungswechsel ist allerdings wenig zu spüren. Die Ampel-Regierung stehe so still wie zuvor die große Koalition, anstatt Versäumnisse der Vergangenheit zu beseitigen und Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. So formulierte es jüngst Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft. Man könne auch sagen, „weiter so mit mehr vom Gleichen“: mehr Sozialleistungen, mehr Schulden und mehr europäische Transfers.

Die zahlreichen, von der Regierung geschnürten Entlastungspakete haben eine Kehrseite. Finanziert werden sie durch ein enormes Schuldenpaket. Die vom Bundestag bewilligten Kredite von 400 Mrd. Euro erstrecken sich zwar über mehrere Jahre, übersteigen in der Summe aber das Volumen eines gesamten Bundeshaushalts. Die Ampel hat dabei die Fiskalregel „Schuldenbremse“ ausmanövriert. Künftige Generationen müssen diese Schulden zurückzahlen.

Entlastung für die einen bedeutete auch immer Belastung für andere, ruft Eilfort in Erinnerung. Es treffe diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gingen, Leistungen erbrächten, Steuern und Sozialabgaben zahlten und bei allem noch Eigenvorsorge betrieben. Die Transfers belasteten nicht nur die Mitte der Gesellschaft, sie vermittelten auch den irreführenden Eindruck, dass der Staat die Bürger vor sämtlichen Risiken schützen könne.

Zugegeben – in der Krise kann der Staat durch Eingriffe eine hilfreiche Brücke schlagen. In der Finanzkrise und in der Coronakrise hat die staatlich finanzierte Kurzarbeit es Unternehmen erlaubt, ihre Belegschaft zu halten. Nun soll die Gas- und Strompreisbremse hierzulande den externen Preisschock abfedern. Sie muss zeitlich begrenzt bleiben, wenn der Weg zurück in den Marktmechanismus führen soll. Wie dieser Ausstieg gelingt, ist unsicher. Formal ist die Hilfe befristet, doch wird die Ampel versucht sein, sie fortzusetzen, wenn nur das Geschrei laut genug ist. Bei den Energiepreisen zeigt sich, was staatlicher Interventionismus anrichtet: Die Signalwirkung des Preises geht verloren. Ein hoher Preis würde den Verbrauch drücken. Nun soll neben dem subventionierten Preis nur eine kleine, voll bezahlte Komponente den Anreiz setzen, Energie zu sparen. Der Erfolg ist zweifelhaft. Schon mahnt der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wegen des noch zu hohen Verbrauchs die Bürger zu mehr Disziplin beim Heizen.

Dass eine Intervention weitere nach sich zieht, ist nicht nur eine Lehrbuchweisheit. Die Ampel hat den Beweis geliefert. Manchmal geht der Schuss sogar nach hinten los. Die – zunächst anvisierte – Gasumlage sollte die hochgeschnellten Kosten weniger Importeure auf die Schultern aller Gaskunden verteilen. Die Gasumlage scheiterte aus anderen Gründen. Die als Folge der Umlage voreilig beschlossene Mehrwertsteuersenkung, die Lasten bei den Zahlern der Gasumlage teilkompensiert hätte, blieb bestehen.

Langer Arm des Staates

Der staatliche Interventionismus erstreckt sich weit in den Unternehmenssektor. Erhard setzte auf unternehmerische Freiheit und Privateigentum, weil damit persönliche Verantwortung verbunden ist. Er privatisierte Staatsvermögen: Preussag, Volkswagen und Veba. Verstaatlichung in der Krise ist nun wieder salonfähig – so beim Gasimporteur Uniper und der Ex-Gazprom-Tochter Sefe. Zwar konnte der Bund aus früheren Krisenbeteiligungen wieder aussteigen – wie in diesem Herbst bei der Lufthansa. Doch Anteile an der Commerzbank liegen seit der Finanzkrise immer noch beim Bund. Der Arm des Staates reicht inzwischen weit in unternehmerische Entscheidungen hinein. Große Firmen, die staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, müssen ein Dividenden- und Boni-Verbot akzeptieren. Für kleine Unternehmen gilt dies aus pragmatischem Gründen nicht. Der Staat will in Personengesellschaften keine gehaltsähnlichen Entnahmen blockieren – und könnte das Gebaren ohnehin nicht kontrollieren. Mit der staatlich dekretierten Ab­schöpfung von „Zufallsgewinnen“ im Stromsektor macht die Intervention auch vor dem Zugriff auf Erlöse nicht halt, ohne Kosten zu berücksichtigen.

Die Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft, unter der immer die Verknüpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialem Ausgleich zu verstehen war, hat Schlagseite bekommen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo ermittelte jüngst in einer Umfrage, dass 49% quer durch die Gesellschaft und alle Altersgruppen bei Sozialer Marktwirtschaft an „Fairness, Verteilung und soziale Absicherung“ denken. Nur 34% verbinden damit marktwirtschaftliche Begriffe. Der Fokus auf den sozialen oder marktwirtschaftlichen Aspekt lässt sich laut Ifo nicht durch Parteivorlieben oder soziodemografische Eigenschaften erklären. Die historischen Kenntnisse über die Soziale Marktwirtschaft sind gering, zeigte die Umfrage, die Zustimmung sei jedoch hoch. 75% der Befragten bewerten die Soziale Marktwirtschaft positiv. Wer könnte es Politikern verdenken, dass sie der Mehrheit folgen. Sie schauen auf Wählerstimmen. Es ist aber höchste Zeit, das Profil der Sozialen Marktwirtschaft wieder zu schärfen.

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