Energiemärkte

Europa drohen noch höhere Preise für Öl und Gas

Das Jahr 2022 war an den Energiemärkten von erheblichen Turbulenzen geprägt. Das neue Jahr dürfte in dieser Hinsicht nicht viel anders werden, zu rechnen ist erneut mit erheblichen Preissprüngen.

Europa drohen noch höhere Preise für Öl und Gas

Das Jahr 2022 war an den Energiemärkten durch erhebliche Turbulenzen geprägt, die im Wesentlichen von der Geopolitik, aber auch von anderen politischen Entscheidungen verursacht worden sind. Das neue Jahr dürfte in dieser Hinsicht nicht viel anders werden, zu rechnen ist erneut mit erheblichen Preissprüngen. Insbesondere europäische Nachfrager dürfen mit großen Problemen in der Versorgung mit Erdgas und Erdöl rechnen.

Die Knappheit von Erdgas ist nach wie vor an den Preisen abzulesen, trotz der aktuell recht gut zu deutlich mehr als 80% gefüllten Speicher innerhalb der EU. Mit derzeit etwas mehr als 92 Euro je Megawattstunde im europäischen Spothandel ist der Energieträger fast fünfmal so teuer wie vor zwei Jahren, wenngleich er sich von seinem im Jahresverlauf erreichten Allzeithoch von mehr als 300 Euro wieder entfernt hat. Gründe dafür sind das fast vollständige Versiegen der Lieferungen russischen Erdgases per Pipeline als eine Folge des neuen Ost-West-Konflikts, dessen Hauptschauplatz momentan der Ukraine-Krieg ist. Hinzu kommen die Folgen der europäischen Energiepolitik, die einerseits in der Erdgasversorgung auf die kurzfristigen Marktkräfte gesetzt und sich gegen langfristige Lieferverträge positioniert hat.

Andererseits hat die EU in der Begrenzung der Folgen des Klimawandels den Anteil regenerativer Energien stark hochgefahren, die sich aber als unzuverlässig herausgestellt haben. All diese Faktoren werden auch das neue Jahr prägen. Die Nord-Stream-Pipelines sind zerstört, eine Versorgung Europas mit russischem Gas über die Ukraine oder die Türkei ist kaum möglich, zumal sich ein weiterer Konflikt um den Kosovo abzeichnet, der Lieferungen über Turkstream unterbinden könnte. So ist denn die EU weiterhin auf LNG-Flüssiggas per Tanker angewiesen. Dieses kommt zu weit überhöhten Preisen aus den USA oder aktuell sogar aus Russland, was dem Land erhebliche Mehreinnahmen verschafft, mit denen die EU im Grunde den Ukraine-Krieg finanziert. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die EU aus politischen Gründen auch noch auf diese russische Energiequelle verzichtet. Bemühungen insbesondere der Bundesregierung um LNG anderer Lieferanten bringen al­lenfalls mittelfristig spürbare Erleichterung. Mit dem zu erwartenden Aufschwung in Asien wird sich der globale Wettbewerb der Nachfrager um LNG verschärfen, wobei asiatische Kunden wegen langfristiger Lieferbeziehungen mit Produzenten wie Katar die Nase vorn haben. Die neue Preisobergrenze für Erdgas in Europa wird nach Einschätzung der Analysten von Goldman Sachs die Erdgasknappheit zudem erheblich verschärfen.

EU-Kommission und Internationale Energieagentur IEA erwarten daher für 2023 eine gigantische Lieferlücke in der EU von 57 Mrd. Kubikmetern (vgl. Grafik), die für einen starken Anstieg der europäischen Gaspreise sorgen dürfte. EU und IEA geben sich zwar zuversichtlich, das Problem lösen zu können, und zwar durch Maßnahmen wie noch mehr Energieeinsparungen, zusätzliche Installationen regenerativer Energien und von Wärmepumpen, neue Atom- und Wasserkraftwerke, trotz des Strommangels den Einsatz von Elektrizität zu Heizzwecken sowie die Ermunterung der Konsumenten zu einem Wandel ihres Verhaltens. Diese Maßnahmen dürften sich aber als wirkungslos oder bestenfalls als langfristige Lösungen erweisen. Europäische Nachfrager dürfen sich daher auf erneute starke Preissteigerungen bis hin zu neuen Rekordniveaus bei Erdgas einstellen, was die Deindustrialisierung Europas wohl noch einmal beschleunigen wird.

Mit einem deutlichen Preisanstieg ist auch bei Erdöl zu rechnen. So rechnet die schweizerische Großbank UBS für die kommenden Monate mit einem Brent-Ölpreis von mehr als 100 Dollar je Barrel, während Bank of America und Goldman Sachs immerhin schon wieder mehr als 90 Dollar annehmen. Gründe dafür sind die zu erwartende Konjunkturerholung in Asien, während das Angebot aufgrund der in den letzten Jahren unterlassenen Investitionen strukturell knapp bleibt, mit kaum noch vorhandenen freien Produktionskapazitäten. Erheblich verschlimmert zumindest für europäische Kunden wird die Lage durch die bereits zum 5. Dezember in Kraft getretene Preisobergrenze der G7-Staaten, ergänzt durch ein weitgehendes Verbot des Imports russischen Öls, das per Tanker importiert wird, seitens der EU, da Russland bislang der größte Erdöllieferant Europas ist. Aufgrund von Karenzfristen werden diese Maßnahmen erst im neuen Jahr ihre volle Wirkung entfalten. Ab Februar zündet die EU die zweite Stufe dieses Sanktionspakets, durch die auch der Import von verarbeiteten Erdölprodukten aus Russland untersagt wird. Dies wird sich als ein ernstes Problem herausstellen, weil im November 44% des von der EU importierten Diesels aus Russland stammten. Europäische Importeure horten momentan russischen Dieselkraftstoff, was aber nur für wenige Monate reichen dürfte. Nach Angaben des Energieberatungsunternehmens FGE steht die EU ab Februar vor der kaum lösbaren Aufgabe, 500000 bis 600000 Barrel pro Tag (bpd) an Diesel zu ersetzen. Als Ersatzlieferanten bieten sich die USA zu deutlich höheren Preisen an sowie Indien, wobei es sich in diesem Fall um umdeklarierten russischen Kraftstoff handeln dürfte, da Indien kein Ölproduzent ist.

Während ein globaler Ölpreis von 100 Dollar zwar eine deutliche zusätzliche Belastung, aber noch keine Katastrophe darstellt, führen die vom Westen verhängten Sanktionen zu einer stärkeren Fragmentierung des Ölmarktes, mit der Folge, dass Europa bei Rohöl und wichtigen Ölprodukten noch vor deutlich größeren Preisanstiegen steht.

Saudi-Arabien im Fokus

Hinzu kommen geopolitische Risiken, die den Ölpreis zumindest zeitweise noch sehr viel höher treiben könnten. So dürfte die Biden-Administration den offenkundigen Seitenwechsel Saudi-Arabiens hin zu dem von China und Russland an­geführten BRICS-Block nicht akzeptieren und vor allem nicht die Pläne Saudi-Arabiens, Öl beispielsweise an China auch in anderen Währungen als dem Dollar zu verkaufen. Gestiegene Spannungen zwischen Wa­shington und Riad haben das Potenzial, die Turbulenzen am Ölmarkt zu verstärken. Angesichts der saudischen Ölproduktion von mehr als 10 Mill. bpd scheint dann auch ein Brent-Ölpreis von 200 Dollar nicht ausgeschlossen.

Denkbar wäre auch eine militärische Konfrontation zwischen dem Iran einerseits und Israel und den USA andererseits. Die Folge einer solchen Auseinandersetzung wäre vermutlich die Sperrung der Meeresenge von Hormus, durch die ein Viertel des weltweit verschifften Rohöls transportiert wird.

Das neue Jahr wird für die Verbraucher insbesondere in Europa also hohe Preise und möglicherweise auch erhebliche Marktturbulenzen bringen. Die europäische Energiekrise ist noch keineswegs ausgestanden.

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

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