Kryptomarkt im Klammergriff
Der Kryptomarkt befindet sich in einem stählernen Klammergriff. Denn während der Zusammenbruch der Handelsplattform FTX Kaskadeneffekte in der Digital-Assets-Branche auslöst, setzt die restriktive Geldpolitik in Europa und den USA das stark spekulativ geprägte Digital-Assets-Segment anhaltend unter Druck. „Das makroökonomische Umfeld bleibt für die Kurse von Kryptowährungen im neuen Jahr ein entscheidender Einflussfaktor“, sagt Benjamin Dean, Direktor für digitale Assets beim Vermögensverwalter Wisdom Tree. „Je früher die Notenbanken einen weniger restriktiven Kurs einschlagen, desto eher dürften auch die Notierungen von Cyberdevisen wieder anziehen.“
Allerdings spielten auch kryptospezifische Faktoren weiterhin eine bedeutende Rolle. „Der Markt entwickelt sich zyklisch: Es kommt regelmäßig zu Investitionsschüben, deren Tempo sich aber nicht ewig fortsetzen kann“, führt Dean aus. In Phasen, in denen sich die Aktivität abkühle, zeige sich, welche Projekte nachhaltige Erfolgsaussichten besäßen – aktuell befinde sich der Markt in einer solchen Phase.
Dabei weckt der FTX-Crash die Furcht vor einer langanhaltenden und schwerwiegenden Pleitewelle unter Digital-Assets-Dienstleistern, die nach Erwartung von Analysten für fortgesetzten Kursdruck auf Cyberdevisen sorgen dürfte. Schließlich sind die Kryptobörse, ihr Gründer Sam Bankman-Fried und dessen ebenfalls kollabierte Trading-Firma Alameda Research eng mit dem sonstigen Krypto-Ökosystem verbunden. So ist der Broker Genesis in Bedrängnis geraten, die Lending-Plattform BlockFi, von FTX nach dem Crash des Stablecoins Terra USD im Frühjahr noch mit Krediten gestützt, ist indes bereits insolvent. Und mit dem texanischen Mining-Giganten Core Scientific flüchtet auch eine der größten börsennotierten Kryptoadressen in den Gläubigerschutz.
Psychologischer Schock
„Der Kollaps von FTX und der Absturz von CEO Sam Bankman-Fried stellen psychologische Schocks dar, unter denen die Glaubwürdigkeit des Kryptomarkts noch weiter leidet“, kommentieren die Analysten der US-Großbank J.P. Morgan die Krise. Sie verweisen dabei auch auf die gewaltige Wertvernichtung am Markt für digitale Assets: Infolge der Kursrückgänge von Bitcoin, Ether & Co. ist die Marktkapitalisierung aller umlaufenden Kryptowährungen zwischen Anfang November und Weihnachten um 24% auf 810 Mrd. Dollar gesunken.
Die negativen Effekte der jüngsten Marktverwerfungen auf das Investoreninteresse werden auch anhand der Handelsvolumen auf globalen Kryptobörsen ersichtlich. Summierten sich diese 2021 in lediglich drei Monaten auf weniger als 1 Bill. Dollar, überschritten sie diese Marke im abgelaufenen Jahr kein einziges Mal. Im Dezember beliefen sie sich bis Monatsmitte auf 191 Mrd. Dollar und steuerten damit auf den schwächsten Monat seit zwei Jahren zu. Der April 2021, als die Volumen auf die Rekordmarke von 2,23 Bill. Dollar schnellten, liegt aus Anlegersicht weit in der Vergangenheit.
Wisdom-Tree-Stratege Dean hält die Ereigniskette im Digital-Assets-Sektor nach den bisherigen Insolvenzen indes noch nicht für abgeschlossen. „Das Deleveraging im Segment dürfte noch drei bis sechs Monate weitergehen“, prognostiziert er. Durch den Abbau von Risikopositionen würden nach und nach schlechte Schulden und betroffene Unternehmen aus dem Markt gespült. Vorerst liege der Fokus aber auf dem Risikomanagement.
„Die aktuelle Krise ist ein Realitätscheck und hält wichtige Botschaften für die Branche bereit“, sagt Dean. So müssten Digital-Assets-Dienstleister ihr Exposure transparenter darstellen und beim Risikomanagement und den operativen Kontrollen den Standards aus dem traditionellen Finanzwesen folgen, um den Ansprüchen institutioneller Investoren gerecht zu werden. Dies gelte auch für Anbieter von Exchange Traded Products (ETPs) auf Kryptowährungen. Institutionelle Investoren dürften sich laut Dean verstärkt von Vehikeln mit unklarem Prospekt abwenden. „Es gibt einige Anbieter, die keine eindeutigen Angaben zum Verleih der Basisassets des Produkts machen“, sagt der Marktstratege. So sei häufig nicht klar, ob ein solches Lending stattfinde, und falls ja, welche Summen zu welchen Zinsen an welche Adressen verliehen würden.
Bei Regulatoren haben die aktuellen Kontroversen um Kryptoplattformen jedenfalls scharfe Reaktionen hervorgerufen. So warnte BaFin-Präsident Mark Branson die Finanzbranche im November davor, digitale Assets zu verharmlosen. Zwar sieht der Chef der Finanzaufsicht noch keine systemischen Risiken durch die Pleite der Handelsplattform – damit sich dies in künftigen Krisen nicht ändere, müsse das Bankensystem aber einen Schutzwall vor dem Kryptomarkt errichten. Damit stieß er ins gleiche Horn wie mehrere europäische Notenbanker und Michael Barr, der stellvertretende Vorsitzende der Federal Reserve für Bankenaufsicht.
Aggressive US-Behörden
Gerade die US-Regulatoren dürften laut den Analysten von Bloomberg Intelligence in den kommenden Monaten noch aggressiver gegen Kryptounternehmen ermitteln als bisher. Die am 13. Dezember eingereichte Anklage der US-Staatsanwaltschaft, die Bankman-Fried unter anderem Verschwörung zum Wertpapierbetrug vorwerfe, sowie zivilrechtliche Maßnahmen der Börsenaufsicht SEC und des Derivate-Regulators CFTC zeigten dabei die Reichweite der amerikanischen Behörden. Die Analysten spielen damit darauf an, dass FTX auf den Bahamas ansässig ist, in deren Hauptstadt Nassau Bankman-Fried auch verhaftet wurde.
Nun sei davon auszugehen, dass US-Regulatoren verstärkt Vergehen von Gesellschaften verfolgten, die ihren Hauptsitz nicht in den Vereinigten Staaten hätten. Dies dürfte auch Binance, die Marktführerin unter den Kryptobörsen, aufhorchen lassen. Das Unternehmen, dem Investoren und Accounting-Experten eine mangelnde finanzielle Transparenz vorwerfen, unterhält nach eigenen Angaben keinen Hauptsitz und akzeptiert keine Kunden aus den USA. Stattdessen verweist die Börse auf die separate Plattform Binance.US – hinter der letztlich doch Binance-CEO Changpeng Zhao steht. Es kursiert der Vorwurf, dass die Kryptobörse sich durch diese Struktur gegen direkte US-Sanktionen schützen wolle. Nun prüft das amerikanische Justizministerium aber wohl ein Vorgehen gegen die Plattform, die seit 2018 trotz bestehender Sanktionen der Vereinigten Staaten iranische Transaktionen im Milliardenvolumen abgewickelt haben soll.
Trotz dieser Entwicklungen hoffen Marktteilnehmer, dass die US-Regulatoren künftig von ihrer Strategie gezielter Vollstreckungsmaßnahmen abrücken und ein einheitliches Rahmenwerk für digitale Anlagen ausarbeiten, wie es auch die Europäische Union mit der Verordnung „Markets in Crypto Assets“ auf den Weg gebracht hat. Welche Form die US-Regulierung annimmt, ist laut Dean allerdings noch unklar. „Das ist ein komplexer Prozess, auch weil es auf Bundesebene viele verschiedene Behörden mit überlappenden Zuständigkeiten gibt“, sagt der Marktstratege. Es sei zu erwarten, dass Pilotprojekte mit digitalen Assets weiterhin zunächst auf bundesstaatlicher Ebene stattfänden und funktionierende Konzepte dann in die föderale Regulierung einflössen.
Wisdom Tree erwartet durchaus positive Effekte einer fortschreitenden Regulierung. Denn dadurch werde die Digital-Assets-Sphäre zunehmend mit dem traditionellen Finanzwesen verschmelzen. Damit ergänzten sich die Vorteile der neuen Technologie – Kosteneffizienz, Geschwindigkeit und eine einfache Zugänglichkeit – mit jenen des traditionellen Systems. Letzteres genieße schließlich infolge regulatorischer Kontrolle höheres Vertrauen. Fassen die Investoren wiederum neues Zutrauen in die Digital-Assets-Branche, dürfte dies laut Analysten auch wieder Aufwärtspotenzial für die Kurse von Bitcoin und Ether freisetzen. Ohnehin werde Bitcoin aufgrund seiner deflationären Natur langfristig steigen, prognostiziert Bloomberg Intelligence. Die führende Digitalwährung ist per Protokoll auf maximal 21 Millionen Einheiten festgeschrieben.
Miner machen Hoffnung
Zudem machen die jüngsten Rückgänge der Mining-Schwierigkeit Marktteilnehmern Hoffnung. Dabei handelt es sich um ein Maß für die zum Schürfen neuer Bitcoin aufgewandte Rechenleistung. Zwar deutet die abnehmende Mining-Schwierigkeit darauf hin, dass die Bitcoin-Schürfer ihre Reserven aufgebraucht haben und nicht mehr über genügend Cash verfügen, um den Betrieb ihrer Rechenmaschinen aufrechtzuerhalten. Doch bedeutet dies laut Beobachtern zugleich, dass die Abverkaufswelle durch Miner sich ihrem Ende nähert. In der Vergangenheit seien einer solchen Entwicklung wiederholt Kursaufschwünge gefolgt.
Neuen Aufwind für Ether erhoffen sich Investoren unterdessen infolge des im September vollzogenen Upgrades des Ethereum-Netzwerks. In dessen Rahmen wurde der Konsensmechanismus der Blockchain vom stromintensiven Proof-of-Work-Verfahren, das bei Bitcoin zur Anwendung kommt, auf die energieeffizientere Proof-of-Stake-Variante umgestellt. Dass das komplexe Upgrade technologisch reibungslos abgelaufen sei, obwohl sich das Netzwerk voll im Betrieb befinde, stelle indes einen großen Erfolg dar. „Für Investoren war dies ein wichtiges Signal, da sie nun davon ausgehen können, dass auch künftige Live-Upgrades sicher erfolgen sollten“, sagt Dean.
Damit setze Ethereum weiterhin den Standard am Blockchain-Markt, was weitere Entwickler anziehe. Und wenn sich infolgedessen die Software verbessere, werde das Netzwerk wiederum attraktiver für Nutzer – dies habe in der Regel auch positive Kurseffekte auf die verbundene Kryptowährung.
Nichtsdestotrotz dürfte der Bärenmarkt nach Ansicht der Analysten von Bloomberg Intelligence angesichts makroökonomischer Turbulenzen in Europa und den USA anhalten. Bei Ether sei in der Folge die Marke von 1000 Dollar in Gefahr. Bitcoin könne indes noch in Richtung 10000 Dollar abrutschen – gegenüber den Niveaus von kurz vor Weihnachten würde dies einen nochmaligen Absturz um 40% bedeuten.
Von Alex Wehnert, Frankfurt