Frank Engels und Henrik Pontzen

„Nach­haltigkeit ist ein Prozess“

Für Frank Engels, Chief Investment Officer, und Henrik Pontzen, ESG-Abteilungsleiter der Union Investment, ist Nachhaltigkeit ein Prozess und eben kein Zustand.

„Nach­haltigkeit ist ein Prozess“

Kai Johannsen.

Herr Engels und Herr Pontzen, welche Institutionen und Unternehmen müssen wir denn in den kommenden Jahren grüner machen?

Engels: Wir können und wollen die Unternehmen bewegen, in die wir investieren. Das erfolgt über die Be­einflussung der Geschäftsmodelle im Rahmen der Transformation zu einer grünen beziehungsweise nachhaltigen Ausrichtung. Dabei steht die nachhaltige Rendite für unsere Kunden im Vordergrund. Wir wollen Verbesserungen bei den Unternehmen an­­stoßen, denn wir können die Ge­schäftsmodelle ja nicht selbst ma­chen. Wir fördern einerseits Ge­schäfts­modelle, die uns besonders nachhaltig erscheinen. Andererseits geht es uns darum, den CO2-Ausstoß zu reduzieren bei Unternehmen, bei denen dieser besonders hoch ist. Wir sehen uns etwa an, wie Öl und Gas durch erneuerbare Energien ersetzt werden können. Es gibt aber auch Aspekte, die nicht transformierbar sind. Zu denken ist etwa an den Kohleausstieg.

Nun hilft uns dabei zweifelsohne der Green-Bond-Markt. Manchmal kann man dabei aber auch den Eindruck gewinnen, dass er von manchen Adressen gern dafür genutzt wird, um sich einfach nur ein grünes Etikett umzuhängen. Haben Sie auch diesen Eindruck?

Engels: Der Eindruck drängt sich in Teilen tatsächlich auf. Wir haben praktisch jedes Jahr Emissionsrekorde bei grünen oder nachhaltigen Anleihen. Zugleich steigt aber auch das Volumen der CO2-Emissionen jedes Jahr. Insofern muss sich der Green-Bond-Markt dem Vorwurf stellen, dass er eine Umetikettierungsmaschine ist. Die Anleihen sind zwar zweckgebunden bezüglich der Erlösverwendung ausgestaltet, aber es ist fraglich, ob es bei Unternehmen und auch Staaten dadurch mehr grüne Projekte gibt. Gibt es mehr Projekte durch Green Bonds, oder werden die Gelder nur in bestehende Projekte investiert? Nehmen wir mal die grünen Bundesanleihen, die ja noch relativ jung sind. Es gibt diese grünen Anleihen, aber damit ist noch nicht klar, ob wir als Bundesrepublik Deutschland deshalb nun auch mehr für Umwelt und Klima tun. Die Zweckbindung der Anleihe allein reicht nicht für die nachhaltige Ausrichtung aus. Wir brauchen eine Anreizwirkung wie bei den Sustainability-Linked Bonds. Die Anreizwirkung wird dabei über die Höhe des Kupons gesteuert, wenn die angestrebten Ziele nicht erreicht werden.

Für wie groß halten Sie das Risiko, dass wir es in den nächsten Jahren mit einem desaströsen Fall von Green oder Sustainability Wa­shing zu tun bekommen, der den Markt durcheinanderwirbelt?

Pontzen: Dieses Risiko lässt sich nie ganz ausschließen. Erst recht nicht, solange es keine globale allgemeingültige Definition von Nachhaltigkeit gibt. Viele Firmen, Institutionen und auch Staaten haben hier eben unterschiedliche Definitionen. Das wird also noch lange Zeit kontrovers und erklärungsbedürftig sein. Mancher hängt sich ein nachhaltiges Etikett um, ändert aber wenig an seinen Prozessen und Ausrichtungen. Nachhaltige Fonds sind aber nur glaubwürdig, wenn sie sich spürbar von konventionellen Fonds unterscheiden. So schließen wir bei Union Investment Unternehmen wie Amazon, Facebook, ExxonMobil oder Nestlé aus unseren Nachhaltigkeitsfonds aus, weil sie unsere Ansprüche an nachhaltige Unternehmen derzeit aus unterschiedlichen Gründen nicht erfüllen.

Was muss geschehen, damit ein Fall von Greenwashing vermieden werden kann?

Engels: Nachhaltigkeit darf nicht zu Marketingzwecken missbraucht werden. Sie muss vielmehr fundamentaler Bestandteil des Investmentprozesses bei Assetmanagern sein. Dabei muss man sehr konsequent vorgehen. Man muss Ausschlüsse von Investments mit dem Transformationsprozess kombinieren. Wir schließen aus unseren Nachhaltigkeitsfonds diejenigen Unternehmen aus, die beispielsweise Atomwaffen produzieren, Kohle fördern oder Kinder für sich arbeiten lassen. Für alle Unternehmen gilt: Wer in seiner Branche nicht zur oberen Hälfte der ESG-konformen Unternehmen zählt, muss unseren hauseigenen Selektionsprozess in Sachen ESG bestehen. Wenn wir aus der Interaktion mit dem Unternehmen heraus der Meinung sind, dass es hier ambitionierte Ziele gibt, die vom Unternehmen glaubwürdig angegangen werden, dann kann noch ein Investment vorgenommen werden. Und dabei muss es auch eine verlässliche Verfolgbarkeit dieses Transformationsprozesses geben. Dafür ist ein kontinuierliches Engagement mit dem Unternehmen zwingend erforderlich. So kann Greenwashing vermieden werden.

Manche Staaten sind heute längst grün und nachhaltig, haben aber keine Emissionen am Anleihemarkt. Vielfach werden sie deshalb auch nicht als grün und nachhaltig angesehen. Wie sollten wir damit umgehen – auch in Sachen Taxonomie?

Pontzen: Es kommt weniger auf das Instrument an als auf die Wirklichkeit, die dahintersteht. Da geht es zum Beispiel um die Frage, wie ein Land mit dem Thema Demokratie umgeht. Wird das Thema Recht beziehungsweise Rechtsstaatlichkeit angemessen gewürdigt? Was ist mit dem Thema Korruption? Wir sehen uns auch an, wie das Land mit ethischen Fragestellungen umgeht. Ägypten etwa besteht diesen Wirklichkeitstest nicht. Da nützt es dann auch nichts, dass Ägypten einen Green Bond emittiert hat. Die Anleihen des Landes sind für uns für nachhaltige Investments nicht zugelassen. Den umgekehrten Fall gibt es auch. So hat Finnland zwar noch keinen Green Bond emittiert, aber das Land richtet sich konsequent nachhaltig aus. Deshalb kommen die konventionellen Anleihen dieses Landes auch für uns für eine nachhaltige Investition in Frage. Die Taxonomie betrachten wir als unabhängig davon. Wir begrüßen, dass sie für Transparenz und Orientierung sorgt. Aber die Taxonomie ist nur begrenzt praxistauglich, weil sie Lücken aufweist. Sie ist inhaltlich noch nicht vollständig, und sie verpflichtet ausschließlich europäische Emittenten.

Wie kann man als Assetmanager seine Glaubwürdigkeit in Sachen Green und Sustainability unter Beweis stellen?

Engels: Auch hier geht es um Transparenz und Orientierung. Assetmanager müssen klar und deutlich erklären, wie sie nachhaltig investieren. Sie dürfen sich nicht wegducken, wenn es mal Kritik gibt. Solche Kritik kann häufig aufgelöst werden, wenn man seine Prozesse gut erklärt. Transparenz muss auch für die zugrundegelegten Daten im Investmentprozess gelten. Wir können unsere Glaubwürdigkeit auch unter Beweis stellen, indem wir Emissionsschwergewichte dahin bringen, dass sie ihre CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Nachhaltiges Investieren heißt für uns nicht, Probleme zu vermeiden, sondern Probleme lösen zu wollen.

Welchen Stellenwert hat bei Ihnen im Haus der Aspekt Engagement? Können Sie das an Beispielen festmachen, und zeigen Sie das auch nach draußen?

Pontzen: Engagement ist sehr wichtig für uns. Wir sind täglich im Austausch mit den Unternehmen. Von 4000 Unternehmensgesprächen im Jahr haben 700 Gespräche einen klaren Nachhaltigkeitsbezug. Es reicht nicht, einmal im Jahr einen Brief zu schreiben. Nachhaltiges Investieren bedeutet aktives Investieren. Der direkte und kontinuierliche Austausch mit den Unternehmen ist entscheidend, denn beim Engagement gilt: Steter Tropfen höhlt den Stein. Bei Anglo American haben wir in Sachen Kohleausstieg sehr intensive Gespräche geführt. Das Unternehmen hat im weiteren Verlauf seinen Ausstieg aus der Kohle nochmals wesentlich beschleunigt. Wir haben zusammen mit anderen Investoren zudem eine Datenbank geschaffen, bei der etwa Informationen rund um Staudämme vorgehalten werden. Anlass war der katastrophale Dammbruch von Vale in Brasilien Anfang 2019. Staudämme sind weltweit jetzt hoffentlich sicherer geworden, weil Übersicht und Überwachung verbessert wurden. Wir haben also zusammen mit anderen Investoren eine sehr enge und gut funktionierende Kooperation in Sachen Engagement realisiert. Dafür hätte die Politik vermutlich sehr viel länger gebraucht.

Wie aufwendig gestaltet sich Ihr Nachhaltigkeitsintegrationsprozess auf der Investmentseite?

Pontzen: Alle, die am Investmentprozess beteiligt sind, müssen das Wissen, den Zugang und den Willen haben, um eine nachhaltige Investmentmöglichkeit umsetzen zu können. Wir haben Sektortrios gebildet, in denen sich die Experten aus den Bereichen Aktien, Renten und ESG über die Emittenten ihres Sektors austauschen, ihre jeweilige Sichtweise darlegen und ein umfassendes Verständnis für die Emittenten gewinnen. Natürlich stellen wir allen Portfoliomanagern ESG-Daten zur Verfügung. Aber Daten allein reichen nicht. Deshalb machen wir jedes Jahr Nachhaltigkeitsschulungen. Dabei gibt es auch einen sehr intensiven Austausch unter den Beteiligten. Auch der Wille muss da sein. Darum haben wir Nachhaltigkeit in den Scorecards­ hinterlegt. Neben der Einsicht soll darüber auch der Wille der Portfoliomanager zu Nachhaltigkeit gefördert werden.

Was tun Sie hausintern, um als Institution grün und nachhaltig zu sein?

Engels: Wir haben Nachhaltigkeitsziele nicht nur im Portfoliomanagement verankert, sondern bis hinein in die Vorstandsvergütung. Darüber hinaus haben wir Zielwerte für die CO2-Reduktion im eigenen Betrieb. 2030 sollen die Emissionen hier um 65% reduziert sein. Wir haben die Homeoffice-Quote von 40% nach dem Wegfall der Pandemiebeschränkungen beibehalten und können so auch Pendleremissionen verringern. Bei Dienstreisen steigen wir verstärkt auf die Bahn um. In unseren Betriebsrestaurants gibt es mehr vegetarische Gerichte. Das ist insgesamt ein bunter Strauß an Maßnahmen, die sich durch das ganze Unternehmen ziehen.

Welchen Evolutionsprozess sehen Sie beim Thema Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren?

Engels: Die Datenqualität muss in den kommenden Jahren besser werden. Wir müssen auch dahin kommen, dass wir ein einheitlicheres Nachhaltigkeitsverständnis bekommen. Die Bewertungen können ja unterschiedlich ausfallen, aber über die Tatsachen muss Einigkeit be­stehen, etwa wenn es um den CO2-Ausstoß von Unternehmen geht. Hier wird sich erst noch zeigen müssen, welche Datenprovider und welche Datentypen verlässlich sind. Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Wir müssen im Dialog mit den Unternehmen Wege finden, wie CO2-Emissionen wirksam be­grenzt und reduziert werden können. Nur wenn es gelingt, dass die braunen Unternehmen grüner werden, dann werden wir uns alle gemeinsam in einer nachhaltigeren Zukunft wiederfinden. Wenn wir uns nur den grünen Unternehmen zu­wenden und ihnen Geld geben, damit sie noch grüner werden, dann werden wir die gemeinsamen Ziele in Richtung einer Transformation nicht erreichen, weil es schlicht noch zu wenige grüne Unternehmen gibt. Evolution ist die Förderung von Nachhaltigkeit in allen Sektoren beziehungsweise Branchen sowie Unternehmen, in die wir investieren.

Das Interview führte

BZ+
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