Inflation

EZB-Zinswende nimmt Fahrt auf

Die Rekordinflation in der Eurozone zwingt die EZB zum Handeln. Der zweite Zinsschritt gilt als ausgemachte Sache. Über die Höhe ist eine intensive Debatte im Gange.

EZB-Zinswende nimmt Fahrt auf

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Wenn der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) Mitte nächster Woche zusammenkommt, ist eines klar: Die Euro-Hüter werden die Leitzinsen in der Eurozone zum zweiten Mal nacheinander anheben. Für reichlich Zündstoff ist trotzdem gesorgt. Denn es zeichnet sich eine lebhafte Debatte ab, wie stark und schnell die Zinsen steigen sollten.

Hintergrund ist, dass die Inflation im Euroraum laut Schnellschätzung des Statistikamts Eurostat im August auf 9,1% gestiegen ist. Das ist die höchste Teuerungsrate seit Einführung des Euro 1999 und erhöht den Handlungsdruck auf die EZB – zumal die Inflation im weiteren Jahresverlauf Kurs auf die 10-Prozent-Marke nehmen wird. Das macht eine Forderung von Bundesbankchef Joachim Nagel deutlich: „Wir brauchen im September eine kräftige Zinsanhebung“, kommentierte Nagel die jüngsten Inflationsdaten, kurz bevor die vor jeder Ratssitzung obligatorische Schweigephase eingesetzt hat.

Ähnlich wie Nagel haben etliche Kollegen aus dem EZB-Rat rund um die Notenbankerkonferenz in Jackson Hole auf entschlossenes Handeln gedrungen. Eine Reihe nationaler Notenbankchefs hat deutlich ge­macht, dass ein halber Prozentpunkt für sie das Mindeste ist. Und dass sie eine noch kräftigere Zinserhöhung von 75 Basispunkten für die bessere Wahl halten und in jedem Fall zur Diskussion stellen wollen. Mehrere Analysten haben daraufhin ihre Zinsprognosen bis Mitte kommenden Jahres angehoben. An den Geldmärkten wird die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung um 75 Basispunkte inzwischen als recht hoch eingeschätzt.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane gibt Kontra. Fernab von Jackson Hole hat der Ire wiederholt zu verstehen gegeben, dass er gegen eine weitere Beschleunigung der Zinswende ist. Gleichmäßige Schritte brächten weniger Nachteile mit sich „als eine kleinere Anzahl größerer Zinserhöhungen“. Lanes Positionierung ist von großer Bedeutung: Der Chefvolkswirt unterbreitet dem EZB-Rat traditionell den Vorschlag für die anstehenden Beschlüsse.

Im Juli hat der EZB-Rat in einem ersten Schritt den Negativzins für Banken abgeschafft. Beobachter sind auf eine Serie weiterer Zinserhöhungen gefasst – so wie es der amerikanische Notenbankchef Jerome Powell auch für die Federal Reserve in Aussicht gestellt hat. Die Fed ist im Straffungszyklus deutlich weiter als die EZB. Die Fed hat das Tempo ihrer Zinserhöhungen seit dem Frühjahr schrittweise erhöht und zuletzt zweimal hintereinander 75 Basispunkte nachgelegt.

Das Drängen mehrerer EZB-Notenbanker, es der Fed gleichzutun, dient möglicherweise auch als Verhandlungsmasse, um an anderer Stelle Zugeständnisse zu erreichen. Perspektivisch braucht der EZB-Rat einen Plan für den Abbau seiner aufgeblähten Bilanz. Und er muss sich mit den äußerst günstigen Konditionen für Banken in Refinanzierungsgeschäften mit der EZB befassen.

Eine wichtige Dame hält sich auffällig zurück: EZB-Chefin Christine Lagarde hat ihre Meinung zum Kurs der von ihr geführten Institution für sich behalten. Vorige Woche war ein Interview mit dem französischen Magazin „Madame Figaro“. Es wurde bereits im Juli geführt, ist seicht im Ton und wenig aufschlussreich, was die anstehenden Entscheidungen betrifft. Wenn sie wie üblich die Beschlüsse erläutert, wird es wieder ans Eingemachte gehen.