Absacker in Brasilien
Von Andreas Fink, Buenos Aires
An Brasiliens Börsen hat das stete Wachstum der Vormonate im Juli nachgelassen. Vor allem ausländische Investoren zogen Gelder ab. Inflation, mögliche Auswirkungen der Delta-Variante sowie politische Unwägbarkeiten belasten die Aussichten. Zudem hat die Zentralbank den Leitzins gerade um 100 Basispunkte erhöht.
Der Währungsausschuss der brasilianischen Zentralbank reagiert damit auf die anhaltende Inflation. Im Juni hatte die Teuerung mit 8,35% deutlich über dem offiziellen Inflationsziel gelegen und die ersten Indikatoren für den Juli deuten einen noch höheren Wert an. Nach der kräftigsten Zinsanhebung in den vergangenen 18 Jahren liegt der „Selic“ nun bei 5,25% und soll bei der nächsten Sitzung des Währungsausschusses um einen weiteren Prozentpunkt angehoben werden.
An den Börsen war der Monat Juli geprägt von einer Rückzugswelle ausländischer Investoren. Nach drei Monaten mit Kapitalzuflüssen zogen internationale Anleger im Juli 8,3 Mrd. Real ab, realisierten Gewinne und brachten den Markt erstmals seit März an den Rand der roten Zahlen. Gleichwohl ist der internationale Saldo 2021 weiterhin positiv. Ausländer hatten Ende Juli 39,8 Mrd. Real mehr investiert als zu Jahresbeginn.
Zudem hat der Rückgang des Geschäftsvolumens an der Ibovespa, der brasilianischen Börse, im Laufe des Monats Juli überrascht. Nach Berechnungen von Valor Data lag der durchschnittliche Börsenumsatz im Juli bei 19,5 Mrd. Real, dem niedrigsten Volumen seit April 2020. Der Jahresdurchschnitt von Januar bis Juni lag bei 24,4 Mrd. Real. Der Hauptaktienindex des brasilianischen Marktes verzeichnete im Juli Verluste von 3,9% und schloss am letzten Handelstag bei 121800 Punkten.
Die Abflüsse erfolgten vor dem Hintergrund komplexerer internationaler und lokaler Szenarien. Gleichwohl erkennen Branchenkenner keine klare Trendwende, sondern eher eine momentane Anpassung. „Es handelte sich eher um Gewinnmitnahmen“, sagt Jerson Zanlorenzi, der den Bereich Aktien und Derivate bei BTG Pactual leitet. Für ihn gründen die Rückzieher der internationalen Anleger in einer Kombination aus internen und externen Faktoren.
Schwellenländer unter Druck
In der letzten Phase des Monats schufen die regulatorischen Eingriffe der chinesischen Regierung Unbehagen auf den Emerging Markets. Viele Anleger reduzierten daraufhin nicht nur ihr China-Engagement, sondern auch jenes in anderen Schwellenländern.
Zudem dürften saisonale Aspekte mitgespielt haben. Im Juli werden in Brasilien traditionell die niedrigsten Umsätzen des Jahres verzeichnet, eine Auswirkung der Ferien auf der Nordhalbkugel. Wenn sich die Liquidität an den entwickelten Märkten verringert, schlägt das häufig auch auf den Süden durch.
Allerdings werten einige Beobachter den Rückgang in diesem Jahr als stärker als ursprünglich erwartet. Zudem dürften auch die Unsicherheit über mögliche Auswirkungen der Delta-Variante von Covid-19 wie auch die hohe Inflation zu erhöhter Vorsicht bei vielen Finanzakteuren beigetragen haben.
Ein weiterer Faktor für die Börsenschwäche ist laut Branchenkennern die große Zahl von Börsengängen und Folgeemissionen der letzten Monate. Von den 72 Börsengängen, die zwischen Anfang 2019 Ende Juli 2021 stattfanden, lagen 18 Angebote am unteren Ende der Preisspanne und weitere 24 mussten erhebliche Abschläge einräumen, um an die Börse zu gehen.
Offenbar gab es beträchtliche Diskrepanzen zwischen dem von den Investmentbanken prognostizierten Marktwerten und dem, was Investoren zu zahlen bereit sind. Weil nun viele Unternehmen auf den Kapitalmarkt drängen, hat dort, trotz aller gestiegenen Liquidität, der Wettbewerb zugenommen.
Dennoch sind die Volumina rekordverdächtig hoch. Gemäß den Daten des brasilianischen Finanz- und Kapitalmarktverbandes (Anbima) brachten im Vorjahr 52 Börsengänge 119,2 Mrd. Real ein. Für Börsengänge in diesem Jahr werden zwischen 150 und 180 Mrd. Real erwartet.
Nach dem Absacken im Juli könnte sich durchaus ein „Fenster der Gelegenheit“ an Brasiliens Börsen auftun, sagte Ronaldo Patah, Chefstratege von UBS Consensus. Er empfindet die derzeitigen Werte in Anbetracht der wirtschaftlichen Erholung der vergangenen Monate als eher niedrig. In einem Bericht mit Anlageempfehlungen für Brasilien bevorzugt UBS Aktien und globale Vermögenswerte, während inflationsgebundene Anleihen, variabel verzinsliche Anleihen und festverzinsliche Wertpapiere weniger empfohlen werden.
Wahlen stehen an
UBS erkennt weiterhin eine hohe Risikobereitschaft in den Vereinigten Staaten. Das könne sowohl brasilianische Aktien beflügeln als auch den Wechselkurs des Real stärken. Ein Kurs von 4,80 zum Dollar wäre zum Jahresende denkbar, glaubt der UBS-Chefstratege, der auch mit Blick auf die Auswirkungen der Delta-Variante optimistischer ist als viele andere.
Etwas bewegter könnte sich freilich das kommende Jahr in Brasilien darstellen, denn die Kampagne vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober dürfte für Volatilität sorgen. Am Mittwoch sorgte nicht nur die Zentralbank für börsenrelevante Nachrichten, sondern auch die Justiz. Brasiliens oberster Gerichtshof eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten Jair Bolsonaro, der das elektronische Wahlsystem des Landes mehrfach als fälschungsanfällig bezeichnet hat, ohne Beweise vorzulegen.