Airbus liegt im Anflug auf das Vorkrisenniveau
Von Stefan Maichl*)
Das Sommerchaos an deutschen Flughäfen mag zwar manchen Reisenden Urlaubszeit und Nerven gekostet haben. Der von den Airlines und Flughafenbetreibern unterschätzte Andrang zeigt aber auch: Fliegen ist wieder in! Trotz gestiegener Ticketpreise ist die Lust am Fliegen nach der Coronaflaute in fast allen Regionen groß. Das Vorkrisenniveau im Passagierflugverkehr könnte im Zeitraum von 2023 bis 2025 wieder erreichbar sein.
In Richtung Vorkrisenniveau bewegen sich über das gesamte Laufzeitenband auch die Euro-Bond-Spreads von Airbus. Denn der Flugzeugbauer ist einer der Hauptprofiteure einer Normalisierung des Passagierflugverkehrs. Die wohl größte Krise in der zivilen Luftfahrt seit dem Zweiten Weltkrieg meisterte Airbus mit Bravour. Bereits 2021 glänzte der Konzern mit Rekorden beim Nettoergebnis und operativen freien Cashflow. Erfolgsfaktoren waren ein striktes Kosten- und Working-Capital-Management. Ratingagenturen honorierten dies und hielten an ihren konstruktiven Bonitätseinschätzungen und der Verankerung von Airbus im Investment Grade fest.
Selbst der Ukraine-Krieg unterbrach den Einengungstrend der Spreads nur temporär. Das direkte Absatzrisiko im kommerziellen Luftfahrtgeschäft durch den Ausfall des russischen Marktes erscheint beherrschbar, da Airbus über ein regional gut diversifiziertes Orderbuch verfügt. Zudem gelang es, einige für russische Airlines bestimmte Flugzeuge an alternative Abnehmer zu vermitteln.
Risiken bei Titanversorgung
Erhöhte Zulieferrisiken bestehen vor allem bei der Titanversorgung. Der Einsatz von Titan hat im Flugzeugbau an Bedeutung gewonnen. Russland ist einer der weltweit führenden Exporteure. Die Lagerbestände außerhalb Russlands dürften aber noch mindestens bis zum Jahresende reichen. Im Fall eines russischen Exportstopps bliebe deshalb Zeit, alternative Bezugsquellen auszubauen. Aus dem Konflikt und der Zeitenwende in der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ergeben sich für Airbus im Rüstungsgeschäft auch Chancen. Ein größeres Umsatzpotenzial sehen wir aber eher langfristig und angesichts eines Erlösanteils des Rüstungsgeschäfts von rund 18% mit begrenzter Wirkung auf der Konzernebene.
Die Finanzziele für 2022 wurden nach einem guten ersten Halbjahr trotz einer leicht reduzierten Planung für die Flugzeugauslieferung bestätigt. Airbus senkte aufgrund von Zulieferengpässen das Auslieferungsziel überraschend von 720 auf rund 700 Maschinen (Vorjahr 611). Angesichts zum Halbjahr stabiler Auslieferungen im Umfang von 297 Flugzeugen bedarf es augenscheinlich immer noch eines wesentlich stärkeren zweiten Halbjahres, was historisch aber oft gelang. Zudem deuteten die Triebwerkshersteller eine Entspannung der Beschaffungssituation in den vergangenen Monaten an.
Auch mittelfristig zeigte sich das Management optimistisch. Die fundamentalen Rahmenbedingungen dürften für das bei Airbus dominierende zivile Luftfahrtgeschäft günstig bleiben und damit das Kreditprofil stützen. Die Airlines reagieren auf die Nachfrageerholung mit einem Kapazitätsausbau. Perspektivisch dürften auch hohe Treibstoffkosten und eine strengere Klimaregulierung die Flottenmodernisierung antreiben.
Die Zuversicht von Airbus speist sich zudem aus dem hohen Auftragsbestand von über 7000 Flugzeugen (rein rechnerische Produktionsabdeckung von zehn Jahren). Dadurch verfügt Airbus über eine langfristig gute Umsatzvisibilität. Denn im Krisenfall bietet das prall gefüllte Orderbuch eine gewisse Manövriermasse im Fall von kundeninduzierten Auslieferungsverschiebungen bzw. bisher selten aufgetretenen Stornierungen.
Positive Währungseffekte
Vor diesem Hintergrund soll die Produktionsrate der Mittel- und Kurzstreckenflugzeugfamilie A320 sukzessive auf 75 Flugzeuge pro Monat im Jahr 2025 steigen. Damit würde Airbus die Vorkrisenrate von rund 60 Maschinen übertreffen. Schon 2023 könnte sich Airbus bei den Auslieferungen wieder dem Vorkrisenniveau nähern. Die operative Marge erwarten wir sogar über dem Niveau von 2019, begünstigt durch Produktmix- und Währungseffekte. Denn Airbus zählt in Europa zu den größten Profiteuren eines starken Dollar. Unsicherheit besteht durch geopolitische und konjunkturelle Risiken, die hohe Inflation mit ungewisser Auswirkung auf die Passagierflugnachfrage und die komplexe und aufgrund hoher Markteintrittsbarrieren kurzfristig wenig flexible Lieferkette.
Airbus meisterte die Coronakrise auch auf der Finanzierungsebene. Die Netto-Cash-Position erholte sich in den vergangenen beiden Jahren unerwartet schnell auf zuletzt rund 7 Mrd. Euro und damit in Richtung der mittelfristigen Zielgröße von rund 10 Mrd. Euro. Die direkte Kundenfinanzierung blieb darüber hinaus auf einem niedrigen Niveau. Der Konzern verfügt über ein außerordentlich hohes Liquiditätspolster von über 21 Mrd. Euro. Darüber hinaus hat Airbus Zugriff auf eine ungenutzte Kreditlinie im Volumen von 6 Mrd. Euro.
Die komfortable Liquiditätssituation dient als Puffer in Krisenphasen und stützt das Kreditrating. Angesichts des kapitalintensiven Geschäftsmodells sichert sich der Konzern dadurch ebenfalls die notwendige strategische Handlungsfreiheit. Diese ermöglicht es Airbus, die Marktposition gegenüber dem Hauptwettbewerber Boeing zum Beispiel durch eine Angebotserweiterung im Frachtsegment zu festigen. Die Reaktionsfähigkeit von Boeing dürfte vor dem Hintergrund einer sehr hohen Nettofinanzverschuldung von rund 47 Mrd. Dollar auf mittlere Sicht limitiert sein. Die Ratingagenturen sehen Boeing nur noch knapp im Investment Grade.
Seltene Auftritte
Airbus ist am Euro-Bondmarkt kein Daueremittent. Die jüngsten Neuemissionen im Gesamtumfang von 6 Mrd. Euro wurden im Juni 2020 platziert. Aktuell beläuft sich das ausstehende Euro-Bondvolumen auf 8 Mrd. Euro (60% der Bruttofinanzverschuldung) mit ausgewogenem Laufzeitenprofil. Mitte Juni kaufte Airbus erfolgreich Bonds im Volumen von 1 Mrd. Euro zurück. Aus heutiger Sicht dürfte die Refinanzierung fälliger Bonds in den kommenden Jahren aus dem von uns auf jährlich 3 bis 5 Mrd. Euro geschätzten operativen freien Cashflow möglich sein.
Abgesehen von der Anleihe mit Fälligkeit im April 2025 liegen alle Euro-Bonds von Airbus unterhalb der relevanten Marktkurve. Die Euro-Bonds von Airbus bieten eine Rendite zwischen 1,6 % und 3,1 %. Im Vergleich zu den Bonds von Siemens liegen die Renditeaufschläge in Abhängigkeit der Laufzeit zwischen 10 und knapp 40 Basispunkten. Siemens wird von den Ratingagenturen ein wenig höher als Airbus eingestuft. Ein Renditevergleich mit den Bonds des in die gleiche Ratingklasse fallenden Automobilherstellers BMW ergibt dagegen ein uneinheitliches Bild. Lediglich der Airbus-Bond mit Fälligkeit im April 2025 weist eine nennenswert positive Renditedifferenz von über 20 Basispunkten auf.
*) Stefan Maichl ist Senior Investment Analyst bei der LBBW.
Bericht Seite 12