Aussichten für Aktien bleiben gut
Abnehmendes Wachstumsmomentum, Virusmutationen, hohe Inflation, die Ankündigung reduzierter Anleihekäufe durch die Zentralbanken, steigende Anleiherenditen, Steuerdiskussionen in den USA, nach der Coronakrise wieder stärker in den Fokus geratende geopolitische Risiken, hohe Bewertungen und optimistische Anlegerstimmung – es gibt augenscheinlich viele Gründe, nach der starken Entwicklung von Aktien und Rohstoffen seit Jahresbeginn für das zweite Halbjahr pessimistischer zu werden. Aber auch wenn der Pfad für die Märkte über den Sommer voller Schlaglöcher scheint, besteht aus unserer Sicht kein Grund, umzukehren und pessimistisch zu werden. Eine etwas reduzierte Geschwindigkeit, also eine weniger offensive Aufstellung, erscheint aber sinnvoll.
Aufschwung trägt länger
Das Wachstum von Wirtschaft und Gewinnen bleibt sehr hoch, auch wenn positive Überraschungen und die jährlichen Wachstumsraten nachlassen. Alle Komponenten der Nachfrage tragen zu einem kraftvollen Aufschwung bei. Die Frage an den Märkten wird immer weniger sein, wie stark die Erholung wird, sondern immer mehr, wie lange diese anhält. Und diesbezüglich sieht es nicht schlecht aus. So bietet die global asynchrone Öffnung der Wirtschaften bei Lockerungen der Coronabeschränkungen kontinuierliche Unterstützung. Auf die Öffnung in Europa im zweiten Halbjahr dürfte auch eine Öffnung in Japan und Indien folgen. Zudem sollte nach der Erholung der Konsumausgaben das Wachstum in den nächsten Quartalen vermehrt durch Investitionsausgaben der Unternehmen und die staatlichen Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz getrieben werden. Die Gewinnerholung, hohe Liquiditätsbestände der Unternehmen, Kapazitätsengpässe, Neustrukturierung von Lieferketten, knappes Arbeitsangebot, steigende Arbeitskosten und die expansive Geld- und Fiskalpolitik sprechen für einen ausgeprägten Investitionszyklus und mehr Unternehmensübernahmen.
Der Anstieg der Auftragseingänge für langfristige Güter in den USA indiziert bereits die Anfänge dieser Entwicklung, und die ersten fünf Monate des Jahres verzeichneten bereits ein Rekordvolumen an Unternehmensübernahmen. Die anziehende Investitionstätigkeit dürfte zyklische Sektoren und Rohstoffe unterstützen. Hingegen dürfte das Thema Bilanzreparatur bei den Unternehmen in den Hintergrund treten, was das Ende der Einengung der Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen bedeuten dürfte. Die Jagd nach Rendite, die weiterhin hohen Käufe der Zentralbanken bei begrenzter Emissionstätigkeit der Unternehmen und die aktuelle Dominanz positiver Revisionen der Kreditratings dürften eine deutliche Ausweitung der Risikoprämien in der zweiten Jahreshälfte aber verhindern.
Inflation und die Reaktion der Zentralbanken wird das zentrale Thema der Märkte bleiben. Welcher Anteil des Inflationsanstiegs letztlich vorübergehend sein wird und wie die Zentralbanken auf die höheren Inflationsraten reagieren, dürfte ab dem Spätsommer klarer werden. Nach Jahren sehr niedriger Inflation werden die Notenbanken aber zunächst eher verhalten auf den zumindest teilweise nur zeitweiligen Anstieg der Inflation reagieren. Erst wenn sie sich sicher sind, dass die Inflation ohne Sonderfaktoren dauerhaft ihrem Ziel von etwa 2% entspricht, werden sie den Fuß deutlicher vom Gas nehmen. Wir erwarten, dass die Fed im Laufe des dritten Quartals einen ersten Zeitplan für das Rückführen ihrer Anleihekäufe vorstellen wird. Auch die EZB dürfte im weiteren Jahresverlauf das Tempo ihrer Anleihekäufe drosseln.
Der Anlagedruck der Anleger bleibt hoch. Seit Jahresbeginn haben global Fonds aller Anlageklassen Zuflüsse verzeichnet. Aktienfonds sahen mit historischen Rekordvolumina die stärksten Zuflüsse. Die mehr als 800 Mrd. US-Dollar Nettozuflüsse seit November sind laut Bank of America bereits deutlich mehr als in den gesamten zwölf Jahren davor. Zu einer Rotation aus Geldmarktfonds oder Anleihefonds kam es dieses Jahr aber nicht. Nach erneuten Zuflüssen liegen in US-Geldmarktfonds bereits wieder 4,5 Bill. US-Dollar, fast so viel wie zum Hochpunkt der Coronakrise.
Kaufgelegenheiten
Mit steigender Inflation wird der Anlagedruck immer höher, denn mit Bargeld, Geldmarktfonds und Staatsanleihen kann die Kaufkraft nicht erhalten werden. So dürften Anleger auch in den nächsten Monaten Rückschläge an den Märkten als Kaufgelegenheit nutzen. Globale Aktien haben seit November letzten Jahres keinen Rücksetzer größer als 5% gesehen. Rücksetzer größer als 10% gab es seit dem Corona-Bärenmarkt nicht mehr. Zudem sind systematische Anlagestrategien aufgrund der noch erhöhten Volatilität bei Aktien und Anleihen sowie deren zunehmend positiver Korrelation nicht sehr hoch in Aktien positioniert. Deshalb erachten wir auch über einen holprigen Sommer größere Rückschläge als wenig wahrscheinlich. Rückschläge böten bei unveränderten Erwartungen eher Kaufgelegenheiten. Die finanzielle Repression, d. h. ein Umfeld, in dem Zentralbanken das Renditeniveau unterhalb der Inflationsraten halten, spricht mittelfristig unverändert für reale Anlagen wie Rohstoffe und Aktien.
Bis mehr Klarheit über das Verhalten der Zentralbanken besteht und die Märkte die Fortsetzung des Konjunkturaufschwungs im Jahr 2022 ins Visier nehmen, sollten Anleger sich etwas weniger offensiv aufstellen, ohne jedoch pessimistisch zu werden. Eine leichte Übergewichtung in Aktien macht aus unserer Sicht weiter Sinn. Ein gewisser Liquiditätsbestand erlaubt es, Chancen zu ergreifen, sollte es zu deutlicheren Rückschlägen kommen. Der ständige Favoritenwechsel dürfte sich zunächst fortsetzen, zwischen Value und Growth ebenso wie zwischen zyklischen und defensiven Titeln. Ein strategischer Fokus auf strukturelles Wachstum sollte deshalb weiterhin taktisch um zyklische und Value-lastige Elemente ergänzt werden. Viele Value-Sektoren haben zuletzt von deutlich positiven Gewinnrevisionen profitiert. Für Rückenwind dürften unserer Meinung nach auch wieder steigende US-Anleiherenditen sorgen, eine Reflexion der breiten Konjunkturerholung weltweit. Defensive Anlagen dürften es nach der jüngsten Erholung in diesem Umfeld wieder schwerer haben. Regional sollten bei Aktien Europa und die Schwellenländer bevorzugt werden, zumal der Dollar bis zum Jahresende wieder zur Schwäche neigen dürfte. Insbesondere in Asien sehen wir Chancen – nach der starken Underperformance seit Jahresbeginn und unter der Annahme, dass auch dort die negativen Konsequenzen der Corona-Pandemie aufgrund des Impffortschritts nachlassen dürften. Keine ausgeprägte Positionierung sowie kein euphorisches Sentiment sprechen ebenfalls für Aufholpotenzial in Asien. Steigende Renditen werden es Anleiheinvestoren im weiteren Jahresverlauf grundsätzlich nicht leicht machen. Bei Anleihen sollten Durationsrisiken deshalb klein gehalten werden. Die laufende Verzinsung von Unternehmens- und Schwellenländeranleihen mit kürzeren Laufzeiten bleibt bevorzugt, auch wenn mit zunehmendem Fokus der Unternehmen auf den Shareholder Value eine weitere Einengung der Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen weniger wahrscheinlich ist. Bei Schwellenländerpapieren sollten hochverzinsliche Staatsanleihen sowie das Lokalwährungssegment favorisiert werden. Gold dürfte von anziehender Nachfrage, höherer Inflation und einer erneuten Abschwächung des US-Dollar profitieren. Es bleibt zur Diversifikation ein wichtiger Portfoliobaustein, selbst wenn die Anleiherenditen wieder steigen.
Zuletzt erschienen:
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Was Anleger im zweiten Halbjahr erwarten können (177), M.M. Warburg
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