Umsturz in Syrien mischt Ölregion Naher Osten auf
Umsturz in Syrien mischt Ölregion auf
Kurzfristig sinken die Gefahren für den Brent-Preis und die Versorgung des Westens – Aber langfristig nehmen sie zu
Der Umsturz in der bereits unruhigen Ölregion des Nahen Ostens hat zwar kurzfristig die Gefahren für die Ölversorgung eher reduziert. Dementsprechend ist der Ölpreis aktuell auch kaum gestiegen. Mittel- und langfristig dürften aber Kriegsgefahr und Risiken für den Ölmarkt deutlich zunehmen.
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Der Umsturz in Syrien und der plötzliche und für praktisch alle Experten der Region unerwartete Zusammenbruch der Regierung Assad hat weitreichende geopolitische Folgen für die gesamte Region und damit auch für die Märkte für Rohöl und Erdgas, die wohl mit Abstand wichtigsten Exportprodukte der Region. Dies gilt trotz der Tatsache, dass es kurzfristig nur eine geringe Reaktion des Ölpreises gegeben hat. Nachdem am Sonntag der bisherige Präsident Baschar al-Assad per Flugzeug aus dem Land floh, was eine 54-jährige Herrschaft seiner Familie beendete, hat sich die führende Ölsorte Brent Crude zwar am Montag um etwas mehr als 1% verteuert. Sie blieb aber mit unter 72 Dollar auf einem niedrigen Niveau, das praktisch keinerlei Risikoprämie für die zahlreichen geopolitischen Risiken in der Region beinhaltet.
Dies liegt vor allem daran, dass Syrien nach den langen Jahren des Bürgerkriegs praktisch kein Öl mehr produziert. Das Land erreichte in den 1980er Jahren mit immerhin rund 600.000 Barrel pro Tag (bpd) den Höhepunkt seiner Ölförderung. Aktuell waren es nach Schätzungen zuletzt nur noch rund 32.000 bpd bei einer gesamten weltweiten Förderung von mehr als 100 Mill. bpd. Die Ölquellen befinden sich im Nordosten des Landes, der von US-Truppen besetzt ist. Die US-Regierung ließ zumindest bis 2021 ein US-Unternehmen das Öl auf eigene Rechnung ausbeuten, der syrische Staat war und ist nicht an den Einnahmen beteiligt. Somit gibt es de facto keine direkte Beeinflussung des globalen Ölangebots durch die aktuellen Ereignisse.
Zudem lässt sich auch argumentieren, dass die geopolitischen Spannungen und die Gefahr eines großen regionalen Krieges durch den Umsturz zumindest kurzfristig abgenommen haben, was zunächst zu einer eher größeren Sicherheit der Ölversorgung des Westens führen sollte. Syrien war unter der alten Regierung Teil der von den Beteiligten selbst so genannten „Achse des Widerstands“ aus dem Iran, den schiitischen Kräften des Irak sowie der libanesisch-schiitischen Hisbollah-Miliz gegen die amerikanische Dominanz in der Region und gegen Israel. Mit dem Zusammenbruch der Regierung Assad existiert auch diese Achse nicht mehr, da es ohne die Transitwege durch Syrien nicht mehr möglich ist, Truppen, Waffen und Munition aus dem Iran in den Libanon zu transportieren. Dies wird es Hisbollah unmöglich machen, weiter gegen Israel zu kämpfen.
Allerdings ist zu erwarten, dass der Umsturz mittel- bis langfristig die Instabilität in der Region weiter erhöht. Dafür spricht unter anderem, dass sich die nun unter anderem von der Türkei unterstützten siegreichen Rebellengruppen in der syrischen Provinz Idlib, die bis vor kurzem noch ihren einzigen Machtbereich darstellte, häufig bewaffnete Kämpfe gegeneinander lieferten. Außerdem hatten in der Region von außen, vor allem von westlichen Staaten, militärisch herbeigeführte Machtwechsel in den meist von einer komplexen Struktur heterogener Bevölkerungsgruppen gekennzeichneten Ländern oft zu langen Zeitabschnitten der Instabilität geführt, wie die Beispiele Irak und Libyen zeigen. Zudem wird die führende Miliz, der Al-Kaida-Ableger Hajat Tahrir al-Scham (HTS) von der US-Regierung offiziell als Terrororganisation eingestuft und auf deren Kopf Muhammad al-Jawlani, der nun als neuer starker Mann Syriens gilt, haben die amerikanischen Behörden ein Kopfgeld von 10 Mill. Dollar ausgesetzt.
Machtwechsel auch im Iran?
Mittelfristig rechnen viele Beobachter damit, dass insbesondere Israel einen Machtwechsel auch im Iran anstreben könnte. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hat mehrfach angekündigt, er strebe eine Neuordnung der gesamten Region an. Erst vor wenigen Tagen drohte er der iranischen Führung, Israel sei bereit überall hinzugehen, um das eigene Volk zu schützen. Der Iran wiederum hat mehrfach angekündigt, Vergeltung für den israelischen Raketenangriff vom 27. Oktober üben zu wollen. Aus dem Umfeld des neuen US-Präsidenten Donald Trump hieß es zudem, dieser werde seine Sanktionspolitik „maximalen Drucks“ auf den Iran wieder aufleben lassen. Dies könnte erneut zu einem Kollaps der Ölexporte des Iran führen. Nach Schätzungen exportiert das Land derzeit immerhin 3,1 Mill. bpd. Irakische schiitische Milizen haben ebenfalls Israel ins Visier genommen. Entsprechende Maßnahmen Israels und der verbündeten USA gegen den Irak könnten sich stark negativ auf die irakische Förderung von 4,3 Mill. bpd auswirken. Ein kriegs- oder sanktionsbedingter Ausfall der Produktion beider Länder würde den Ölpreis sehr stark nach oben treiben.
Allerdings sind auch die derzeit freien Produktionskapazitäten der Opec gegenzurechnen, die auf rund 3 Mill. bpd geschätzt werden. Diese würden aber wenig helfen, wenn im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen die Meeresenge von Hormus gesperrt würde, durch die rund 20% des weltweit per Schiff transportierten Öls und rund 25% des LNG-Erdgases gehen.
Dass sich derartige Perspektiven aber derzeit nicht in einer Risikoprämie das Ölpreises niederschlagen, liegt auch daran, dass sich geopolitische Risiken in vielen Fällen nicht quantifizieren oder in ihrem Ausmaß voraussagen lassen. So kam der rasche Zusammenbruch der syrischen Armee und Regierung für praktisch alle regionalen Beobachter völlig überraschend. Außerdem ist es kaum möglich oder auch extrem teuer, sich gegen Worst-Case-Szenarien wie der Schließung der Meeresenge von Hormus abzusichern.