Bitcoin-Standard breitet sich in Lateinamerika aus
Von Manuel Andersch*)
Was macht denn das Thema Bitcoin in der Rubrik „Devisenwoche“? Während man hier zuletzt etwas abstrakter hätte argumentieren müssen – à la Bitcoin ist die Währung des Internets –, ist der Sachverhalt mit einem kurzen und übersichtlichen Gesetz aus El Salvador recht profan geworden. So wird Bitcoin ab dem 7. September neben dem US-Dollar gesetzliches Zahlungsmittel in dem lateinamerikanischen Land. Zahlungen in Bitcoin müssen dann grundsätzlich von allen Händlern angenommen werden, wobei die Regierung garantiert, alle Einnahmen auf Wunsch in Dollar umzutauschen. Auf Wikipedia firmiert Bitcoin auch schon als weitere offizielle Währung des Landes. Kopfzerbrechen bereitet das Vorgehen El Salvadors den Regulierungs- und Steuerbehörden anderer Staaten, da Bitcoin damit formal als eine ausländische Währung angesehen werden kann.
Nicht nur die heimischen Finanzinstitute, sondern weite Teile der Gesellschaft in El Salvador beschäftigen sich bereits intensiv mit Themen wie „Lightning“ und „Liquid“. Diese sogenannten „Second Layer“-Lösungen – konzeptionell mit Visa oder Apple Pay vergleichbar – sind essenziell, um Bitcoin-Transaktionen im Alltag günstig und häufig zu ermöglichen. Anders als beim Bitcoin Base Layer (der mit dem Zentralbanken-Settlement vergleichbar ist) unterliegen die „Second Layer“-Transaktionen geringeren Überprüfungsverfahren, wodurch diese deutlich schneller und günstiger sind.
Vulkane als Energiequelle
Unmittelbar nach Verkündung der „Legal Tender“-News durch den Präsidenten Nayib Bukele wurde diesem auf Twitter der anfangs eher halbernste Vorschlag unterbreitet, die Geothermie der Vulkane im Land zum Bitcoin-Mining zu nutzen. Inzwischen gibt es schon konkrete Projekte in dieser Richtung. Dies zeigt, dass die jüngste Diskussion über den CO2-Fußabdruck des Minings die Suche nach überschüssiger Energie verändert hat und neben dem Preis für die Energie die CO2-Bilanz eine wichtigere Rolle spielt. Allein dadurch wurden die bis vor kurzem zum Mining genutzten ausrangierten Kohlekraftwerke in China weniger attraktiv.
Zudem hat die chinesische Regierung im Vorfeld der flächendeckenden Einführung des digitalen Yuan mittlerweile das Schürfen des digitalen Konkurrenzprodukts im Land vollständig verboten. Dies führte zu einer großen „Hashpower-Migration“, bei der Miner in China zusammenpacken und ihr Equipment ins Ausland verschiffen, laut Medienberichten am häufigsten in die USA. Dort sind die Emissionsvorschriften für die Energiegewinnung unter der Biden-Regierung weiter verschärft worden. Kurzfristig hat das Mining-Verbot in China für hohe Verunsicherung gesorgt, und die Rechenpower des Netzwerkes ist spürbar zurückgegangen. Das Bitcoin-Netzwerk hat sich an der Stelle jedoch flexibel gezeigt. Mit der am vergangenen Wochenende vorgenommenen größten Schwierigkeitsanpassung in der Geschichte des Bitcoin (die Rechenoperationen wurden um 28% „einfacher“) ist die durchschnittliche Zeit für neue Transaktionsblöcke wieder auf die üblichen zehn Minuten gesunken.
Aber zurück nach El Salvador. Dort wird zur Finanzierung des grünen „Vulkan-Minings“ die Ausgabe von Mining Bonds erwogen. Diese Bonds sollen nicht auf gewöhnlichem Wege emittiert werden, sondern auf der Liquid Sidechain, einer auf dem Bitcoin-Protokoll basierten dezentralen Plattform.
Rückläufige Inflation
Dabei kommt die Frage „Warum gerade El Salvador?“ auf. Ein Grund ist der durch seine Social-Media-Präsenz erfolgreich gewordene Präsident. Er verfügt über eine klare Mehrheit im Kongress, was dabei hilft, ein derart historisches Vorhaben in kurzer Zeit umzusetzen. Es sprechen aber auch nüchterne Zahlen für einen besonderen Nährboden für das Vorhaben. Wenn man drei Kriterien anlegt – umfangreiche Überweisungen aus dem Ausland (mindestens 10% am BIP), geringe finanzielle Inklusion (mehr als 60% der Bevölkerung ohne Bankkonto) und keine exklusive eigene Währung (beispielsweise auch Nutzung des Dollar) –, ist die Liste an Ländern, die übrig bleiben, sehr übersichtlich: Haiti, Liberia und eben El Salvador. Während Haiti und Liberia hohe Inflationsraten aufweisen, ging die Teuerung in El Salvador 2020 sogar leicht zurück.
Dies legt die Vermutung nahe, dass die angestoßene grundlegende Änderung des monetären Systems aus einer Situation der relativen Stabilität erfolgt. Warum die obigen Kriterien (die übrigens auch von der Regierung in El Salvador angeführt wurden) eine Bitcoin-Einführung kurz- und mittelfristig attraktiver machen, liegt auf der Hand. Im Vergleich zu Ländern, die eine eigene Währung besitzen, hat die Bevölkerung von El Salvador in dieser Hinsicht keinen nationalen Stolz und ist Währungsumstellungen gewohnt. Zudem hat Bitcoin große Vorzüge bei grenzüberschreitenden Zahlungen, zumal jeder ohne Ausweis und Einkommensnachweis ein Bankkonto auf dem Smartphone eröffnen kann. Dies ist besonders in Ländern, in denen große Teile der Bevölkerung über kein Bankkonto verfügen, von Vorteil.
El Salvador ist im internationalen Vergleich drastisch „underbanked“: Gerade einmal 30% der Bevölkerung (15 Jahre und mehr) haben ein Bankkonto, was weniger ist als der Durchschnitt in Subsahara-Afrika und im Vergleich mit Nordamerika winzig erscheint. Das Experiment El Salvadors, das in anderen Ländern in der Region bereits zu ähnlichen legislativen Bestrebungen geführt hat, lehrt vor allem eines: Im Gegensatz zu vielen Investoren aus den USA und Europa, die Bitcoin als neue Assetklasse entdecken, kann Bitcoin der Bevölkerung in weniger privilegierten Regionen ganz neue Wege ebnen.
*) Manuel Andersch ist Senior Analyst bei der BayernLB.