Christopher Mellor

„Das Blockchain-Universum ist definitiv gewachsen“

Invesco sieht im Lieferkettenmanagement und Finanzwesen viel Potenzial für Blockchain-Anwendungen. Laut ETF-Experte Christopher Mellor entstehen dadurch auch aus Investorensicht große Chancen.

„Das Blockchain-Universum ist definitiv gewachsen“

Alex Wehnert.

Herr Mellor, Invesco ist bereits seit März 2019 mit einem Blockchain-ETF am Markt unterwegs. Zuletzt hat Ihr Haus auch ein Exchange Traded Product auf Bitcoin aufgelegt. Befürchten Sie nicht, dass die Vehikel einander Konkurrenz machen?

Unser physisch besichertes Bitcoin-ETP stellt eine Möglichkeit dar, gezielt in eine bestimmte Kryptowährung zu investieren. Es richtet sich insbesondere an institutionelle Investoren, die mit Blick auf ihr Risikomanagement nicht einfach ein Wallet eröffnen und Kryptowährungen direkt handeln können. Der Blockchain-ETF verschafft Anlegern hingegen einen Zugang zu einem breiten und diversifizierten Aktienportfolio. Enthalten sind Titel, die auf ganz unterschiedliche Weise vom Blockchain-Trend profitieren – ob durch den Einsatz von Distributed-Ledger-Technologien im Lieferkettenmanagement oder über eine direktere Beteiligung am Kryptomarkt. Die Produkte verfolgen also einen vollkommen unterschiedlichen Ansatz.

Es gibt aber durchaus Investoren, die Aktien aus dem Blockchain-Segment stellvertretend für Anlagen in Kryptowährungen nutzen. Dies war beim Zahlungsdienstleister Square zu beobachten, dessen Kurs nach dem Start der ersten Bitcoin-ETFs in den USA eingebrochen ist. Denn plötzlich war ja eine geeignetere indirekte Anlagemöglichkeit da.

Natürlich haben viele Aktien in dem Segment durch ihre Verbindung zu Bitcoin Auftrieb erhalten. Nur weil es jetzt futuresbasierte Bitcoin-ETFs in den USA gibt und der ETP-Markt in Europa wächst, schichtet der Großteil der Anleger aber nicht sofort sein gesamtes Kapital in diese Vehikel um. Denn wenn der Kryptomarkt sich stark entwickelt, werden auch damit verbundene Dienstleistungen stärker in Anspruch genommen. Das hilft Firmen wie Square oder anderen, die noch direkter ins Marktgeschehen involviert sind – zum Beispiel Minern wie Hive Blockchain Technologies oder Hut 8.

Im Index, den der Invesco Coinshares Global Blockchain ETF abbildet, sind auch Kryptobörsen enthalten. Welchen Einfluss hat das Wachstum des ETP-Markts auf diese Werte?

Nehmen wir das Beispiel unseres Bitcoin-Produkts: Wenn die Nachfrage danach hoch ist, führt dies dazu, dass unsere Authorized Participants (APs) neue ETP-Anteile schaffen müssen. Diese sogenannte Creation entsteht dadurch, dass die APs Bitcoin-Einheiten am Spotmarkt aufkaufen und an unser Vehikel abliefern, um im Gegenzug gleichwertige Anteile zu erhalten. Durch den Prozess wird also auch der Handel an den Kryptobörsen angeschoben, wovon deren Betreiber umsatzseitig profitieren. Möglich wird das auch, weil ETPs eben deutlich näher am Spotmarkt sind als die in den USA gestarteten Bitcoin-ETFs, die auf Terminkontrakten basieren.

Inwieweit hat sich das Investmentuniversum Ihres Blockchain-ETFs in den vergangenen anderthalb Jahren verändert?

Das verfügbare Universum ist definitiv gewachsen. Im Zuge der Aufschwünge am Kryptomarkt haben zum Beispiel mehr Miner und Handelsdienstleister ein Listing angestrebt. Die Analysten von Coinshares, deren Unternehmensanalysen in die Berechnung des Basisindex unseres ETF einfließen, bewerten die verfügbaren Titel nach dem Ausmaß ihres Blockchain-Exposures und gewichten diese dann auch entsprechend. Zum Start des ETF im März 2019 erreichten vier enthaltene Werte den hohen Wert von vier Punkten, heute kommen 15 Werte auf eine solch starke Exposition. Mit einer wachsenden Zahl an Pure Plays im Segment hat sich also auch die Qualität des Basisindex verändert. Allerdings sind darin nach wie vor 50 Werte enthalten.

Was ist der häufigste Grund für ein Ausscheiden aus dem Index?

Bei einigen Unternehmen haben sich die Blockchain-Pläne aufgelöst oder die Geschäftsmodelle haben sich nicht wie erwartet verändert. Ein Beispiel ist der Börsenbetreiber Intercontinental Exchange (ICE). Dessen Aktie war aufgrund der Möglichkeit im Index enthalten, dass an den ICE-Handelsplätzen Kryptofutures lanciert werden. Viel wichtiger war aber noch, dass der Börsenbetreiber den Einsatz von Blockchain-Technologien in seinen Abwicklungsprozessen geprüft hat. Allerdings hat die ICE die verantwortliche Sparte als Spac ausgegliedert. Daher bieten die Aktien des Börsenbetreibers keine direkte Blockchain-Exposition mehr.

Sie haben das Lieferkettenmanagement bereits als Beispiel für eine weitere Blockchain-Anwendung genannt. Hat die Coronakrise den Fortschritt auf diesem Feld eher gebremst oder beschleunigt?

Die derzeit vorherrschenden Lieferkettenprobleme sind physischer Natur: Es gibt zu wenig Containerschiffe, zu wenig Verlademöglichkeiten und zu wenig Lagerplatz, um Waren global effektiv manövrieren zu können. Das sind Probleme, die Blockchain-Technologie nicht allein lösen kann – doch dezentrale Anwendungen können dabei helfen, die Planung wesentlich effizienter zu gestalten. Das realisieren auch die Unternehmen: Die von Mærsk und IBM entwickelte Blockchain-Logistikplattform Tradelens hat in den vergangenen Monaten noch einmal kräftigen Zulauf von Reedereien wie Hapag-Lloyd und Ocean Network Express erhalten.

Erwarten Sie in anderen Branchen ähnliche Gemeinschaftsprojekte?

Dafür gibt es bereits einige Beispiele, etwa in der Handelsfinanzierung, der Assekuranz oder auch der Fintech- und Bankenbranche. So nutzen Unternehmen Blockchain-Plattformen gemeinschaftlich, um Kreditnehmer und Kreditgeber effizienter zusammenzubringen.

Gerade für die Bankenbranche ist die Adoption von Blockchain-Technologie aber kein einfaches Thema. Einerseits lassen sich durch sie neue Gewinnquellen erschließen, andererseits bedeutet die Ausbreitung dezentraler Technologien für Großbanken potenziell einen Machtverlust.

Das ist sicherlich richtig. Es gibt aber ganz unterschiedliche Reaktionen auf diese Herausforderung. Infolge der Finanzkrise von 2008 fuhren viele große Banken ihre Investitionen in IT-Systeme aufgrund des damals vorherrschenden Kostendrucks zurück. Das schuf Gelegenheiten für Fintechs, mit Innovationen, auch im Blockchain-Bereich, in die entstehenden Lücken vorzustoßen. Einige Start-ups haben ihre Position im Markt behauptet, viele sind jedoch von den großen Spielern am Markt übernommen worden. Natürlich ist es ein Ziel dezentraler Lösungen, Finanzintermediäre abzuschaffen. Doch wenn diese selbst die Kontrolle über die Entwicklung haben, werden sie auch Wege finden, weiter vom Blockchain-Trend zu profitieren.

Eines der bestimmenden Themen in Bezug auf ein dezentralisiertes Finanzwesen (DeFi) ist das Kryptolending. Die US-Börsenaufsicht SEC hat der Kryptobörse Coinbase zuletzt unter Androhung einer Klage verboten, eine Lending-Plattform zu starten. Nimmt die Regulierung dem DeFi-Trend den Wind aus den Segeln?

Der Fall um die SEC und Coinbase steht exemplarisch dafür, wie Regulierung in jeder jungen Assetklasse vor sich geht: Ein Unternehmen entwickelt eine Geschäftsidee, die die Behörden zunächst nicht auf dem Schirm haben – werden die Pläne konkreter, schreitet die Aufsicht vielleicht ein. Ich glaube aber, dass sich Regulatoren und Investoren mit zunehmendem Marktwachstum stärker an Kryptowährungen und verbundene Dienstleistungen gewöhnen und es letztlich einen ähnlich stabilen Regulierungsrahmen wie für andere Assets auch geben wird. Schon jetzt gibt bezüglich der Regulierung ja deutliche Abweichungen zwischen verschiedenen Märkten.

Wer ist in Bezug auf Krypto und Blockchain denn besonders fortschrittlich?

Das regulatorische Rahmenwerk ist in Japan vergleichsweise kryptofreundlich. Das ist ein Grund dafür, dass japanische Aktien in unserem Basisindex ein Übergewicht einnehmen. In Europa und den USA scheinen die Regulatoren ihre Positionen noch genauer auszuarbeiten.

Derweil hat China bereits digitales Zentralbankgeld eingeführt, die Federal Reserve und das Eurosystem prüfen ebenfalls entsprechende Varianten. Was bedeutet das für Blockchain-Anlagen?

Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld in den USA und dem Euroraum wäre sicherlich ein wichtiges Signal der Anerkennung für die gesamte Digital-Assets-Sphäre. Ich denke nicht, dass digitale Zentralbankwährungen mit bestehenden Kryptowährungen wie Bitcoin konkurrieren würden. Sie wären eher eine Hilfe dabei, die Geldmenge effektiver zu steuern.

Inzwischen haben sich auch einige andere Anbieter mit Blockchain- oder Digital-Assets-ETFs an den Markt gewagt. Wie schätzen Sie die Konkurrenzsituation im Segment ein?

In den USA gibt es schon einen etwas stärkeren Wettbewerb, in Europa ist er noch überschaubar. Natürlich besitzen wir mit unserem Produkt einen First-Mover-Vorteil und liegen etwa bei der Marke von 1 Mrd. Dollar Assets under Management. Für einige Investoren stellt die Größe eines Vehikels ein nicht zu vernachlässigendes Argument dar. Der Faktor, durch den wir uns am stärksten von anderen Anbietern unterscheiden, ist aber unser Analyseansatz.

Inwiefern?

Bei vielen Themen-ETFs ergibt es sicherlich Sinn, bestehende Indizes großer Börsenbetreiber nachzubilden. Aufgrund der Komplexität und der relativ kurzen Historie des Digital-Assets-Trends ist ein Bottom-up-Ansatz in Bezug auf Blockchain-Vehikel aber sinnvoller. Auf einer solchen präzisen Analyse einzelner Unternehmen basiert auch die Zusammensetzung unseres Produkts. Coinshares ist dabei als Partner sehr wichtig, weil die dortigen Analysten schon sehr viel Erfahrung mit Digital Assets mitbringen, was bei der Einschätzung des Blockchain-Exposures von Aktien helfen kann.

Das Interview führte

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