Delisting

Der strategische Rückzug von der Börse

Wie der Gang an die Börse ist auch der Rückzug vom Kapitalmarkt eine strategische Entscheidung. Wie ein Delisting abläuft und welche Gründe Unternehmen zum Abschied von der Börse bewegen.

Der strategische Rückzug von der Börse

Von Richard Mayer-Uellner und Dirk Schmidbauer *)

Für manches börsennotierte Unternehmen stellt sich die Frage, ob die Börsennotiz noch ihre Funktion erfüllt. Sind die mit der Notierung angestrebten Vorteile nicht mehr gegeben, sollte der Vorstand die Möglichkeit eines Delistings in Betracht ziehen. Denn er ist verpflichtet, die Vor- und Nachteile einer Börsennotiz stetig abzuwägen und unter Umständen den strategischen Rückzug von der Börse anzutreten. Prominente Beispiele aus jüngerer Vergangenheit sind die Börsenrückzüge von Myhammer, Hornbach Baumarkt, Holiday-Check Group und unlängst Siemens Gamesa. Auch der Teilrückzug von Linde sorgte vor kurzem für Schlagzeilen. SLM Solutions steht in den Startlöchern.

Erscheinungsformen

Als Delisting bezeichnet man den dauerhaften Fortfall der Zulassung einer Aktie zum Handel an einer Börse. Unterschieden wird zwischen dem echten oder regulären und dem kalten Delisting. Beim regulären Delisting wird die Zulassung der Aktien zum Handel aktiv durch die Gesellschaft widerrufen. Bei der anderen Form des Börsenrückzugs, dem sogenannten Cold Delisting, entfallen die Zulassungsvoraussetzungen für den Handel aufgrund einer Strukturmaßnahme.

Um kein Delisting im engeren Sinn handelt es sich beim sogenannten Downlisting, einem bloßen Segmentwechsel aus einem höheren in ein niedrigeres Qualitätssegment. Das Delisting kann einen vollständigen Rückzug von der Börse zur Folge haben (Going Private). Es kann aber auch allein zur Börsenpräsenzreduktion dienen, also um die Notierung an verschiedenen Börsenplätzen zu reduzieren.

Das reguläre Delisting setzt einen Antrag der Gesellschaft auf Widerruf der Zulassung zum Handel bei der Zulassungsstelle der Börse voraus. Gemäß § 39 Absatz 2 Satz 1 Börsengesetz (BörsG) entscheidet die Zulassungsstelle nach pflichtgemäßem Ermessen über den Antrag. Einer Zustimmung der Hauptversammlung bedarf es nicht. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in der „Frosta“-Entscheidung ausdrücklich festgestellt: Der Rückzug von der Börse stellt danach eine bloße Geschäftsführungsmaßnahme dar.

Nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung obliegt es daher dem Vorstand, gegebenenfalls mit Zustimmung des Aufsichtsrats, darüber zu entscheiden, ob die Zulassung der Aktie zum Handel an einer Börse aufrechterhalten wird.

Der Aktionär ist aber nicht schutzlos gestellt: Gemäß § 39 Absatz 2 Satz2 Börsengesetz darf das reguläre Delisting nicht dem Schutz der Anleger widersprechen. Geschützt wird insoweit das Anlegerinteresse, zu einem fairen Börsenpreis eine Desinvestitionsentscheidung treffen zu können.

Ist die Aktie künftig nicht mehr zum Handel im regulierten Markt – im Unterschied zum Freiverkehr – einer inländischen Börse oder in einem vergleichbaren ausländischen organisierten Markt zugelassen, so muss die Gesellschaft oder ihr Hauptaktionär den Aktionären ein Erwerbsangebot unterbreiten. Dieses Angebot erfolgt nach den Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes und richtet sich grundsätzlich an alle Aktionäre.

Die Aktionäre haben dann die Möglichkeit, ihre Aktien zu einem Mindestpreis in Höhe des Durchschnittskurses der letzten sechs Monate zu verkaufen. In der Regel wird das Delisting-Erwerbsangebot von einem Hauptaktionär unterbreitet, weil die Gesellschaft selbst nicht über die dafür erforderlichen Mittel verfügt.

Widerruf von Amts wegen

Beim Cold Delisting ist der Fortfall der Zulassung der Aktien zum Handel nur die Nebenfolge einer aktien- oder umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahme. Anders als beim regulären Delisting wird kein Antrag bei der Zulassungsstelle der Börse gestellt. Vielmehr wird die Zulassung von Amts wegen widerrufen, weil der ordnungsgemäße Handel der Aktie infolge der Strukturmaßnahme nicht mehr gewährleistet ist.

Die Entscheidung fällt originär in die Kompetenz der Hauptversammlung, da die aktien- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen deren Zustimmung mit qualifizierter Mehrheit voraussetzen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind der Ausschluss der Minderheitsaktionäre, die Verschmelzung auf einen anderen Rechtsträger und die Umwandlung in eine nicht börsenfähige Rechtsform. Das förmliche Widerrufsverfahren mit Anlegerschutzprüfung nach den Voraussetzungen des § 39 Börsengesetz findet in diesen Fällen nicht statt.

Allerdings ist den betroffenen Aktionären bei den Strukturmaßnahmen häufig eine Barabfindung anzubieten. Dies gilt wiederum nicht in den Fällen, in denen eine übertragende Verschmelzung auf eine andere börsenfähige Gesellschaft oder ein Formwechsel in eine andere börsenfähige Rechtsform erfolgt und deren Aktien (zumindest zeitnah) zum Handel an einer Börse zugelassen werden. Die Angemessenheit der angebotenen Barabfindung ist – anders als der Mindestpreis im Rahmen des regulären Delistings – im Rahmen eines gerichtlichen Spruchverfahrens überprüfbar.

Sofern der Vorstand über einen Börsenrückzug nachdenkt, sollte er die mit der Notierung verbundenen Vor- und Nachteile umfassend miteinander abwägen. Als Konsequenz dessen kommt gegebenenfalls statt eines Going Private auch eine bloße Börsenpräsenzreduktion in Betracht.

Hoher Aufwand

Gründe für eine Börsenpräsenzreduktion sind beispielsweise die häufig divergierenden regulatorischen Auflagen und Zulassungsfolgepflichten an den verschiedenen Börsen. Damit einher geht ein hoher Zeit-, Personal- und Kostenaufwand in den Bereichen Bilanzierung, Corporate Governance und Compliance.

Auch kann sich die Mehrfachnotierung nachteilig auf die Bewertung der Aktie auswirken, da diese dem Einfluss unterschiedlicher Faktoren und Bestimmungen mehrerer Börsenplätze gleichzeitig ausgesetzt ist. Der angestrebte Gleichlauf von Börsenkurs und innerem Wert der Aktie kann dadurch gestört werden.

Der Vorstand von Linde begründet die Börsenpräsenzreduktion ebenfalls mit dem Mehraufwand für das Dual Listing an der Frankfurter Wertpapierbörse und der New York Stock Exchange. Als Grund für den Rückzug von der Frankfurter Börse nennt der Vorstand zudem die Kappungsgrenze im Dax, welche die Gewichtung des einzelnen Börsenunternehmens im Leitindex auf 10% begrenzt. Die den Dax nachbildenden Indexfonds seien nämlich fortlaufend dazu gezwungen, Linde-Aktien zu verkaufen, weil Linde die Kappungsgrenze des Dax regelmäßig überschreite und infolgedessen ihre Gewichtung nachträglich gekappt werde. Dieser rein technische Verkaufsdruck habe eine Unterbewertung der Aktie zur Folge.

Ein vollständiger Rückzug von der Börse ist oftmals erst dann zu erwägen, wenn die Börsennotierung ihre Funktion als „Türöffner“ zum Kapitalmarkt nicht mehr erfüllt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Eigenkapitalaufnahme nicht mehr (vorrangig) über die Börse erfolgt, weil etwa ein Großaktionär über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um den Eigenkapitalbedarf des Unternehmens zu bedienen.

Sofern das Handelsvolumen oder der Streubesitz der Aktie nur sehr niedrig ist, kann der Zeit-, Kosten- und Personalaufwand für die Aufrechterhaltung der Notierung in einem Missverhältnis zu den damit verbundenen Vorteilen stehen. Durch den Rückzug von der Börse wird zudem das Risiko, Ziel einer feindlichen Übernahme zu werden, deutlich gesenkt.

Erschwerte Kapitalaufnahme

Aktuell machen niedrige Aktienkursbewertungen in einigen Branchen die Vorteile der Börsennotierung zunichte, weil sie die Eigenkapitalaufnahme erschweren. Dennoch sollte insbesondere der vollständige Rückzug von der Börse nicht voreilig erfolgen. Die Rückkehr an die Börse ist mit erheblichem Aufwand und Umsetzungsrisiken verbunden. Häufig wird es für mehrfachnotierte Börsenunternehmen daher sinnvoller sein, erst einmal die kostenintensive Mehrfachnotierung auf den Prüfstand zu stellen. Bei diesen wird sich das Missverhältnis der Vor- und Nachteile der Börsennotierung regelmäßig schon durch eine Börsenpräsenzreduktion ausgleichen lassen.

*) Dr. Richard Mayer-Uellner ist Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Dr. Dirk Schmidbauer ist Rechtsanwalt in der Sozietät.