Anleihen

Die Geldpolitik crasht den Rentenmarkt

Für einen Einstieg in den Anleihemarkt ist es noch zu früh. Erst wenn sich abzeichnet, dass der Zinserhöhungszyklus seinen Zenit erreicht hat, wird der Rentenmarkt wieder attraktiv.

Die Geldpolitik crasht den Rentenmarkt

An den internationalen Anleihemärkten erleben wir derzeit eine denkwürdige Entwicklung. Nach unseren Berechnungen ist es niemals zuvor – zumindest so weit, wie unsere Daten zurückreichen – zu einem derartigen Absturz bei den Anleihekursen gekommen, wie es im Moment zu beobachten ist. Bundesanleihen und US-Treasuries mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren haben seit Jahresbeginn 15% an Wert eingebüßt. Im Unterwasserchart, der den aktuellen Kurswert dem zuvor erreichten Höchstwert gegenüberstellt, beläuft sich das Minus sogar auf etwa 20%. Und auch bei den Euro-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von fünf bis sieben Jahren sowie Euro-Unternehmensanleihen (drei bis fünf Jahre) sieht es mit Verlusten von jeweils etwa 10% nicht viel besser aus.

Fehleinschätzung

Ursache für den Crash am Rentenmarkt ist die Geldpolitik der Notenbanken. Zu lange hatten die amerikanische Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank gehofft, dass der starke Inflationsanstieg nur von kurzer Dauer sein und quasi von selbst wieder verschwinden würde. Diese Fehleinschätzung rächt sich nun, da sich zeigt, dass die Inflationsrate für eine längere Zeit weit über der Zielmarke von 2% verharrt und die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale immer größer wird. Die Folge: Beide Zentralbanken befinden sich weit „behind the curve“, die Zinsen sind angesichts der hohen Inflation viel zu niedrig. Vor allem die EZB befindet sich weiterhin im „Schlafwagenmodus“. Zwar hat der EZB-Rat auf seiner letzten Sitzung angekündigt, dass er beabsichtigt, die Zinsen im Juli das erste Mal seit dem Jahr 2011 wieder zu erhöhen, allerdings soll es nur einen kleinen Schritt von 25 Basispunkten geben. Angesichts einer Inflationsrate in der Eurozone von zuletzt 8,1% ist das sehr zögerlich.

Die SNB macht es vor

Die Erklärung von EZB-Präsidentin Lagarde, dass es international geübte Praxis sei, einen Zinserhöhungszyklus mit einem kleinen Schritt zu beginnen, überzeugt jedenfalls nicht. Die Schweizerische Notenbank SNB zeigt mit ihrer Zinsanhebung um 50 Basispunkte jedenfalls, dass es auch anders geht. Immerhin wird seitens der EZB in Aussicht gestellt, dass es auf der September-Sitzung einen größeren Zinsschritt geben könnte, eine Erhöhung von 50 Basispunkten ist dann sehr wahrscheinlich. Und auch auf den nächsten beiden geldpolitischen Sitzungen der EZB im Oktober und Dezember dürften weitere Zinserhöhungen beschlossen werden, sodass der Hauptrefinanzierungssatz am Jahresende 1,25% bis 1,5% betragen dürfte – wenn die EZB aus Rücksichtnahme auf die Länder der europäischen Peripherie nicht doch wieder ein zaghafteres Vorgehen beschließt.

Im Unterschied zur EZB hat die US-Notenbank ihren Fehler erkannt und mittlerweile den geldpolitischen Turbo gezündet. Fed-Präsident Po­well ist damit aus dem Schlafwagen aus- und in den Rennwagen eingestiegen. Zuletzt hat man den Leitzins gleich um 75 Basispunkte erhöht. Das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Die Fed-Mitglieder gehen mittlerweile von weiteren Zinserhöhungen von 175 Basispunkten bis zum Jahresende aus, wobei dies an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die Inflationsrate in der zweiten Jahreshälfte deutlich zurückgeht. Da Fed-Präsident Powell auf seiner Pressekonferenz deutlich gemacht hat, dass es für die Notenbank essenziell ist, die Inflationsrate wieder Richtung 2% zu bewegen und alle anderen Ziele hinter dieser Aufgabe zurückstehen, rechnen wir auch für die nächste FOMC-Sitzung mit einer Zinserhöhung von 75 Basispunkten.

Denn im Unterschied zu 1994, als die Notenbank nach einer Erhöhung von 75 Basispunkten die Zinsen auf der nächsten Sitzung „nur“ um 50 Basispunkte anhob, ist dieses Mal die Preissteigerungsrate wesentlich höher (damals gut 2%, heute gut 6%), während die Arbeitslosenquote deutlich geringer ist (damals 5,5%, heute 3,6%). Am Jahresende dürfte der US-Leitzins dann in einer Spanne von 3,50% bis 3,75% liegen und im nächsten Jahr auf gut 4% angehoben werden. Eine günstigere Entwicklung der Kerninflationsrate dürfte auf dieses Szenario, solange keine Auswirkungen haben, solange die Gesamtinflationsrate nicht ebenfalls deutlich sinkt.

Für die Anleihemärkte zeichnet sich somit noch keine Entspannung ab. Zwar haben die Kapitalmarktrenditen mittlerweile einen guten Teil der zu erwartenden geldpolitischen Zinswende in den Kursen vorweggenommen, dennoch ist die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen ge­mes­sen an den Leitzinserwartungen noch etwa 80 Basispunkte zu niedrig. Da am Ende des Zinserhöhungszyklus die Zinsstrukturkurve (der Renditeabstand zwischen Staatsanleihen mit zehn- und zweijähriger Restlaufzeit) meistens sehr flach ist, sollte auch die Rendite für zehnjährige US-Trea­suries noch Richtung 4% ansteigen. Übertragen auf die Zinsprognose für zehnjährige Bundesanleihen dürften diese bei weiteren Leitzinserhöhungen durch die EZB noch auf 2% oder etwas darüber ansteigen.

Noch abwarten

Mit anderen Worten: Auch wenn die Kurse am Rentenmarkt für Neuengagements mittlerweile wieder deutlich attraktiver geworden sind, ist es für einen Einstieg im Moment noch zu früh. Erst wenn sich abzeichnet, dass der Zinserhöhungszyklus seinen Zenit erreicht hat, wird der Rentenmarkt und insbesondere der Kauf von Anleihen mit längeren Restlaufzeiten wieder attraktiv. Bis dahin sollte man noch abwarten.

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