Die Rupie bietet noch Aufholpotenzial
Von Stefan Grünwald*)
Noch 2013 und 2016 wurde Indien (neben Brasilien, Indonesien, Südafrika und der Türkei) zu den Fragile-Five-Staaten gezählt, zu jenen fünf Volkswirtschaften, die aufgrund ihrer Leistungsbilanzdefizite und einer hohen Verschuldungsdynamik als besonders krisenanfällig für Zinsanhebungen der US-Zentralbank eingestuft wurden. Diese Zeiten (und auch den Titel) hat Indien aufgrund der soliden Reformpolitik der Regierung unter Premierminister Narendra Modi weit hinter sich gelassen. So wurden beispielsweise wichtige Strukturerneuerungen im Dienstleistungssektor umgesetzt und mit einer entsprechenden Steuergesetzgebung den Standort für Investoren aus dem Ausland attraktiviert. Natürlich hat auch die zunächst viel diskutierte und durchaus auch umstrittene Währungsreform viel dazu beigetragen, da ein An-der-Steuer-vorbei-Agieren vieler Klein- und Kleinstunternehmer nun nicht mehr so leicht möglich ist und auch der Wildwuchs an Kleinstbanken – nebenbei betrieben von Steuerberatern, Ärzten und anderen wesensfremden Berufsgruppen – stark eingeschränkt werden konnte. All das hat die Institutionen gestärkt und das Wachstum Indiens – zumindest bis zum Ausbruch von Covid-19 – vorangetrieben. Rein ökonomisch betrachtet (und das nationalistische Vorgehen Modis außer Acht gelassen) hat sich Indien in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt. Das reflektiert auch die Währung des Landes, die Rupie.
Einflussreiche Ausländer
Schon bald nach den Fragile-Five-Phasen hat die Währung bis 2018 aufgewertet. Doch als die Fed 2018 ihre Leitzinsen anhob, konnte sich auch die Rupie als zinsreagible Währung einem Abwärtstrend nicht entgegenstemmen. Auch die beständigen Reformfortschritte konnten da nichts ausrichten, denn die Rupie ist – wie viele andere Währungen der Emerging Markets – eine High-Carry-Währung. Sie kommt unter Druck, wenn Zinsen und Volatilität steigen. Nach einer kurzen Erholungsphase im Jahr 2019 reagierte die Rupie 2020 erwartungsgemäß negativ auf den Kapitalrückzug der Anleger aufgrund von Covid-19. Der indische Aktienmarkt wird – vergleichen mit anderen Märkten – sehr hoch von ausländischen Investoren gewichtet. Ziehen sich die Anleger aus dem Aktienmarkt zurück und fallen die Aktienpreise, hat das auch einen deutlichen Impact auf die Währung. 2020 kam erschwerend hinzu, dass die geldpolitischen Maßnahmen aufgrund von Covid-19 auf die Währung drückten. Sie verzeichnete einen Wertverlust von 9% in der Krise gegen den Euro.
Auch wenn das Land die erste Welle in Bezug auf Infektionen und Todeszahlen vergleichsweise gut gemeistert hat, musste es 2020 einen sehr starken ökonomischen Abschwung von −4,2% des BIP hinnehmen (China ist im Vergleichszeitraum um 2,5% gewachsen). Viele Marktteilnehmer haben zu diesem Zeitpunkt noch mit einem sehr starken Rebound für 2021 gerechnet. Doch das aktuelle Covid-19-Infektionsgeschehen in Indien macht eine kräftige wirtschaftliche Erholung eher unwahrscheinlich bis unmöglich. Auch wenn der Abschwung im laufenden Jahr nicht so massiv ausfallen wird wie im vergangenen Jahr – denn inzwischen hat man sehr viel über das Virus gelernt und kann in Produktionsstätten entsprechende Maßnahmen setzten –, gehen Analysten aufgrund dämpfender Effekte für 2021 von nur 2 bis 3% Wachstum aus. Die Verluste aus dem Jahr 2020 werden wohl nicht aufzuholen sein. Und selbst ein Wachstum von 2 bis 3% über den gesamten Zyklus 2020/2021 scheint derzeit zu hoch gegriffen. Dieser Umstand hat die Rupie im April kurzfristig stark unter Druck gebracht – neben den Lockerungsmaßnahmen der indischen Zentralbank und der Ankündigung von Direktfinanzierungen von Projekten. Auch die Fiskalprogramme, um die Maßnahmen im Rahmen von Covid-19 abzudämpfen, haben eine starke negative Bewegung (−5%) der Währung gegen den Euro ausgelöst.
Risiken ausgepreist
Inzwischen gehen die Infektionszahlen wieder zurück. Investoren gehen davon aus, dass die Welle durch die Lockdown-Maßnahmen höchstwahrscheinlich gebrochen ist. Die Währung hat wieder aufgewertet und die Niveaus von vor den Maßnahmen der Notenbank erreicht. Mit der Annahme, dass sich die Wirtschaft in Indien wieder sukzessive verbessern wird, ist sehr viel Aktienkapital in den Markt geflossen und hat die Rupie entsprechend positiv unterstützt. Das Risiko, dass dieses Kapital wieder aus dem Markt fließen könnte, wurde von den Marktteilnehmern mittlerweile ausgepreist, da man auch sieht, dass die in Indien verfügbaren Impfstoffe gegen die sogenannte Delta-Variante wirken und eine weitere Ausbreitung zum derzeitigen Zeitpunkt handhabbar scheint.
Was die Risiken betrifft, ist die fiskalische Verschlechterung aufgrund der Covid-Maßnahmen 2020/2021 ein Thema. Das Budgetdefizit könnte Ende 2021 in Indien mehr als 9%, vielleicht sogar 10% erreichen. Doch das tut auf der Währungsseite nicht weh, denn das Budgetdefizit wird sehr stark aus dem Lokalwährungsmarkt bedient – im Dollar- sowie auch im Euro-Raum gibt es nur wenige Emissionen. Auch die Leistungsbilanz Indiens gibt wenig Grund zur Sorge, hier ist de facto ein Überschuss für das Jahr 2021 zu erwarten. Und auch die Zentralbank hat aufgrund vergleichsweise noch hoher Zinsen Handlungsspielraum.
Abwärtstrend gegen Euro
Die entscheidende Frage ist, ob die Währung den Erwartungen des Marktes standhalten kann. Wir gehen davon aus, dass das der Fall sein wird. Denn neben den verbesserten Aussichten, was das Infektionsgeschehen betrifft, werden auch die Reformschritte der Regierung weiterlaufen und für eine positive ökonomische Entwicklung sorgen. Auch wenn die Rupie gegen den Dollar schon einiges an Wert aufgeholt hat, bieten sich Anlegerinnen und Anlegern sehr attraktive Chancen: Denn gegen den Euro befindet sich die Rupie seit 2020/2021 auf einem beständigen Abwärtstrend, der noch immer anhält. Hier ist es für ein Investment noch nicht zu spät.
*) Stefan Grünwald ist Fondsmanager im Team „CEE & Global Emerging Markets“ bei Raiffeisen Capital Management.