Leitwährung

Dollar bleibt als sicherer Hafen gefragt

Der Dollar war im Schlussquartal 2022 nicht mehr als sicherer Hafen gesucht. Im neuen Jahr wird er aber wieder verstärkt als sicherer Hafen gefragt sein.

Dollar bleibt als sicherer Hafen gefragt

Von Dirk Chlench*)

Der Euro hat sich gegenüber dem US-Dollar in den zurückliegenden Monaten deutlich erholt. Der Kurs der Gemeinschaftswährung ist von unter 0,96 US-Dollar per 27. September 2022 bis auf 1,07 US-Dollar per Ende Dezember 2022 geklettert. Hauptursächlich für die Erholung des Euro gegenüber dem Dollar dürfte nach unserer Einschätzung bis Anfang Dezember eine Abnahme der Risikowahrnehmung an den Finanzmärkten gewesen sein. Wir verweisen auf hierzulande zeitweilig bis an den Rand gefüllte Gasspeicher. Auch ging die Aufwertung des Euro bis Anfang Dezember Hand in Hand mit einer Erholung der weltweiten Aktienmärkte. Zudem gewann im Zeitraum Ende September bis Anfang Dezember gegenüber dem Dollar nicht nur der Euro an Wert. Vielmehr werteten alle wichtigen Währungen gegenüber dem „Greenback“ auf. Dies spricht dafür, dass die Rolle des Dollar als „sicherer Hafen“ in dieser Phase nicht gesucht war.

Konfrontation ausgeblieben

Dem Eurokurs half daneben eine Zeit lang, dass die befürchtete Konfrontation zwischen der neuen italienischen Regierung unter Führung von Giorgia Meloni und der EU-Kommission bislang ausge­blieben ist. Die Renditeaufschläge zehnjähriger italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen mit kongruenter Laufzeit sanken bis Mitte Dezember spürbar.

Im weiteren Verlauf des Dezembers setzte sich die Erholung des Euro gegenüber dem Dollar fort. Dabei ging der Rückenwind nun von der Entwicklung der Renditen diesseits und jenseits des Atlantiks aus. In den Vereinigten Staaten gaben Mitte Dezember die Renditen kurzlaufender Emissionen des US-Schatzamtes zeitweilig spürbar nach. Auslöser war die Meldung, dass die US-Konsumentenpreise im November weniger stark ange­stiegen waren, als dies allgemein erwartet worden war. Im Euro­- raum schossen die Renditen kurzlaufender Anleihen indes in die Höhe. Verantwortlich hierfür zeichnete die Europäische Zentralbank. Deren Rat beschloss auf seiner Sitzung vom 15. Dezember 2022, die Schlüsselzinsen um jeweils einen halben Prozentpunkt zu erhöhen. Schwerer wog, dass die Ratsmitglieder in ihrer zugehörigen Presseerklärung zum Ausdruck brachten, weitere „signifikante“ Leitzinser­höhungen als nötig anzusehen. Anders sei eine zeitige Rückführung der Inflation zum Ziel von 2% nicht zu erreichen. Diese „hawkische“ Formulierung überraschte die Kapital- und Devisenmarktteilnehmer. Im Ergebnis sank, speziell am kurzen Ende der Kurve, der Renditevorsprung von US-Staatsanleihen gegenüber ihren Pendants aus dem Euroraum; der Kurs des Euro gegenüber dem Dollar stieg an.

Hinzu kommt, dass die für den Euroraum, vor allem für Deutschland, sehr weitgehend vorhergesagte Rezession bislang ausgeblieben ist. Die Leistung der deutschen Wirtschaft legte im dritten Quartal 2022 mit einer Veränderungsrate von 0,4% gegenüber dem Vorquartal zu. Zudem stieg der Ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland im Dezember den dritten Monat in Folge an. Auch haben sich Sorgen vor einer Gasrationierung in diesem Winter stark verringert.

Wie geht es nun weiter? Wir halten an unserer Prognose fest, dass die Wirtschaft des Euroraums dieses Jahr in eine Rezession stürzen wird. Die Vereinigten Staaten sollten einer Kontraktion zwar entgehen, dies jedoch nur denkbar knapp. Als verantwortlich für die Eintrübung der Weltkonjunktur sehen wir den aktuellen Energiepreisschock, gestiegene Leitzinsen und eine verringerte Gangart der Konjunkturlokomotive China an. Im Reich der Mitte lasten die Corona-Pandemie sowie Schieflagen in der Immobilienwirtschaft auf der Konjunktur. Angesichts dieses eingetrübten Ausblickes für die Weltwirtschaft sollten auch die Gewinnsteigerungen der Unternehmen geringer ausfallen als bislang allgemein erwartet. Die bis in den Dezember 2022 hinein anhaltende Aufwärtsentwicklung der Aktienkurse wird sich demnach voraussichtlich als Bärenmarktrally entpuppen. In diesem Umfeld wird nach unserer Prognose die Rolle des Dollar als „sicherer Hafen“ wieder verstärkt gesucht sein. Es kommt als Belastung für den Eurokurs hinzu, dass in den zurückliegenden Wochen die Renditedifferenzen innerhalb des Euroraumes wieder zugenommen haben. In der Vergangenheit ging eine Ausweitung des Renditeabstandes zwischen Emissionen südlicher Euro-Mitgliedsstaaten und Deutschlands mit einer Abwertung des Euro einher. Die Gemeinschaftswährung sollte daher gegenüber dem Dollar auf Sicht von sechs Monaten wieder nachgeben. Nach unserer Prognose wird der Kurs des Euro per Mitte 2023 auf 1,02 Dollar lauten.

US-Inflation geht zurück

Der Rückgang der US-Inflationsrate wird sich nach unserer Prognose im nächsten Jahr fortsetzen. Die Gründe hierfür sind eine Überwindung der derzeit noch verschiedentlich bestehenden Lieferkettenprobleme sowie der preisdämpfende Effekt einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Vor diesem Hintergrund dürfte die US-Noten­bank Fed im Schlussquartal 2023 ihre geldpolitischen Zügel wieder etwas lockern und zwei Leitzinssenkungen um jeweils einen Viertelprozentpunkt beschließen. Die Europäische Zentralbank dürfte hingegen dieses Jahr – wie von EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Dezember 2022 angedeutet – ihre Leitzinsen nicht senken. Die Notenbanker im Frankfurter Skytower haben ihren Zinserhöhungskurs auch erst vier Monate nach der ersten Zinserhöhung durch die US-Notenbank eingeläutet. In Antizipation der geldpolitischen Wende der US-Währungshüter dürfte der Kurs des Euro im zweiten Halbjahr 2023 gegenüber dem US-Dollar wieder zulegen. Nach unserer Prognose wird sich der Eurokurs per Jahresende 2023 auf 1,05 Dollar belaufen.

*) Dirk Chlench ist Senior Economist bei der LBBW.