Kampf um das Weiße Haus

Enge US-Wahl hält Bondmarkt im Bann

Die Volatilität am US-Anleihemarkt ist in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs noch einmal in die Höhe geschnellt. Strategen rechnen auch über den Urnengang hinaus mit heftigem Gegenwind für Treasuries.

Enge US-Wahl hält Bondmarkt im Bann

Enge US-Wahl hält Bondmarkt im Bann

xaw New York

Einer der engsten Präsidentschaftswahlkämpfe der jüngeren US-Geschichte hält die Märkte auf den letzten Metern in Atem. Bis Dienstagmorgen hatten laut der University of Florida 83 Millionen Frühwähler ihre Stimmen per Brief oder persönlich abgegeben, in landesweiten Umfragen besaß die demokratische Spitzenkandidatin Kamala Harris einen Vorsprung von 1,5% gegenüber ihrem republikanischen Widersacher Donald Trump. Unter den umkämpften und potenziell wahlentscheidenden „Swing States“ lag sie hingegen nur in Michigan und Wisconsin knapp vorn, während in Nevada eine Pattsituation besteht und Trump in Pennsylvania, Georgia, North Carolina und Arizona knappe Vorteile genoss.

Volatilität zieht beträchtlich an

Der gegen einen Korb aus sechs anderen Industrieländerwährungen gewichtete Dollar-Index fiel im frühen New Yorker Dienstagshandel um 0,2% – wie Charlie McElligott, Derivate-Stratege bei Nomura, betont, wickelten einige Händler ihre Wetten auf einen deutlicheren Trump-Wahlsieg und resultierende protektionistische Maßnahmen ab. Derweil hat die die Volatilität am im Greenback denominierten Anleihemarkt im Vorlauf zum Urnengang beträchtlich angezogen: Der ICE BofAML Move Index, der die Schwankungsbreite verschiedener Treasury-Laufzeiten abbildet, hat seit Ende September um über 46 Zähler auf mehr als 136 Punkte angezogen und damit den höchsten Stand seit Mitte 2023 erreicht – damals beunruhigte ein über Monate andauernder politischer Streit um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze die Investoren.

Ein Wahlsieg von Kamala Harris bei gespaltenem Kongress gilt als beruhigendes Szenario für die Märkte. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jacquelyn Martin.

Auch mit Blick auf den Wahlausgang sind die Ausgaben- und Steuerpläne der Kandidaten am Bondmarkt in den Fokus gerückt. „Die ohnehin schon hohe Verschuldung dürfte unter beiden Präsidentschaftskandidaten weiter deutlich wachsen“, betont Christian Subbe, Chief Investment Officer von HQ Trust. Vor dem Urnengang warnte die Non-Profit-Gruppe Committee for a Responsible Federal Budget davor, dass sich das US-Defizit bei einem Harris-Sieg über 10 Jahre um 3,5 Bill. Dollar ausweiten dürfte und bei einem Trump-Erfolg sogar um 7,5 Bill. Dollar.

Bald in einer Liga mit Italien

Das Congressional Budget Office (CBO) geht davon aus, dass das Defizit in den kommenden drei Jahrzehnten auf 8,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) klettern dürfte. Die Staatsverschuldung lag im Verhältnis zum BIP in den vergangenen vier Jahren auf Niveaus, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gesehen wurden, und könnte nach CBO-Prognosen innerhalb der kommenden Dekade in die Richtung von 140% klettern. Die USA könnten sich „gemessen an der Schuldenquote rasch in die Liga von Japan oder Italien katapultieren“, warnte auch Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF, zuletzt gegenüber der Börsen-Zeitung.

Die Teilnehmer am Bondmarkt haben sich in den vergangenen Wochen bereits auf einen deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung vorbereitet. Die Rendite der zehnjährigen Treasury lag am Dienstagmorgen New Yorker Zeit bei 4,32% und damit deutlich über dem Niveau von 3,62%, das sie kurz vor der Zinssenkung der Federal Reserve im September erreicht hatte. Die Wirkung der geldpolitischen Lockerung auf den Bondmarkt ist damit bisher weitestgehend verpufft, wie Analysten betonen.

Anfällig für Vertrauenskrisen

Zwar sei die Toleranz der Märkte für die parteiübergreifende „Buy now, pay later“-Haltung in der amerikanischen Finanzpolitik größer und der Spielraum der USA damit weiter als jener der meisten anderen Staaten. Dennoch: „Die Anfälligkeit für Vertrauenskrisen dürfte steigen und damit auch die Volatilität an den Anleihemärkten“, betonte Viebig. 

Rufe nach einer grundlegenderen Haushaltsreform drohen auch nach der Wahl und unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Senat und Repräsentantenhaus ungehört zu verhallen. „Der Kongress ist notorisch risikoavers und wird nur in einer Krise handeln“, unterstreicht Brian Gardner, Washington-Chefstratege beim US-Finanzdienstleister Stifel. Dies sei erst dann der Fall, wenn die Wirtschaft nicht mehr ausreichend wachse und staatliche Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung oder des Gesundheitssystems nicht mehr zu 100% garantiert werden könnten – nach Berechnungen des CBO und unterschiedlicher Think Tanks also in zehn Jahren. 

Währungseffekte sorgen für Druck

Matthew Ryan, Leiter Markstrategie beim Finanzdienstleister Ebury, gibt indes zu bedenken, dass ein gespaltener Kongress es beiden Kandidaten zwar deutlich erschweren würde, ihre Fiskalpläne umzusetzen, Donald Trumps Vorhaben neuer Strafzölle gegen China davon aber kaum betroffen sein werde. „In diesem Szenario rechnen wir mit einer starken Abwärtsbewegung bei Risiko-Währungen insbesondere in Asien“, betont Ryan.

Donald Trump könnte im Falle eines Wahlsiegs schnell zu neuen Strafzöllen gegen China greifen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evan Vucci.

Der Druck auf den US-Anleihemarkt könnte infolge von Währungseffekten also noch zunehmen. Nomura-Mann McElligott hält einen Harris-Wahlsieg bei gespaltenem Kongress für den Ausgang, der die Volatilität am Bond- und darüber auch am Aktienmarkt am stärksten im Zaum halten könnte. Denn in diesem Fall wäre in geringerem Umfang mit protektionistischen Maßnahmen zu rechnen, während die „radikaleren“ Teile der demokratischen Ausgabenagenda weniger Aussichten auf Umsetzung besäßen.

Aggressive Umschwünge voraus

Ebury-Stratege Ryan sieht unterdessen „die Tür weit offen“ für „sehr aggressive Marktumschwünge in der Wahlnacht“. Die Blicke der Bondinvestoren richten sich nun auf die ersten Wahltagsbefragungen (Exit Polls), die ab 17 Uhr US-Ostküstenzeit (23 Uhr deutscher Zeit) zur Verfügung stehen. Kentucky und Indiana sind die ersten Bundesstaaten, in denen die Wahllokale zwischen 18 und 19 Uhr Ostküstenzeit schließen.