„Es reicht nicht, nur ESG-Ratings heranzuziehen“
Christopher Kalbhenn.
Herr Huber, was halten Sie davon, dass die EU Atomenergie und Erdgas in die Taxonomie einbezieht und damit als nachhaltig klassifiziert?
Das sehen wir sehr kritisch. Man sieht, dass die EU von vielen Lobbys regiert wird. Hinzu kommen die Interessen einzelner Länder. Die Länder, die in den vergangenen Jahren sehr stark auf diese Energiequellen gesetzt haben, haben wenig Interesse, die teure Energieumstellung umzusetzen. Daher verwundert uns dieses Ergebnis auch nicht. Als Investoren halten wir jedoch entschlossen an unserer Meinung fest. Atomenergie halten wir in unseren Nachhaltigkeitsfonds nicht, und das wird auch so bleiben.
Derzeit will, etwas vereinfacht ausgedrückt, jeder nachhaltig sein. Geht das überhaupt, und kann Nachhaltigkeit dann noch ein sinnvolles Unterscheidungsmerkmal sein?
Es gibt das Problem, dass es sehr schwer ist, Nachhaltigkeit zu quantifizieren und zu beschreiben, weil sie nicht schwarz/weiß ist. Es gibt viele Beispiele, dass man die Nachhaltigkeit von Unternehmen verifizieren muss. Wenn man Drittanbieter nutzt – man braucht sie, weil es keinen Sinn ergibt, etwa den Wasserverbrauch von tausenden Unternehmen zu ermitteln –, ist es unerlässlich, dass man bei den Unternehmen, die man in der engeren Wahl hat, selbst noch mal hinschaut. Es geht nicht darum, jeden einzelnen Key Performance Indicator anzuschauen. Aber es ist wichtig, sich das Geschäftsmodell, die einzelnen Sparten, genauer anzusehen. Es gibt viele Unternehmen, die gute Ratings haben, die aber nicht wirklich nachhaltig sind, wenn man genau hinschaut. Etliche Unternehmen, die im Prinzip passen, haben problematische Bereiche.
Können Sie Beispiele nennen?
Unternehmen aus der Lebensmittelbranche. So kann ein großer Konzern der Branche beispielsweise Wasserrechte erworben haben. In solch einem Fall geht es um das Thema, wie mit Wasserressourcen umgegangen wird. Wenn der Erwerb von Wasserrechten zur Folge hat, dass die arme Bevölkerung teuer Wasser kaufen muss, ist das aus Nachhaltigkeitssicht problematisch. Das Gleiche gilt für Wasserknappheit und sinkende Grundwasserspiegel. Das ist auch ein Reputationsrisiko, auf das man als Investor achten muss. Man kann nicht immer alles vermeiden. Aber es reicht nicht allein, in ein Unternehmen zu investieren, nur weil es 80 von 100 möglichen Punkten von einer Researchagentur bekommt. Deshalb haben wir den Weg gewählt, dass wir uns mit dem Nachhaltigkeitsthema intensiv beschäftigen, dass wir uns in Bezug auf gewisse Zukunftsthemen ein eigenes Bild machen. Es reicht nicht, nur ESG-Ratings heranzuziehen. Wir schauen selber hin.
Sind ESG-Ratings vielleicht ein Problem?
Es ist ein bisschen ein Problem unserer Branche, dass man im Prinzip die ESG-Analyse mit Hilfe von Ratings schnell erledigen kann. Für uns ist es wichtig, eine hauseigene ESG-Expertise aufzubauen. Als Fondsmanager muss man auch in der Lage sein, die Daten zu bewerten, man muss Zeit investieren. Sonst läuft man Gefahr, Unternehmen im Portfolio zu haben, bei denen gewisse Probleme übersehen werden.
Es gab zuletzt das Ansinnen, sogar Rüstungsunternehmen mit einem ESG-Label zu versehen. Ergibt ESG noch irgendeinen Sinn, wenn sich das durchsetzen sollte?
Dass man versucht, Rüstungsunternehmen als nachhaltig darzustellen, weil sie der Verteidigung dienen, ist ein typisches Greenwashing-Thema. Das versuchen vor allem US-Broker zu pushen, weil sie auch von der Lobby getrieben werden sowie auch von den Rüstungskonzernen. Die sagen: „Wir helfen nur der Verteidigung.“ Das ist sehr fragwürdig.
Ein Impuls dazu war aber doch auch der Krieg in der Ukraine.
Rheinmetall hat sich in diesem Zusammenhang für die Klassifizierung der Branche als nachhaltig ausgesprochen. Ich will damit nicht sagen, dass Rheinmetall bewusst Greenwashing betreiben will. Nur schließen wir die Branche auf jeden Fall aus. Wir können auch gar nicht im Einzelfall bewerten, ob bestimmte Waffen zur Verteidigung genutzt werden. So wird beispielsweise auch Saudi-Arabien mit Waffen beliefert, und wir wissen, dass das Land im Jemen Krieg führt.
Nun wird aber doch wohl kein Fondsmanager Rüstungsfirmen in ein als nachhaltig ausgewiesenes Portfolio nehmen.
Es gibt durchaus einige Fondsgesellschaften, die das machen. Sie behaupten, dass die Waffen dem Frieden dienen. Letztlich steckt dahinter der Wunsch, diese Unternehmen zu kaufen, die in den nächsten Jahren hohe Wachstumsraten haben werden, weil die Militärbudgets stark erhöht werden. Das ist sehr opportunistisch, einen Bereich als nachhaltig zu bezeichnen, nur weil es dort gerade gut läuft. Das ist kein nachhaltiger Ansatz.
Welche Branchen sind für Sie außer Atomenergie und Rüstung noch tabu?
Außer Atomenergie und Waffen sind bei uns unter anderem die Tabakindustrie und Pornografie ausgeschlossen. Weitere Kategorien, die schwierig in der Handhabung sind, sind Arbeitsrechts- und Menschenrechtsverletzungen. Hier muss man genau prüfen. Ausgeschlossen sind ferner Tierversuche, die nicht notwendig beziehungsweise nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Im Energiebereich ist der Umgang mit Kohle und Öl wichtig. In den Core-Nachhaltigkeitsportfolios haben wir schon lange kein Öl und keine Kohle mehr. Erdgas ist eine Übergangslösung, die noch gebraucht wird. Hier haben wir eine Obergrenze für den Umsatzanteil von 5%. Allerdings wollen wir von den Unternehmen einen Plan über den Ausstieg aus den Gasaktivitäten sehen.
Welche Branchen oder Segmente sind für Sie unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten im positiven Sinne interessant?
Wir finden die Unternehmen interessant, die die Lösungen für die Probleme bieten, nicht diejenigen, die die Lösungen heranziehen und zum Teil eigentlich für die Probleme verantwortlich sind. Zu den positiven Beispielen zählen Unternehmen der Kreislaufwirtschaft, so etwa die norwegische Tomra. Sie bietet Rückgabeautomaten für Pfandflaschen und Dosen. Das Unternehmen hat aber durchaus auch andere interessante Produkte wie eine Lasertechnologie, die unterschiedliche Kunststoffarten zu 99% auseinanderhalten kann. Damit kann die Recyclingquote erhöht werden. Allerdings braucht es dazu auch jemanden, der bereit ist, das Material einzusammeln. Letztlich wird noch viel Kunststoff verbrannt. Die Politik ist hier noch unzureichend. Man könnte auch einheitliche Kunststoffstandards setzen. Hinzu kommt die finanzielle Komponente. Für das recycelte Material braucht man auch Abnehmer. Für die Produktion von Kunststoff wird vorwiegend Erdöl verwendet, so dass es ein Problem gibt, wenn es wie vor zwei Jahren sehr billig ist. Insofern sind die derzeit hohen Ölpreise vorteilhaft, weil sich recycelte Kunststoffe wieder rechnen.
Können Sie noch so ein Beispiel nennen?
Die ebenfalls norwegische Borregaard. Dieses Unternehmen stellt aus Holz verschiedene Zusatzstoffe für Produkte her, die ansonsten auf ölbasierten Kunststoffen basieren. Eigentlich ist Borregaard eine nachhaltige Bioraffinerie. Zu ihren Produkten zählen unter anderem Biopolymere. Sie finden für fast jedes Produkt, das man sich vorstellen kann, Anwendung. Das reicht von Düngemitteln, Tierfutter und Zusatzstoffen für Batterien bis hin zu Farbe. Weitere Produkte des Unternehmens sind Zellulose, Biovanillin und Bioethanol. Das Beispiel führt uns auch vor Augen, dass der Rohstoff Holz viel zu schade ist, um ihn zu verbrennen. Wir können aus Holz viele Stoffe gewinnen. Es ist wichtig, mit dem Rohstoff Holz gut umzugehen und ihn nicht zu verschwenden.
Das Interview führte