Evergrande am Rand des Defaults
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Wie sich am Dienstag herausgestellt hat, ist China Evergrande auch nach Ablauf einer einmonatigen Gnadenfrist fälligen Kuponzahlungen über rund 85 Mill. Dollar nicht nachgekommen. Damit läuft Chinas größter Emittent von dollardenominierten Hochzinsanleihen unweigerlich auf ein Schuldenrestrukturierungsverfahren zu, das den Bondinvestoren empfindliche Verluste bescheren wird.
Zwar ist es am Dienstag zu chinesischer Zeit noch nicht zur offiziellen Deklaration eines sogenannten Default Event gekommen, mit dem Evergrande seine Zahlungsunfähigkeit am Bondmarkt eingesteht, doch heißt es seitens der Ratingagentur S&P, dass der Default praktisch unvermeidlich geworden ist. Sollte nicht die chinesische Regierung mit einer irgendwie gearteten Überbrückungslösung aufwarten, die bereits versäumte und auch demnächst kommende Kuponzahlungen mit einschließt, müssen die ausstehenden Dollarbonds von Evergrande im Volumen von gut 19 Mrd. Dollar als geplatzt gelten und werden damit Gegenstand eines komplizierten Schuldenrestrukturierungsverfahrens.
Peking hatte bereits seit Monaten deutlich gemacht hat, dass es keinen staatlichen Bail-out für Chinas zweitgrößten Immobilienentwickler geben wird. Evergrande wiederum hatte am Freitag angekündigt, sich aktiv um einen Restrukturierungsplan für ihre offshore begebenen Anleihen bemühen zu wollen. Nun geht es vor allem darum, ein geordnetes Verfahren einzuleiten und den Marktteilnehmern zu signalisieren, dass Evergrande einen spektakulären Einzelfall abgibt, der keine Welle von nachgelagerten Zahlungsausfällen bei anderen hoch verschuldeten privaten chinesischen Immobilienentwicklern auslöst.
Derzeit scheint Chinas Regierung vor allem darum bemüht, dass Evergrande ihren Verpflichtungen gegenüber heimischen Gläubigern weiter nachkommen kann und die Default-Krise auf die Offshore-Bonds beschränkt bleibt. Zuletzt sind umlaufende Evergrande-Anleihen mit Fälligkeiten zwischen 2022 und 2025 auf ein Niveau von rund 20 Cent zum Dollar zurückgefallen, haben also bereits rund 80% ihres Wertes eingebüßt. Damit ist man bereits relativ nahe am sogenannten Recovery Value angelangt, also einer Anspruchsbefriedigung, die Gläubiger im Falle einer Zerschlagung des Konzerns zu erwarten hätten. Aller Voraussicht nach kommt es aber nicht zum totalen Zusammenbruch von Evergrande, sondern einem von chinesischen Obrigkeiten gesteuerten Restrukturierungsverfahren, bei dem sich Evergrande auf einen Schuldenschnitt (Haircut) einigt, der die Bondhalter auf gewaltig reduzierte Zahlungsansprüche aus den Schuldtiteln limitiert. Wie auch immer der Schuldenkompromiss letztlich abläuft, muss man aber davon ausgehen, dass Chinas Immobilienfirmen der Zugang zu ausländischen Investoren über die Dollaranleiheschiene künftig versperrt bleibt und sie nur noch heimische Quellen anzapfen können.