Frieden in der Ukraine würde satte Gewinne am EU-Gasmarkt bringen
Ukraine-Frieden würde Gewinne mit EU-Gas bringen
Aus derzeitiger Sicht dürfte die Wiederbefüllung der Speicher für den nächsten Winter aber teuer und schwierig werden − Sehr niedrige Füllstände
Die aktuell niedrigen Füllstände der EU-Erdgasspeicher demonstrieren, dass die europäische Erdgasversorgung weiterhin unsicher ist. Sollte es allerdings, wie von US-Präsident Donald Trump angestrebt, zu einem Ende des Ukraine-Kriegs kommen, winken den Akteuren am EU-Erdgasmarkt satte Gewinne.
ku Frankfurt
Der Preis für Erdgas am europäischen Markt ist zuletzt spürbar zurückgegangen. Waren im Februar in der Spitze noch rund 57 Euro je Megawattstunde bezahlt worden, ist der Monatskontrakt am virtuellen niederländischen Übergabepunkt Title Transfer Facility (TTF) seither auf knapp 43 Euro gesunken. Und auch bei den längeren Laufzeiten herrscht eine gewisse Entspannung vor. So wird die Laufzeit per erstem Quartal 2026 derzeit zu knapp 40 Dollar gehandelt. Damit ist Erdgas zwar aktuell noch doppelt so teuer wie vor Beginn der europäischen Energiekrise. Aber die Exzesse sind zumindest abgebaut.
Sehr niedrige Füllstände in der EU
Das überrascht, sind doch die Füllstände der Gasspeicher in der Europäischen Union derzeit ausgesprochen niedrig (vgl. Grafik). In der EU sind es jetzt am Ende des Winters gerade einmal 36,2% per 12. März. In Deutschland sind die Speicher zu 31,5% gefüllt. Dies liegt daran, dass der Winter deutlich kälter war als in den drei Vorjahren, während gleichzeitig an rund 60% der Tage die sogenannte „Dunkelflaute“ vorherrschte, also die gleichzeitige Abwesenheit von ausreichend Sonneneinstrahlung und Wind, sodass die regenerativen Energien weitgehend ausfielen. Der europäische Füllstand liegt sehr deutlich unter den entsprechenden Werten der vergangenen drei Jahre, die zwischen 56 und 60% betrugen. Es gab zwar in den Jahren 2021 und 2022 noch niedrigere Füllstände zum gleichen Zeitraum im Jahr mit 26 bzw. 32%. Damals war es trotzdem gelungen, die Speicher bis zum Winter wieder gut zu füllen, wobei die EU verlangt, dass die Speicher per 1. November zu 90% gefüllt sein müssen, damit die EU über den Winter kommt. Allerdings gibt es große Unterschiede zu diesen beiden Jahren: Damals existierte noch die Durchleitung russischen Pipeline-Gases durch die Ukraine in die EU, die von der ukrainischen Regierung Anfang dieses Jahres beendet wurde. Zudem ist mit der Ukraine inzwischen ein weiterer Gasverbraucher hinzugekommen, der auf Gas aus Westeuropa angewiesen ist, weil das vom Krieg schwer gezeichnete Land kein russisches Gas mehr will. Und nicht zuletzt gibt es auch keine deutschen Kernkraftwerke mehr, sodass die Stromerzeugung aus Erdgas eine größere Rolle spielt als früher.
Hohe Abhängigkeit vom volatilen LNG-Markt
Das erschwert die Wiederauffüllung der Speicher für den kommenden Winter erheblich. Denn Europa ist nun auf Gedeih und Verderb auf die Lieferungen von verflüssigtem Erdgas (LNG) per Tanker als mit Abstand wichtigste Erdgasquelle angewiesen − was eine sehr volatile Energiequelle darstellt, weil es keinerlei langfristige Verträge gibt und es in der Vergangenheit schon oft kurzfristig Umleitungen der Tankschiffe gegeben hat, wenn auf Märkten außerhalb der EU höhere Gewinne zu erzielen waren.
Waffenstillstand angestrebt
Warum aber ist dann der TTF-Erdgaspreis derzeit so relativ niedrig? Bei den Verhandlungen zwischen der Trump-Administration und Vertretern der ukrainischen Regierung im saudi-arabischen Dschidda haben die beiden Parteien einen 30-tägigen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen vereinbart. Auf diesen hatte Trump seit seiner Amtseinführung gedrungen, und es hatte sich aus Sicht der Marktteilnehmer schon länger abgezeichnet, dass sich die Ukraine den Wünschen ihres wichtigsten Finanziers und Waffenlieferanten letztlich beugen muss − trotz des Widerstands der europäischen Länder.
Geopolitische Positionierung
Insofern wollen die Marktteilnehmer nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden, falls es tatsächlich zu einer Beendigung des Kriegs kommt und die Durchleitung von Gas durch die Ukraine und eventuell sogar über die Nord-Stream-Pipelines wieder aufgenommen werden sollte. Denn auch hinsichtlich der Nord-Stream-Pipelines, die seit dem Anschlag immer noch schwer beschädigt sind, aber wohl repariert werden könnten, gibt es hinter den Kulissen Aktivitäten. Daher hat das Schweizer Kantonsgericht in Zug die Liquidierung der Nord Stream AG bislang immer wieder hinausgezögert.
Ukrainische Armee unter starkem Druck
Allerdings gibt es Faktoren, die ein solches Szenario der baldigen Wiederaufnahme der Lieferungen russischen Erdgases per Pipeline wenig realistisch erscheinen lassen: So streben die EU-Kommission und viele europäischen Regierungen weiterhin die komplette Abnabelung von russischer Energie an. Zudem hat die russische Seite bislang einen Waffenstillstand abgelehnt, sie besteht darauf, dass erst die dem Krieg zugrunde liegenden Konflikte in Verhandlungen gelöst werden. Zudem hat die russische Armee nicht nur im Gebiet Kursk zuletzt sehr deutliche Bodengewinne gegen die stark unter Druck stehenden ukrainischen Streitkräfte erzielt, sodass ein Waffenstillstand zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus militärischer Sicht nur für die Ukraine, nicht aber für Russland vorteilhaft wäre, weil er der ukrainischen Armee eine dringend benötigte Atempause geben würde.
Erstmals seit 2022 Backwardation
Derzeit gibt es erstmals seit 2022 − damals begannen der Ukraine-Krieg und der EU-Boykott − den Zustand der Backwardation, dass also die Kontrakte per Winter 2026 niedriger notieren als die Kontrakte per Sommer dieses Jahres, was die Situation widerspiegelt, dass es schwierig und teuer werden dürfte, die EU-Speicher über den Sommer ausreichend zu füllen.
Von den USA abhängig
Dazu trägt auch bei, dass über den Lieferungen aus den USA als dem mit Abstand wichtigsten LNG-Lieferanten der EU stets ein Fragezeichen schwebt. Aktuell gibt es für US-Verbraucher eine enorme Verteuerung des Energieträgers von rund 140% gegenüber Vorjahr, wobei in den USA 43% des gesamten Stroms aus Erdgas erzeugt werden. Erdgas ist auch für die US-Landwirtschaft unerlässlich, weil daraus Kunstdünger hergestellt wird. Gleichzeitig werden nicht weniger als 19% der gesamten US-Erdgasproduktion als LNG exportiert. Düngerproduzenten verfügen zwar in der Regel über langfristige Gaslieferverträge. Gleichwohl haben sie in der Vergangenheit bei einem Anstieg des Gaspreises regelmäßig ihre Absatzpreise deutlich erhöht. Und US-Regulatoren auf Ebene der Bundesstaaten haben den Stromproduzenten in der Regel deutliche Preiserhöhungen genehmigt, wenn deren Beschaffungspreise stark stiegen. Im Januar hatte Trump das von seinem Vorgänger Joe Biden erlassene LNG-Exportverbot gekippt. Es ist aber denkbar, dass Trump einen Rückzieher macht − vor allem dann, wenn Trumps Handelspolitik wie derzeit absehbar wenig mehr Ergebnisse bringt als zusätzliche finanzielle Belastungen für seine Wähler.
Carry-Erträge winken
Sollte es aber entgegen den Erwartungen dennoch zu einem Ende des Kriegs, der Aufgabe der Europa selbst schwer belastenden EU-Sanktionen und damit zu einer Normalisierung der europäischen Gasversorgung kommen, rechnen die Rohstoffanalysten der Bank of America damit, dass den Akteuren am Gasterminmarkt satte Carry-Gewinne winken, wenn der Markt zum normalen Zustand des Contango zurückkehrt, in dem weiter in der Zukunft fällig werdende Kontrakte höher notieren als der Spotpreis oder kurzfristige Fälligkeiten. Damit würde es wieder die üblichen Rollgewinne am Gasterminmarkt aus dem Transfer der Mittel aus fälligen in länger laufende Kontrakte geben.
Bis dies Realität wird, ist aber weiterhin mit einer angespannten Lage am europäischen Gasmarkt zu rechnen sowie mit einer stets unsicheren europäischen Energieversorgung inklusive der ständigen Gefahr schwerer Krisen.