Höhere Zinsen setzen Goldpreis zu
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Der Goldpreis hat im bisherigen Jahresverlauf eine bemerkenswerte Preisentwicklung hinter sich. Ausgehend von einem Niveau zum Jahresanfang von rund 1830 Dollar je Feinunze kletterte die Notierung zu Beginn des Ukraine-Kriegs bis auf über 2070 Dollar. Dann jedoch setzte ein seither andauernder Preisverfall ein, der in der vergangenen Woche in einem Tief von 1653,10 Dollar resultierte. Dies war der niedrigste Stand seit April 2020. Gold wird damit seiner klassischen Rolle als Inflationsschutz und Wertaufbewahrung in Krisenzeiten nicht gerecht, obwohl die Inflationsrate mittlerweile beispielsweise in der Europäischen Union rund 9% erreicht hat und noch weiter steigen könnte.
Die gegenwärtige Zurückhaltung der Investoren wird auch insbesondere an den Positionierungen der Exchange Traded Funds (ETF) deutlich. Im August gab es bereits den vierten Monat in Folge einen Abbau der Goldbestände der ETFs. Im Vergleich zum Vormonat reduzierte sich der Bestand um 51 Tonnen aufgrund von Mittelabzügen von 2,9 Mrd. Dollar. Nach Berechnungen des World Gold Council wurden damit bereits zwei Drittel der Mittelzuflüsse bis April abgebaut. Per Ende April waren die Goldbestände der ETFs zwar noch um 3,6% über dem Niveau vom Jahresanfang. Es ist aber zu erwarten, dass sich der Abbau weiter fortsetzt und die Investoren weiter aus dem Edelmetall fliehen. Parallel dazu ist den Daten der US-Terminmarktaufsicht Commodity Futures Trading Commission (CFTC) zu entnehmen, dass sich nach einem kräftigen Aufbau der Netto-Long-Positionen bis in den März hinein ein kontinuierlicher Abbau ergeben hat.
Die Rolle von Gold als Inflationsschutz lässt sich als eine klassische Funktion des Edelmetalls bezeichnen, genauso klassisch ist aber die Reaktion des Goldpreises auf steigende Zinsen. Die Notenbanken bemühen sich, die aufgrund anhaltender Lieferkettenprobleme, vor allem aber wegen der explodierenden Energiepreise aus dem Ruder laufende Geldentwertung durch beherzte Leitzinsanhebungen wieder in den Griff zu bekommen. Ob dies gelingt, ist angesichts der Tatsache, dass es sich im Energiebereich um einen Angebotsschock handelt, zweifelhaft. Die Notenbanken werden es aber ohne Zweifel weiter versuchen. So hat die Federal Reserve zuletzt gleich um einen Dreiviertelprozentpunkt erhöht, und in der laufenden Woche dürfte es erneut ein Dreiviertelprozentpunkt werden – oder sogar noch mehr: Gemäß den aktuellen Zahlen zu den Fed Funds Futures rechnet fast ein Drittel der Marktteilnehmer damit, dass es einen ganz großen Schritt um einen ganzen Prozentpunkt geben könnte. Da sich Gold im Gegensatz zu Anleihen nicht verzinst, gerät die Anlage in das Edelmetall ins Hintertreffen. Ähnliches gilt übrigens auch für Bitcoin und andere Kryptowährungen, die ebenfalls Schwächeanfälle durchleben – auch wenn hier andere Ursachen hinzukommen. Sollte es tatsächlich zu einer Anhebung gleich um einen ganzen Prozentpunkt kommen, ist ein weiterer deutlicher Rückgang des Goldpreises in den Karten. Der Goldpreis könnte noch so lange unter Druck geraten, bis ein Ende des Zinsanhebungszyklus erkennbar ist.
Ein weiterer Faktor für den Niedergang des Goldpreises ist die Entwicklung der Wechselkurse. Derzeit befindet sich der Greenback gemessen am Dollar-Index auf dem höchsten Niveau seit Juni 2002. Dementsprechend hat der in Dollar gerechnete Goldpreis zuletzt wesentlich stärker reagiert als die Notierung des Edelmetalls in Euro (vgl. Grafik). In den kommenden Monaten ist mit einer weiteren Entkopplung der Goldpreise in Dollar und Euro zu rechnen, da sich der Dollar insbesondere gegenüber dem Euro weiter stark zeigen dürfte. Dies liegt daran, dass das an Energiequellen arme Europa von der gegenwärtigen Krise wesentlich härter getroffen werden dürfte als die USA.
Besser als Aktien
Nicht übersehen werden sollte allerdings, dass Gold immer noch besser abschneidet als andere Assetklassen. So hat beispielsweise der Dax im laufenden Jahr bereits fast 20% an Wert eingebüßt, Gold in Euro gerechnet lediglich 10%. Mancher Marktstratege ist der Ansicht, dass der europäische Aktienmarkt noch ein erhebliches Korrekturpotenzial vor sich hat – mit Blick auf die inzwischen katastrophalen Aussichten für die europäische Wirtschaft im Rahmen der Energiekrise. Relativ gesehen positiv entwickelt hat sich der Goldpreis auch im Vergleich zum amerikanischen Benchmarkindex S&P 500, der seit Anfang Januar 19% abgeben musste, während sich der Goldpreis in Dollar lediglich um 5% ermäßigte.
In den kommenden Monaten dürfte die Nachfrage nach Gold unter einer anhaltenden Zurückhaltung der Investoren leiden. Zwar wird die Kaufkraft der Konsumenten in Teilen der Welt zurückgehen. Nicht betroffen sind allerdings für die Schmucknachfrage so wichtige Märkte wie China und Indien, die sich weiterhin günstige russische Energie sichern.
Weiterhin stabil ist auch die Goldnachfrage der weltweiten Notenbanken, die sich unter anderem mit Goldkäufen auf die Zeit nach dem Ende des Dollar als wichtigster Handelswährung vorbereiten. Allerdings werden derzeit weniger goldbasierte Währungen als Nachfolger des Dollar angesehen, die BRICS-Staaten favorisieren stattdessen einen Korb aus verschiedenen Rohstoffen zur Unterlegung einer neuen Reservewährung, so dass von den Notenbanken her nicht mit einem starken Anstieg der Nachfrage nach Gold und damit einem entsprechenden Preisanstieg zu rechnen ist.
Anleger sollten ein weiteres Argument für Gold nicht ganz beiseiteschieben. Die drohende starke Verschlimmerung der Krise in Europa könnte EU und Euro in ihrer Existenz gefährden. In derartigen Extremsituationen war bislang Gold immer stark gefragt.