Martin Lück

„Inflation wird sich abschwächen“

Der BlackRock-Stratege Martin Lück rechnet auch für 2022 mit steigenden Aktienkursen. Den großen europäischen Indizes traut er Avancen im prozentual hohen einstelligen Bereich zu.

„Inflation wird sich abschwächen“

Christopher Kalbhenn.

Herr Lück, das Auftauchen der Omikron-Variante hat die Märkte verschreckt. Bedeutet das eine gravierende Veränderung für ihre Aussichten?

Wir haben bisher nur unvollständige Daten aus Südafrika und anderen Ländern, so dass die Variante noch nicht umfassend beurteilt werden kann. Die Zahlen deuten auf eine im Vergleich zur Delta-Variante schnellere Übertragbarkeit hin. Entscheidend ist die Immunumgehung. In welchem Ausmaß können sich Genesene und Geimpfte infizieren oder anders formuliert: Wirken die Impfstoffe noch? Ferner bleibt abzuwarten, wie schwer die Krankheitsverläufe sind. Nach dem ersten Schreck haben sich die Märkte wieder etwas entspannt. Man muss wohl noch zehn bis 14 Tage warten, um beurteilen zu können, wie schlimm Omikron wirklich ist.

Die Märkte haben zuletzt die geldpolitische Wende der Fed wegen Omikron ein Stück weit ausgepreist. Was bedeutet die neue Variante für die US-Geldpolitik?

Die Fed hat dieses Jahr sehr geschickt agiert mit einem zweistufigen Ansatz, bei dem ganz klar zunächst die Rückführung der Ankaufprogramme und erst in einem zweiten Schritt die Anhebung der Leitzinsen erfolgen soll. So hat sie die Märkte sehr sorgfältig auf die anstehende geldpolitische Normalisierung vorbereitet und damit verhindert, dass sich so etwas wie das Taper Tantrum des Jahres 2013 wiederholt. Zudem hat sich die Fed Flexibilität verschafft. Sie hat begonnen ihre Anleihekäufe in monatlichen Schritten von 15 Mrd. Dollar zu reduzieren. Diese Größenordnung kann sie ja bei Bedarf verändern. Die Märkte hatten bereits spekuliert, dass sie das Ausmaß der Reduzierung in ihrer Sitzung am 15. Dezember erhöhen könnte. Mit ihrer Kommunikation hat die Fed Zeit gekauft. Sie kann also beobachten, wie gefährlich Omikron und wie hartnäckig die hohe Inflation ist, um flexibel darauf zu reagieren.

Wie schätzen Sie die Inflationsgefahr ein?

Ich gehöre zum Lager derer, die glauben, dass sich die Inflation 2022 deutlich abschwächen wird und die hohen Teuerungsraten vorübergehender Natur sind. Sie wird sich meiner Meinung nach nicht hartnäckig über 2% halten. Aber sie wird länger auf höherem Niveau bleiben, weil die Lieferkettenproblematik und auch die Pandemie länger anhalten. Man muss aber die Dynamik dies-und jenseits des Atlantiks unterscheiden. Die USA sind mit einem höheren Sockel in die Pandemie gegangen und haben zudem eine höhere Preissensitivität des Arbeitsmarktes, d.h. die Löhne steigen bei Arbeitskräftemangel schneller. In Europa wird die Inflation schon Anfang 2022 deutlich zurückgehen wegen der Basiseffekte der Mehrwertsteuererhöhung, der CO2-Abgabe und des Ölpreises sowie der anstehenden Normalisierung bei den Lieferketten beziehungsweise des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage.

Bietet der Rücksetzer der Aktienmärkte Kaufgelegenheiten?

Viel wird darauf ankommen, wie schlimm Omikron wird und ob Europa die vierte Welle in den Griff bekommt. Aber generell besteht weiterhin die Aussicht, dass die Pandemie 2022 überwunden wird und sich die Wirtschaft wieder dem Trendwachstum annähert. Die Unternehmensgewinne werden weiterhin wachsen, aber nicht so stark wie 2021, unter anderem weil die Preisüberwälzungsspielräume nicht mehr so groß sind. Die Aktienmärkte werden vermutlich nicht mehr so stark steigen wie in diesem Jahr.

Welche Größenordnungen kann man sich da vorstellen?

Für die größeren europäischen Aktienindizes ist ein Anstieg im prozentual hohen einstelligen Bereich denkbar. Eine entscheidende Frage wird sein, wie sich die Inflation entwickelt beziehungsweise ob sie vor Ende 2022 wieder bei 2% ankommt, oder ob sie höher bleibt und die Zentralbanken ihre Politik überdenken müssen. Hinzu kommt eben Omikron. Die vierte Welle hat ja noch nichts mit Omikron zu tun. Sie wirkt vielmehr wie ein Schwungrad für die neue Variante. Ferner wird vieles darauf ankommen, ob das chinesische Wachstum tatsächlich wie erwartet wieder anziehen wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich und die neue Bundesregierung.

Auch in den USA steht mit den Zwischenwahlen ein wichtiges politisches Ereignis an. Könnten davon Irritationen für die Märkte ausgehen?

Die Präsidentschaft von Joe Biden steht unter keinem guten Stern, wenn man an Afghanistan denkt und an den Gegenwind, auf den er in der Demokratischen Partei stößt. Das 3,5 Bill. Dollar schwere Reconciliation Program, das Zuwendungen für benachteiligte Schichten vorsieht, wird von seiner eigenen Partei zusammengestrichen. Es ist zweifelhaft, dass es überhaupt noch zustande kommt. Es müsste schon fast ein Wunder geschehen, damit die Demokraten nicht mindestens in einer der beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit verlieren. Biden würde dann in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt sein und der Blick auf die amerikanische Politik sich deutlich verändern. Man muss hier aber zwischen kurz- und langfristiger Perspektive unterscheiden. Ein Sieg der Republikaner wäre langfristig gesehen problematisch für die gesellschaftliche Stabilität der USA. Ich glaube aber nicht, dass er notwendigerweise unmittelbar aus Sicht der Märkte negativ wäre. Die Demokraten werden für bestimmte Branchen und wegen regulatorischer Bestrebungen negativ gesehen, ein Erfolg der Republikaner hätte keine negativen Folgen für die Unternehmensgewinne und die Börse.

Welche Rolle könnten im kommenden Jahr geopolitische Konflikte spielen?

Durch Corona haben sich die Märkte stark auf die Pandemie fokussiert, und mit der jüngsten Entwicklung ist sie wieder in die Risikowahrnehmung zurückgekehrt. Über die erheblichen geopolitischen Veränderungen, die wir gesehen haben, ist dagegen in den zurückliegenden beiden Jahren vergleichsweise wenig gesprochen worden. Dazu zählt etwa die veränderte Politik Chinas und sein aggressiveres Vorgehen, was Taiwan betrifft. Hinzu kommen der Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze zur Ukraine und die mögliche Atombombenentwicklung des Iran, die insbesondere Israel im Blick hat. Diese geopolitischen Druckpunkte sind auch durchaus relevante Risiken für die Märkte, da die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen für Verunsicherung sorgen könnte. Die Geopolitik könnte im nächsten Jahr als Thema für die Märkte deutlich zurückkehren.

Das Interview führte

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