KI und quantitatives Investieren: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (348)
KI und quantitatives Investieren: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Von Walter Liebe
Generative KI und ChatGPT haben uns in ihren Bann gezogen. Auch Vermögensverwalter beobachten die Entwicklungen sehr genau. Die Quartalsergebnisse von Nvidia & Co. elektrisieren regelmäßig die Märkte. Aber es steckt wesentlich mehr hinter dieser Technologie als das „Anlagethema KI-Aktien“.
Maschinelles Lernen (ML) wird gerade als DIE Methode für die Aktienauswahl gepriesen. In der Praxis machen sich die Vorteile von ML und künstlicher Intelligenz (KI) beim Portfolioaufbau jedoch auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar. Für uns ist KI lediglich die letzte Phase in der langen Entwicklung des quantitativen Investierens. Sozusagen Quant 2.0.
In den 1980er Jahren haben quantitative Portfoliomanager erstmals begonnen, Algorithmen für die Auswahl von Investments und das Risikomanagement einzusetzen. Diese einfachen Einzelfaktor-Modelle wurden heute von einer Vielzahl von Systemen, die auf maschinellem Lernen basieren, abgelöst. Diese leistungsstarke neue Technologie muss breitere Anwendung finden, das steht außer Frage.
Portfolioaufbau mit KI
Die Digitalisierung der Weltwirtschaft hat zu einer explosionsartigen Zunahme an Daten geführt, sowohl bei strukturierten Daten wie den von den Unternehmen veröffentlichten Geschäftsergebnissen als auch bei unstrukturierten Daten wie Texten, Videodateien und Bildern. Die Analyse und Kombination dieser Daten mit immer größeren Modellen erweist sich für quantitative Portfoliomanager als enorme Herausforderung – aber auch als Chance.
KI hilft an mehreren Fronten: Künstliche Intelligenz kann eingesetzt werden, um Signale und Muster aus unterschiedlichsten Datenquellen zu extrahieren.
KI, die auf der Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) basiert, kann beispielsweise verwendet werden, um die Stimmung gegenüber Unternehmen in Nachrichtenartikeln, Berichten der Sell-Side-Analysten oder Mitschriften von Earnings Calls zu analysieren.
Genauere Investmentprognosen
Wir sind überzeugt, dass Fortschritte in der KI genauere Prognosen für einzelne Aktien ermöglichen als das traditionelle Factor Investing. Traditionelles Factor Investing zielt darauf ab, Risikoprämien auszunutzen. Mithilfe von Quant 2.0, das auf fortschrittlicher KI basiert, können Portfoliomanager Anomalien erkennen, die über diese Prämien hinausgehen.
Das neue maschinelle Lernen kann für weit mehr als nur die Titelauswahl angewendet werden. Vielmehr können unterschiedliche Zeithorizonte berücksichtigt werden – mit dem Ziel, das Portfoliorisiko zu steuern, die Ausführungskosten zu senken und die Portfoliopositionierung zu optimieren.
Transparenz ist das A und O
In der Investmentpraxis ist der Einsatz von KI-basierten Modellen jedoch komplex und mit Risiken behaftet. Die Annahme, dass Investoren KI als Blackbox akzeptieren, ist hinfällig geworden. Vielmehr müssen Merkmale, Positionen, Risiken und Performance der zugrunde liegenden Inputs aufgeschlüsselt werden. Transparenz ist der Schlüssel.
Menschliches Urteilsvermögen ist aber auch beim Einsatz künstlicher Intelligenz nach wie vor unerlässlich. Die Entwicklung eines ML-Modells, das zuverlässig, schnell und genau ist und laufend überwacht und angepasst werden kann, ist kompliziert und zeitaufwändig. Für ML-Modelle werden riesige Mengen an Daten benötigt, was es für den einzelnen Portfoliomanager und Analysten schwierig macht, diese zu überwachen. Man braucht eine robuste Plattform für den Einsatz von KI beim Investieren.
Portfoliomanager müssen immer wieder Anpassungen vornehmen, und da selbst kleine Änderungen große Auswirkungen auf das Ergebnis haben können, müssen diese Änderungen ständig fortlaufend bewertet werden.
Der Einsatz von KI beim Portfolioaufbau erfordert eine nahtlose Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Datenwissenschaftlern und Portfoliomanagern, die auf die Entwicklung eines transparenten Entscheidungsprozesses abzielt, der Alpha generiert.
Unser Gastautor Walter Liebe ist Head of Intermediaries bei Pictet Asset Management.