Kurzfristige Linderung
Dass die türkische Lira gegenüber dem Dollar am Mittwoch steile Kursgewinne hingelegt hat, dürfte nur eine kurzfristige Linderung des Wertverfalls der Währung darstellen. Der Dollar gab zeitweise auf 11,57 Lira nach, gegenüber dem Referenzkurs vom Vortag ein Minus von 9,7%. Die türkische Valuta profitierte von Nachrichten über eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Ankara und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Angekündigte Kooperationen zwischen dem Staatsfonds von Abu Dhabi und seinem türkischen Pendant sowie zwischen den größten Börsen beider Länder hoben die Stimmung beträchtlich. Die Emirate legten zudem Pläne zu einem 10 Mrd. Dollar schweren Fonds für Türkei-Investitionen vor.
Die Belastungsfaktoren, die der Lira zuvor die längste Strecke an Tagesverlusten seit zwei Jahrzehnten und sowohl zum Dollar als auch zum Euro ein Rekordtief nach dem anderen eingebracht haben, sind damit allerdings nicht aus der Welt. Denn die Geldpolitik ist viel zu locker. Seit September hat die Notenbank die Zinssätze auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan um insgesamt 400 Basispunkte gesenkt. Dass Ökonomen dieses Vorgehen als irrational und gefährlich anprangern, hat den Staatspräsidenten offenbar nur angestachelt. Ebenso wenig konnten ihn bislang hohe Inflationsraten, stark negative Realzinsen oder die Tatsache, dass praktisch alle anderen Zentralbanken kontraktive Signale senden oder bereits restriktivere Maßnahmen ergriffen haben, umstimmen.
Mit der Wechselkurs-Schwächung verfolgt Erdogan ebenso wie mit seiner Annäherung an die Emirate das Ziel, Investitionen in sein Land anzukurbeln. Denn der Staatschef muss sich mit sinkenden Zustimmungswerten herumschlagen und braucht vor den spätestens im Juni 2023 stattfindenden Präsidentschaftswahlen zählbare Erfolge. Allerdings führt die Lira-Abwertung im Privatsektor zu einem rasanten Anstieg der Fremdwährungsverbindlichkeiten in der Landeswährung. Weiterer Druck auf die Valuta könnte daher eine systemische Bankenkrise zur Folge haben.
Die Währungshüter in Ankara besitzen indes nur begrenzte Mittel, um den übergeordneten Abwärtstrend zu stoppen. Interventionen am Devisenmarkt könnten die Reserven der Notenbank laut Ökonomen innerhalb kürzester Zeit aufbrauchen. Und eine Notfall-Zinserhöhung ist mit Erdogan wohl nicht zu machen. Dass sich die Lira auch über längere Dauer stabilisiert, dürften also nur die größten Optimisten glauben.