Märkte spielen die Rezessionskarte
Von Kai Johannsen, Frankfurt
Die internationalen Finanzmärkte stellen sich mehr und mehr auf eine aufziehende Rezession in diversen Volkswirtschaften ein. Dafür werden die Signale immer deutlicher, und die Märkte zeigen in der Folge auch entsprechende Wirkungen. In den USA ist die rein technische Definition einer Rezession bereits erfüllt, denn in zwei aufeinanderfolgenden Quartal wies das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einen Rückgang auf. Im Vereinigten Königreich befindet sich die Wirtschaft auf dem Kurs in Richtung Rezession, ging die Konjunktur doch bereits im zweiten Quartal in die Knie, wenn auch noch nicht so weit.
Die Bank of England äußerte nach ihrer jüngsten Zinssitzung denn auch die Erwartung, dass die britische Wirtschaft in die Rezession abgleiten wird, und zwar zum Ende dieses Jahres, und dass dieser Wachstumsrückgang das gesamte kommende Jahr anhalten sollte. Und immer mehr Volkswirte gehen davon aus, dass auch in der Eurozone die Wirtschaft den Rückwärtsgang einlegen wird. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Langzeitauswirkungen der Covid-19-Pandemie, die konjunkturellen Effekte des Ukraine-Krieges, damit einhergehende Preisexplosionen bei Rohstoffen und Energieträgern machen der Wirtschaft zu schaffen. Nun kommt noch die extreme Hitzewelle dazu mit ihren Folgen für die Landwirtschaft und zu erwartenden Ernteausfällen, aber auch die rekordniedrigen Pegelstände von Flüssen, die der Schifffahrt erhebliche Probleme bereiten bzw. sie sogar zum Erliegen bringen. Damit verbunden sind neuerliche Lieferprobleme via Wasserweg, was die ohnehin schon vorhandenen Liefer(ketten)probleme nochmals verschärft.
Tiefs in Sichtweite
Ein Indikator für die Versorgung der Wirtschaft über den Schifffahrtsweg ist etwa der Baltic Freight oder Dry Index, der die Transport- bzw. Versandkosten von Gütern via Containerschiff misst. Viele der in der Industrie benötigten Güter werden bekanntlich auf dem Wasserweg von A nach B transportiert. Nach einem Hoch im Oktober vergangenen Jahres ist der Index regelrecht abgestürzt, nur kurz unterbrochen von einer leichten Erholung in diesem Jahr (vgl. Chart). Nun notiert der Index auf Werten von Anfang 2021, die Tiefs von 2020 sind in Sichtweite.
Auch die Experten der Ratingagentur Moody’s stellen in Aussicht, dass die Volkswirtschaften Großbritanniens und der Eurozone als Ganzes in den kommenden Monaten ebenfalls zur Schwäche neigen werden. Für das dritten Quartal gehen die Experten zwar noch von leichten Steigerungsraten beim BIP der Briten und des gemeinsamen Währungsgebietes aus, doch dann sollte auch dort das Minuszeichen Realität werden, so ihre Prognose (vgl. Grafik). Und geht es nach den Erwartungen der Ratingagentur, wird es nicht nur ein kurzzeitiges Abtauchen ins Minus geben. Sie prognostizieren, dass in der Eurozone die Wirtschaft ab dem vierten Quartal dieses Jahres in den Rückwärtsgang schaltet und in diesem bis Mitte 2024 bleiben wird. Die britische Wirtschaft sollte laut Moody’s-Erwartungen sogar noch ein Quartal länger schrumpfen.
An den Anleihemärkten sind diese konjunkturellen Szenarien längst eingepreist, oder die Bondmärkte einzelner Länder sind dabei, genau dies zu tun. In den USA ist die Zinsstrukturkurve im Bereich der Staatsanleihen (US-Treasuries) invertiert, und zwar in einem Ausmaß, wie es zuletzt vor rund zwei Dekaden beobachtet werden konnte. Inverse Zinsstrukturkurven gingen Rezessionen regelmäßig voraus – mit nur sehr wenigen Ausnahmen – und gelten deshalb als verlässlicher Signalgeber. Vor einigen Tagen ist nun auch die Zinsstrukturkurve der britischen Staatsanleihen (Gilts) invertiert, und zwar ebenfalls – so wie in den USA – im Bereich der Laufzeiten von zwei bis zehn Jahren. Auch hier erwartet der Markt somit die Rezession. In der Vergangenheit lief die Inversion der Kurve der Wirtschaft vier bis acht Quartale voraus. Nun stellt sich mancher Marktteilnehmer darauf ein, dass es im aktuellen Szenario auch früher der Fall sein könnte.
Vom Hoch abgesetzt
Am Staatsanleihemarkt der Eurozone ist zu beobachten, dass die Renditen bei Inflationssignalen zwar noch anziehen. Im Bereich von 1% bei der zehnjährigen Bundrendite scheint sich aber ein Hochpunkt herauszubilden. Bei schwachen Konjunktursignalen tauchen die Bundrenditen aber häufiger deutlicher ab, als sie bei Inflationsschüben nach oben gehen. Zudem hat sich der Markt deutlich von seinen in diesem Jahr gesehenen mehrjährigen Hochs abgesetzt. In der Tendenz neigt der Markt der Bundesanleihen derzeit eher zu niedrigeren Renditen als zu höheren Sätzen – auch das passt laut Marktakteuren ins Konjunkturbild, das eingepreist wird.
Am Devisenmarkt neigt der Euro seit geraumer Zeit zur Schwäche. Er pendelt derzeit um Werte knapp oberhalb der Parität zum Greenback. Das wird als klare Dollar-Stärke angesehen. Die US-Wirtschaft wird Auguren zufolge eher aus der wirtschaftlichen Schwäche herauskommen als die Wirtschaft der Eurozone, die ja erst noch in die Rezession schlittern wird – so die Erwartung vieler.