Rohstoffwährungen verlieren ihren Charakter
Von Xueming Song *)
Unter den Rohstoffwährungen war in der Vergangenheit der australische Dollar der Primus inter Pares. Der „Aussie“ reagierte immer überproportional auf die Änderungen der Rohstoffpreise und des Handelsbilanzdefizits. Vor rund 20 Jahren, also während der Rezession nach dem Platzen der Dotcom-Blase, musste man für 1 austr. Dollar nur rund 50 US-Cent zahlen. Vor etwa zehn Jahren, also während der Erholung nach der Finanzkrise von 2008, war es indes schon wieder 1 US-Dollar und 5 Cent. Andere Rohstoffwährungen wie der kanadische Dollar oder die norwegische Krone sind weit weniger volatil. Die Rohstoffwährungen der Schwellenländer besitzen diese Eigenschaften häufig gar nicht, da sich beispielsweise Russland in der Vergangenheit nicht am Markt orientierte oder Länder wie Südafrika und Brasilien hohe Inflationsraten aufwiesen.
Schwankungen wie beim „Aussie“ werden heute nicht mehr erwartet, da sich die Struktur der Wirtschaft geändert hat. Die traditionellen Rohstoffländer weisen in der Regel hohe Handelsbilanzdefizite auf, denn die Abhängigkeit von Rohstoffen führt dazu, dass sich das verarbeitende Gewerbe nicht sonderlich gut entwickeln kann. Folglich müssen diese Länder sehr viele andere Güter importieren. So führt das klassische Rohstoffland Nigeria vom Toilettenpapier bis zum Computer fast alle Waren ein. Dieses zyklische Handelsbilanzdefizit muss ausgeglichen werden, was in der Regel über hohe Renditen geschieht, die letztlich Kapital anziehen. Mit steigender konjunktureller Dynamik erhöhen sich die Rohstoffpreise stark, so dass sich das Handelsbilanzdefizit schnell schließt und sich das Verhältnis von Exporten zu Importen, also die Terms of Trade, stark verbessern. Die Währung gewinnt also deutlich an Wert, im Abschwung ist es dann genau umgekehrt. So lassen sich die starken Schwankungen der Rohstoffwährungen erklären.
Kurse entkoppelt
In den vergangenen Jahren hat sich der australische Dollar aber nicht mehr Hand in Hand mit den Rohstoffpreisen entwickelt. So verlor die Währung in den Jahren 2018 und 2019 stark an Wert, obwohl die Rohstoffpreise stabil waren. Auch momentan legen die Rohstoffpreise kräftig zu, aber der „Aussie“ wird nicht stärker. Vielmehr folgt er dem Kurs der Zentralbank, was wir auch vom Euro-Dollar-Wechselkurs kennen. Wie ist das zu erklären?
Festzustellen ist, dass Australien seit 2016 kein Handelsbilanzdefizit mehr kennt, weil die Exporte unabhängig von der Weltkonjunktur florieren. Chinas Nachfrage nach australischen Rohstoffen ist stark und hat sich verstetigt. Dieser Trend war nach dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 zunächst nicht so ausgeprägt. Erst seit dem riesigen Infrastrukturpaket von 2008/2009 hat die Nachfrage aus dem Reich der Mitte stetig angezogen. So wandelte sich Australien in den Folgejahren von einem Land mit Handelsbilanzdefizit zu einem Land mit einer positiven Handelsbilanz. Damit ist es auch nicht mehr notwendig, die Zinsen hoch zu halten, um die Bilanzlücke zu schließen. Die Reserve Bank of Australia konnte so 2019 die Zinsen stark senken. Nun ist Australien zu einem „normalen“ Industrieland geworden, womit die Devise auch den Status als Rohstoffwährung verloren hat.
Chinas Import beschränkt sich aber natürlich nicht auf Kohle und Metalle, sondern erstreckt sich auch auf Agrarprodukte. So ist das Land heute Hauptimporteur von neuseeländischen Milchprodukten und brasilianischem Soja. Bei den Preisen der Agrarprodukte sind zwei weitere Faktoren wichtiger geworden: das Wachstum der Weltbevölkerung und der Klimawandel. Während im Jahr 2000 etwa 6,1 Milliarden Menschen auf der Erde lebten, sind es heute rund 7,9 Milliarden. Die zusätzliche Bevölkerung muss ernährt werden, sodass die Nachfrage nach Nahrungsmitteln stetig steigt.
Ernährung wandelt sich
Wichtig ist auch, dass sich die Ernährungsweise, vor allem jene der chinesischen Konsumenten, in den vergangenen 20 Jahren stark gewandelt hat, und zwar hin zu mehr Fleisch- und Milchprodukten. Der Klimawandel führte in den zurückliegenden zwei Dekaden zu häufigeren Ernteausfällen. All dies führt dazu, dass die Preise der Agrarprodukte heute viel weniger schwanken als vor 20 Jahren. Die Terms of Trade von Neuseeland oder Brasilien werden dadurch verstetigt und somit auch die Kursentwicklung der Währungen.
Die Struktur der Rohstoffvorkommen in Kanada fällt ähnlich wie in Australien aus, allerdings hatte Kanada nie ein so hohes Handelsbilanzdefizit. Daher war die Währung auch nicht so volatil wie der australische Dollar. Norwegen hat seine Ölvorkommen indes erst in den 1960er Jahren entdeckt. Die Einnahmen daraus hat das Land schon sehr früh einem separaten Fonds zugeführt, sodass die Wirtschaftsstruktur wenig vom Ölreichtum beeinflusst wurde. Daher kann man die norwegische Krone nicht wirklich als Rohstoffwährung bezeichnen, da die typische Volatilität und die hohen Renditen fehlen.
Da die Rohstoffwährungen ihre ursprünglichen Eigenschaften mittlerweile also verloren haben, stellt sich die Frage, ob diese eines Tages wiederkehren werden, weil Chinas Nachfrage nach Rohstoffen zurückgehen wird. Im Zuge der jüngsten Lieferkettenprobleme ist klar geworden, dass die Welt nicht mehr so stark von China abhängig sein will. Zusammen mit den Handelskonflikten zwischen den USA und China und den damit einhergehenden Diskussionen über eine Entkoppelung wird eine breite Diversifikation von Produktionsstandorten als notwendig angesehen. Japan und Taiwan haben es vorgemacht und ihre Produktion noch vor der Coronakrise von China nach Südostasien und Indien verlagert. Die Entwicklung dieser Regionen wird viele Rohstoffe benötigen, sodass die konjunkturellen Schwankungen der Rohstoffpreise gering bleiben sollten. Ausgenommen ist jedoch der Ölpreis, da dort gerade eine Regimeänderung stattfindet: Der Klimawandel bewirkt eine Umschichtung weg von fossilen hin zu nachhaltigen Energiequellen.
Auch wenn die Rohstoffwährungen nicht mehr so stark schwanken, bedeutet dies nicht, dass die Handelsbedingungen keine Rolle mehr spielen. Mit steigenden Rohstoffpreisen verbessern gerade die Rohstoffländer ihre außenwirtschaftliche Position, sodass die Währungen durchaus aufwerten können. Auf Grundlage der realen Wechselkurse, die monatlich von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich berechnet werden, sind der australische Dollar, der kanadische Dollar und der Neuseeland-Dollar gegenüber dem US-Dollar zurzeit zwischen 5 und 15% unterbewertet.
*) Xueming Song ist Chief Currency Strategist der DWS.