Spaniens Börse Schlusslicht in Europa
Von Thilo Schäfer, Madrid
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez ist diese Woche auf Reisen in den USA. Die neue Biden-Regierung in Washington wird er aber nicht besuchen. Stattdessen trifft er sich mit Investoren und Technologieunternehmern in New York und Kalifornien, darunter auch BlackRock-Chef Larry Fink. Sánchez will die Bedenken der Anleger aus den USA, die stark an der spanischen Börse vertreten sind, über die unmittelbare Zukunft seines Landes zerstreuen. Er wirbt mit dem Potenzial der gut 140 Mrd. Euro, die Spanien aus dem europäischen Wiederaufbaufonds erhalten wird, besonders für die Bereiche Digitalisierung und erneuerbare Energien. Wie spanische Medien berichten, brachten einige der Gesprächspartner an der Wall Street auch ihre Bedenken über die Reformpläne der Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linken zur Sprache.
Das Interesse der ausländischen Anleger am spanischen Aktienmarkt ist in den letzten Wochen spürbar zurückgegangen. Im Frühjahr trieb die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Wiederbelebung, angeführt von der wichtigen Tourismusbranche, die Kurse, und der Ibex35 erreichte Anfang Juni den Jahreshöchststand von 9310 Punkten.
Doch binnen eines Monats verlor der Leitindex rund 1000 Punkte, auch weil der schnelle Wiederanstieg der Coronainfektionen und Reisebeschränkungen in wichtigen Märkten der Spanier Sorgen über den Aufschwung bereiteten. Beschleunigt wurde der Trend durch die Spekulation der Leerverkäufer, die ihre Positionen im Ibex in den letzten sechs Monaten verdoppelt haben, laut Zahlen der Börsenaufsicht CNMV. Diese Woche konnte sich der Ibex35 wieder auf 8600 Punkte berappeln. Seit Beginn des Jahres liegt der Index mit gut 7% im Plus.
Energiebranche unter Druck
Abgesehen vom Virus, das vor allem die Werte der Reisebranche belastet, wie die Hotelkette Meliá, die Fluggesellschaft IAG oder den IT-Dienstleister Amadeus, haben insbesondere die Unternehmen aus der Energiebranche seit Jahresbeginn Verluste verzeichnet. Die großen Stromversorger Endesa und Iberdrola wurden von einer schärferen Regulierung der Emissionen durch die Sánchez-Regierung getroffen. Der Kursanstieg des Mitbewerbers Naturgy erklärt sich durch das Übernahmeangebot des australischen Fonds IFM für knapp 23% der Aktien. „Wir glauben, dass die Grundlagen weiter unterstützend sind, und erwarten, dass der Rückschlag der CO2-Maßnahmen milder ausfallen wird als erwartet“, kommentieren die Analysten von UBS in ihrer jüngsten Studie über Spanien.
Die Werte der erneuerbaren Energien mussten nach der Rally im Winter zuletzt Rückschläge hinnehmen. Bezeichnend war die Gewinnwarnung von Siemens Gamesa letzte Woche, welche den Kurs in den Keller schickte. Davon betroffen waren auch andere Ökostromfirmen, wie Solaria.
Auch wenn im Reiseland Spanien die Entwicklung der Pandemie noch gewichtiger ist als anderswo, sind die Aussichten nach Meinung der Volkswirte gut. Bei der Impfkampagne kommen die Spanier schneller voran als andere, da es kaum Verweigerer gibt. Es werden immer mehr Jobs geschaffen und Menschen aus der Kurzarbeit zurückgeholt. Die Ökonomen der Großbank BBVA hoben ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr jüngst auf 6,5% an. Während der Pandemie haben die spanischen Haushalte 68 Mrd. Euro zusätzliche Ersparnisse angehäuft, die bald schon die Konjunktur und die Märkte beflügeln werden, so BBVA. Auch die spanische Notenbank erwartet einen baldigen Konsumanstieg.
Am Madrider Aktienmarkt blickt man nun auf die bevorstehenden Halbjahresergebnisse der Unternehmen. Einige Analysten, wie Diego Morín von IG, glauben, dass die Zahlen weitaus besser ausfallen werden als erwartet. Den Auftakt machte am Mittwoch Iberdrola, deren Gewinn im zweiten Quartal die Schätzungen der Analysten weit übertraf.
„Solide Wiederbelebung“
Auch wenn die neuesten Reisewarnungen für Spanien die Sommersaison verhageln, sind die langfristigen Aussichten des größten Wirtschaftszweiges des Landes gut. „Trotz neuer Varianten rechnen wir mit einer soliden Wiederbelebung des Tourismus in den kommenden Quartalen, aufgrund der aufgestauten Nachfrage“, urteilt UBS.
Die Pandemie bringt auch gewisse Unsicherheiten für die spanischen Banken, die besonders stark im Ibex35 präsent sind. Die Kurse der meisten Kreditinstitute haben jedoch seit Jahresbeginn den Leitindex deutlich überflügelt. Das Augenmerk von Anlegern, Analysten und Regulierern liegt auf den faulen Krediten (NPLs), die bislang nicht gestiegen sind. Immer mehr Experten versichern mittlerweile, dass es nicht zu einer Pleitewelle kommen wird, welche die Banken arg in Bedrängnis bringen würde. Dennoch gibt es Unterschiede. Die Analysten von Citi stuften unlängst Caixabank, Banco Sabadell und Bankinter herunter. Alle drei sind größtenteils auf dem spanischen Markt tätig. Die beiden internationalen Großbanken Santander und BBVA profitieren nach Ansicht der Experten von ihrem wichtigen Geschäft in Nordamerika, wo sich die Wirtschaft nach der Krise schneller belebt.
Wie der Aktienmarkt insgesamt ist es auch bei Börsengängen nach einem kurzen Strohfeuer wieder ruhiger geworden. Im April hatte der Direktversicherer Línea Directa die lange Flaute bei IPOs beendet. Am 1. Juli fand mit dem Debüt des Umweltstromerzeugers Acciona Energía der größte Börsengang in Madrid seit sechs Jahren statt. Der Kurs der Tochter des Infrastrukturkonzerns Acciona, der 17,25% der Aktien veräußerte, ist seitdem kräftig angestiegen, allerdings war der Ausgabepreis vorsichtshalber am unteren Rand der Preisspanne angesiedelt worden. Andere Kandidaten zögern nun offenbar mit Plänen für einen Börsengang, wie der Erdölkonzern Repsol, der seine Tochter für Ökostrom gerne zu Geld machen würde.
Börsengänge werden im Immobilienbereich erwartet, wo sich die führenden internationalen Finanzinvestoren nach der geplatzten Blase eingekauft haben. Bedenken machen die Pläne der Koalitionsregierung für eine Mietpreisbremse. Das war offenbar auch ein wichtiges Thema beim Besuch von Sánchez an der Wall Street.