Klimaschutz

Green Finance – zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit

Was heute als Green Finance verkauft wird, ist häufig nur ein Placebo oder auch eine Illusion. Dies liegt daran, dass der Begriff „grüne Finanzierung“, wie er heute von Unternehmen und auf den Kapitalmärkten häufig verwendet wird, leicht in die Irre führt.

Green Finance – zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit

Der Klimawandel gilt als einer der Megatrends unserer Zeit, der die Spitzen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch die Gesellschaft insgesamt vor gewaltige Kraftanstrengungen stellt. Zunehmend steht auch der Finanzsektor unter öffentlichem Druck, einen Beitrag zur Lösung des Problems zu leisten. Plakativ wird dabei häufig von „Green Finance“ gesprochen – ein Begriff, der gegenwärtig allerdings mehr von Wunschdenken als von Wirklichkeit getragen wird. Und der Anlass bietet, die Einflussmöglichkeiten und -grenzen einer „grün“ ausgerichteten Finanzanlage etwas umfassender zu thematisieren.

Mit Blick auf den Klimawandel sollen grüne Finanzierungsinstrumente günstigenfalls zu einer Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen beitragen, sodass Anlegerinnen und Anleger wortwörtlich reinen Gewissens investieren können. Das Kriterium der Nachhaltigkeit (oder Klimaverträglichkeit) ergänzt somit die üblicherweise verwendeten, ausschließlich an Zahlungsströmen orientierten Kriterien, wie Rendite und Risiko. Institutionellen wie privaten Investoren werden heute vermehrt „grüne“ Portfoliostrategien und „nachhaltige“ börsengehandelte Fonds (ETFs) angeboten. Staatsschuldentitel werden teilweise mit dem Etikett „ESG“ (Environmental, Social, Governance) versehen und als Green Bonds emittiert. Grüne Finanzierungsinstrumente werden somit mit einer tatsächlich grünen Mittelverwendung im Sinne eines realwirtschaftlichen Effekts gleichgesetzt – ein attraktiv verpackter Kausalzusammenhang, der jedoch nicht ohne Weiteres nachweisbar ist. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Was heute als Green Finance verkauft wird, ist häufig nur ein Placebo oder auch eine Illusion. Warum, das zeigen einige allgemeine Überlegungen zu der Schwierigkeit einer direkten Verknüpfung von Finanzierung und nachhaltigen Investitionen oder Ausgaben – keineswegs nur mit Blick auf Unternehmensinvestitionen, sondern auch auf staatliche Ausgaben.

Am Reißbrett funktioniert grüne Finanzierung sehr einfach: Den übertragenen Geldern der Anleger wird eine bestimmte Mittelverwendung zugeordnet, etwa für ein als nachhaltig ausgewiesenes Bauprojekt oder eine entsprechende Produktionsanlage. Anleger könnten dann annehmen, mit Hilfe ihrer Gelder sei dieses spezifische Projekt entstanden. Das kann der Fall sein, muss es aber nicht. Denn es ist auch möglich, dass das Anlegerkapital einer anderen Verwendung zugeführt worden ist, die die üblichen ESG-Kriterien möglicherweise doch nicht erfüllt. Die Verwirrung über die Zurechnung entsteht zumindest bei großen Unternehmen, bei denen zu jedem Zeitpunkt zahlreiche Projekte parallel umgesetzt werden. Eine genaue Zuordnung von Anlegerkapital und Investitionsprojekt ist dann in einem ursächlichen Zusammenhang nicht möglich.

Das betriebswirtschaftlich gut bekannte Problem der Zurechenbarkeit zwischen den Einzelpositionen der zwei Bilanzseiten eines Unternehmens führt zu der allgemeinen Einsicht, dass der Erwerb beispielsweise einer Aktie eines Unternehmens stets einen Bruchteil aller Aktivitäten oder Vermögensgüter dieses Unternehmens repräsentiert, nicht aber eine bestimmte Aktivität unter den vielen, die es gibt. Kauft eine Anlegerin eine Anleihe, gilt der gleiche Zusammenhang: Sie finanziert einen Bruchteil aller Aktivitäten, nicht eine einzelne, ausgewählte.

Was für den Einzelinvestor gilt, das hat auch für eine Portfolioinvestorin Gültigkeit. Die Anlage in einem Portfolio gehandelter Wertpapiere, das etwa besonders nachhaltig operierende Firmen enthält, hat dann einen Effekt auf zukünftige Investitionsentscheidungen der Firma, wenn durch die erhöhte Nachfrage nach derartigen „grünen“ Portfolien die Ausgabepreise für Aktien nachhaltig eingestufter Firmen steigen, und also ihre Kapitalkosten sinken. Geringere Ka­pitalkosten machen wiederum In­vestitionsprojekte attraktiver. Be­schränkt sind die hier genannten Finanzierungskostenvorteile durch die Bereitschaft der Anleger, für ein Mehr an Nachhaltigkeit ein Weniger an Rendite in Kauf zu nehmen. Sofern die Nachfrage nach einer „grünen“ Anlagemöglichkeit deren Angebot übersteigt, kann es tatsächlich am Markt zu einer Absenkung der Kapitalkosten kommen.

Irreführender Begriff

Vor diesem Hintergrund kann der Begriff „grüne Finanzierung“, wie er heute von Unternehmen und auf den Kapitalmärkten häufig verwendet wird, leicht in die Irre führen. Entscheidungen der Unternehmensleitung über Produktionstechniken und Investitionen des Unternehmens in Maschinen und Anlagen hängen kaum von einer bestimmten Finanzierungsquelle ab. Das führt zu der naheliegenden Frage, was ein „grünes“ Investitionsvorhaben auszeichnet. Den meisten Beobachtern ist klar, dass eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Politik sich auf eine einheitliche und glaubwürdige Datenbasis und Messtechnik stützen muss. Sollte es ein Durcheinander von unterschiedlichen Messkonzepten geben, dann wird der Begriff der Nachhaltigkeit selbst unscharf, und da­rauf abzielende Investitionsstrategien zielen in unterschiedliche Richtungen, so dass sich im Zweifelsfall eine Beliebigkeit „grüner“ Investitionen ergibt, mit allen Folgen für ein umfassendes Greenwashing, also eine angeblich substanzielle, aber im Grunde wirkungslose grüne Finanzierung.

Zu den in Europa derzeit meistdiskutierten Messsystemen für Klimarisiken zählen die EU-Taxonomie, die einen be­grifflichen und konzeptionellen Rahmen setzt, die europäische Arbeitsgruppe EFRAG („European Financial Reporting Advisory Group“) mit einer Umsetzungsempfehlung für mittlere und große Unternehmen sowie ein auf börsennotierte Unternehmen zielendes Indikatorensystem, dessen erster Prototyp kürzlich von dem neu eingerichteten International Sustainability Standards Board (ISSB) vorgelegt worden ist. Die Verfahren unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. So kategorisiert die EU-Taxonomie einzelne Aktivitäten, wie zum Beispiel die Stahlerzeugung, oder darin enthaltene Einzelverfahrensschritte, auf der Grundlage von Experteneinschätzungen dann als „environmentally sustainable“, wenn bezüglich bestimmter Beobachtungskriterien kritische Werte erreicht werden. Je nachdem, welcher Anteil der Aktivitäten den jeweiligen kritischen Wert übersteigt, können auf der Ebene jedes Unternehmens die prozentualen Nachhaltigkeitsanteile der Umsätze, der Kosten, der Neuinvestition und der Erträge ausgewiesen werden.

Binäre Einordnung

Der Dreh- und Angelpunkt ist hier sicherlich die binäre Nachhaltigkeitseinordnung (nachhaltig – ja oder nein), die weniger auf exakten, naturwissenschaftlichen Datenpunkten beruht als vielmehr auf einer Gesamteinschätzung bezüglich der Erreichung mindestens einer der vorgegebenen ökologischen Zielsetzungen bei gleichzeitiger Vermeidung der Beeinträchtigung eines der übrigen Ziele, die sogenannte „Do no significant harm“-Regel.

Eine etwas andere Vorgehensweise lässt sich bei dem angestrebten Indikatorensystem des ISSB erkennen. Hier soll die Betrachtungsweise des Kapitalmarkts, und das heißt in erster Linie der institutionellen Investoren, im Zentrum stehen. Der bisher vorliegende Prototyp für Klimarisiken betont objektivierte, wissenschaftliche Messdaten – zum Beispiel die CO2-Emissionen auf Unternehmensebene – als Grundlage für eine spätere Abschätzung ihrer Wirkungen auf den Cashflow der Unternehmenstätigkeit. Diese wiederum erlaubt es Kapitalmarktteilnehmern, bestimmten Emissionswerten entsprechende Barwerte und Preiseffekte zuzurechnen. Bei dieser Vorgehensweise wird ein Datenkontinuum an die Stelle des binären Taxonomiemodells gestellt und es zudem dem Kapitalmarkt überlassen, wie sich die unternehmensbezogenen Nachhaltigkeitszahlen unter Berücksichtigung bestehender oder erwarteter Regulierung auf Barwerte und Marktpreise, auf Aktienkurse und Anleiherenditen auswirken.

Wir werden in den nächsten Jahren erleben, wie sich die Parallelität eines investorgetriebenen Modells und eines regulatorgetriebenen Modells entwickeln wird – in jedem Fall darf mit einer stark steigenden Datenverfügbarkeit zu gemessenen Klimarisikobeiträgen gerechnet werden, wodurch wiederum Investoren eine Chance zu differenzierter Be­wertung erhalten.

Dies weist die Richtung, wie „grüne Finanzierung“ eine tatsächliche Bedeutung erhalten kann, jenseits der Nutzenpräferenz für nachhaltige Anlagen, die sich in unserer Gesellschaft im politischen Prozess durch Normensetzung äußert: Es lassen sich dann die zu erwartenden Folgen nachhaltiger Investition auf zukünftige Umsätze und Ausfallrisiken in den Marktpreisen und Renditen entsprechender Unternehmensanteile abschätzen. So schließt sich ein Kreis aus (regulatorischer) Normsetzung, (naturwissenschaftlicher) Indikatorik und (finanzieller) Marktbewertung – zugleich ein Weg, um Wunsch und Wirklichkeit zu verknüpfen.

Ob dieser Weg einer „grünen Finanzierung“ auch außerhalb des privaten Sektors gegangen werden kann, scheint allerdings fraglich. Dennoch hat die Emission grüner Staatsanleihen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Im September 2020 hat auch die Bundesrepublik Deutschland erstmals Green Bonds begeben. Einem Emissionsvolumen von 6,5 Mrd. Euro stand eine Nachfrage von 33 Mrd. Euro gegenüber. Die besondere Ausgestaltung dieser Wertpapiere be­inhaltet die parallele Emission von sogenannten Zwillingsanleihen, die zu identischen Vertragskonditionen, aber ohne zugeordnete „grüne“ Mittelverwendung emittiert werden. Dieses Emissionsdesign soll sicherstellen, dass grüne Staatsanleihen jederzeit in konventionelle Staatsanleihen getauscht werden können und somit eine vergleichbare Liquidität aufweisen. Die interessante Beobachtung ist, dass die grünen Zwillinge einen höheren Emissionspreis und eine geringere Umlaufrendite aufweisen als die „neutralen“ Zwillinge. Der Renditeunterschied betrug einige Basispunkte zum Zeitpunkt der Emission und hat sich seither laut Finanzagentur bei knapp fünf Basispunkten eingependelt. Im Segment der Staatsanleihen ist dies ein bemerkenswerter Renditeunterschied, der eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage nach „grünen“ Staatsanleihen signalisiert.

Aus Sicht des emittierenden Staates geht die Rechnung auf, denn er realisiert günstigere Finanzierungskonditionen, welche die Bereitschaft der Investoren ausdrückt, Renditenachteile in Kauf zu nehmen. Weiterhin kann er darauf hoffen, ein attraktives Benchmark-Anlageinstrument für den Euroraum in dieser neuen Anlageklasse zu schaffen und den Renditevorteil weiter auszubauen.

Nicht hinwegtäuschen darf man sich aber über die Tatsache, dass eine Anlage in grüne Staatsanleihen kaum eine Veränderung im Sinne einer nachhaltigen Mittelverwendung bewirken kann – denn zunächst gilt das oben erläuterte Zurechnungsproblem auch und gerade bei einem staatlichen Schuldner. Weiter wird das Ausgabenprogramm eines öffentlichen Haushalts in einem parlamentarischen Prozess festgelegt, ohne Mitwirkung von Investoren oder Kreditgebern.

Während nämlich große Investoren bei Privatunternehmen auf die Mittelverwendung Einfluss nehmen können, ist dies bei Staatsanleihen offensichtlich nur dann der Fall, wenn die Schuldnerstaaten überschuldet sind und der Zugang zum Kapitalmarkt eingeschränkt ist. Im Unternehmenssektor dagegen können institutionelle Investoren auch in normalen Zeiten in den Aufsichtsrat gewählt werden, und sie können durch koordinierte Ausübung der Stimmrechte auf Hauptversammlungen oder durch öffentliche Ansprache der Unternehmensleitung Druck ausüben. Derart „aktivistische“ Kapitalgeber drängen so auf die Durchsetzung einer bestimmten Forderung, etwa zu Bonusregelungen für das Management. Auf diesem Wege eines „Impact Investing“ kann auch eine „grüne“ Agenda vorgetragen und unterstützt werden.

Schließlich ergeben sich aus den genannten Punkten einige Empfehlungen für eine an ESG-Kriterien ausgerichtete Finanzpolitik. Zunächst stellt die Schwierigkeit, klare Zusammenhänge zwischen Finanzmittelherkunft und -verwendung insbesondere bei größeren Unternehmen oder öffentlichen Haushalten herzustellen, die tatsächliche Wirkung einer sogenannten ESG-orientierten Finanzierung grundsätzlich in Frage. Um die Auswirkungen einer ESG-orientierten Finanzierung im Sinne einer bewirkten Veränderung der Produktionsweise halbwegs verlässlich zu bestimmen, sind wiederholte und detaillierte Erfassungen der ESG-relevanten Aktivitäten über die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen notwendig. Eine solche Erfassung wird in absehbarer Zeit in gewissen Grenzen möglich sein, wenn die von EU, EFRAG oder ISSB vorgeschlagenen Konzepte umgesetzt werden.

Zuverlässige Daten als Basis

Welches dieser Indikatorensysteme tatsächlich Berücksichtigung am Kapitalmarkt finden wird, ist heute noch offen. Entscheidend könnte dabei werden, wie gut die neuen ESG-Daten geeignet sind, zum einen der Politik eine Orientierung für ihre regulatorischen Vorgaben zu liefern, und zum anderen Renditechancen und Ausfallrisiken von Investitionen in einer „grünen“ Transformationsphase differenziert sichtbar zu machen. In jedem Fall setzt der Markterfolg grüner Finanzanlagen analog zum Transformationsprozess insgesamt voraus, dass auf der Grundlage zuverlässiger Daten Be­wertungen und Kategorisierungen vorgenommen werden, um dem bisherigen Wunschdenken zu mehr Wirklichkeit zu verhelfen.

Von Jan Pieter Krahnen

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