Angekommen in einer neuen Welt
Aktien der Wohnimmobilienkonzerne galten lange als stabil und substanzstark. Wobei die Stabilität auf die verlässlichen Einnahmeströme aus Mietzahlungen zurückgeht und die Substanz darauf fußt, dass sich die Börsenwerte nicht primär aus der Hoffnung auf künftige Erträge speisen, sondern durch reale Werte, nämlich Immobilien, unterlegt sind. Beide Faktoren haben aber nicht verhindert, dass die Aktienkurse des Sektors im laufenden Jahr geradezu abgestürzt sind. Grund ist der schnelle und starke Zinsanstieg, der Immobilienkonzerne gleich mehrfach trifft. Zum einen steigen die Kosten neuer Finanzierungen, zum anderen bremst die heraufziehende Rezession die Nachfrage potenzieller Wohnungskäufer. Und drittens kommen die Bewertungen unter Druck, weil der Abzinsungsfaktor steigt und folglich der Barwert künftiger Mieterträge sinkt. Damit finden sich die Wohnungskonzerne in einer völlig veränderten Welt wieder. Die Kosten neuer Finanzierungen sind in vielen Fällen höher als die Erträge aus dem Immobilienbestand. Das konterkariert die Geschäftsmodelle.
Jahrelang hat die Branche quasi im Schlaraffenland gelebt. Denn die gutachterlichen Bestandsbewertungen sind immer weiter gestiegen. Das nährte eine Aufwärtskaskade aus höheren Nachsteuergewinnen und steigendem Eigenkapital, sinkendem Verschuldungsgrad, gemessen am Wert des Gebäudebestands, und zusätzlichem Finanzierungsspielraum, den die Unternehmen eifrig genutzt haben. Ohne Niedrigzinsen wäre die Übernahmewelle nicht möglich gewesen.
Nun ist die Party zu Ende. Viele Immobilienfirmen sitzen auf hohen Schulden. Noch schlägt die Kreditverteuerung kaum durch, weil die Verbindlichkeiten aus der Zeit des billigen Geldes stammen. Doch das wird sich mit den Jahren ändern. Der Cashflow aus der Vermietung reicht oft nicht aus, die Investitionen zu finanzieren, geschweige denn um fällige Kredite zurückzuzahlen. Also müssen entweder neue Anleihen oder Schuldscheine her, für die jetzt viel höhere Zinsen zu zahlen sind. Oder es müssen Immobilien verkauft werden.
Die Aufwertungsrunde zum 30. Juni 2022 dürfte jedenfalls die vorerst letzte gewesen sein. Die nächste umfassende Neubewertung steht zum Jahresende an. Dann dürften erste Abwertungen fällig sein. LEG Immobilien hat den Kapitalmarkt bereits auf Werteinbußen zwischen 3 und 5% eingestimmt. Mit genaueren Prognosen tun sich viele Marktteilnehmer schwer, weil der Transaktionsmarkt eingefroren ist. Damit fehlen belastbare Indikationen, wo der Markt aktuell steht.
Die Lücke zwischen hohen Zinsen für neue Finanzierungen, insbesondere den in der Branche verbreiteten unbesicherten Anleihen, und der meist niedrigeren Mietrendite kann letztlich nur über sinkende Transaktionspreise geschlossen werden. Mieterhöhungen werden dazu infolge der restriktiven Regulierung und fehlender Einkommensspielräume der Mieter wenig beitragen. Sollten die Immobilienpreise tatsächlich ins Rutschen geraten, droht ein Abwärtszyklus aus Abwertungen, Portfolioverkäufen und Rückzahlung von Verbindlichkeiten. Der Mechanismus, der die Branche nach oben getrieben hat, arbeitet dann in die Gegenrichtung. Gestützt wird der Sektor allerdings von dem anhaltenden Wohnungsmangel. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Zuwanderung scheinen Wohnungen gerade in Großstädten immer knapper zu werden. Das stabilisiert die Preise und damit die Bewertungen.
Einstweilen reagieren die börsennotierten Wohnungskonzerne mit einem harten Tritt auf die Investitionsbremse. Sie kappen den Neubau oder steigen, abgesehen von der Fertigstellung laufender Projekte, gleich ganz aus. Steigende Umweltauflagen, höhere Baukosten und Kürzungen der Fördermittel machen den Neubau so teuer, dass er in vielen Fällen nicht mehr über die Miete zu refinanzieren ist. Die Investitionen in den Bestand werden ebenfalls zusammengestrichen, weil sie zu vertretbaren Konditionen nicht mehr möglich erscheinen. Was betriebswirtschaftlich naheliegt, hat aber gesellschaftlich höchst unerwünschte Nebenwirkungen. Die Wohnungsnot verschärft sich weiter, wenn renditeorientierte Vermieter aus dem Neubau aussteigen. Genossenschaftlichen und öffentlichen Wohnungsgesellschaften fehlt infolge ihrer geringen Mieten das Geld, diese Lücke zu schließen. Und dauerhafte Kürzungen bei den Ausgaben für die energetische Sanierung sind mit Blick auf die fortschreitende Erderwärmung geradezu fatal.