Jahresberichte

Banken müssen bei der Risikovorsorge nachlegen

Der nicht enden wollende Sommer 2022 ist auch für die Banken vorbei. Bei der Erstellung der Jahresberichte werden die Wirtschaftsprüfer dafür sorgen, dass sie mehr für faule Kredite zurücklegen.

Banken müssen bei der Risikovorsorge nachlegen

Hurra, die Zinswende ist da! Beinahe hätte die Kreditwirtschaft schon die Hoffnung aufgegeben, dass die Zeiten niedriger und negativer Zinsen irgendwann einmal vorbei sein könnten. Nun ist sie da und trotz aller Risiken, die Ukraine-Krieg, globale Lieferengpässe und der rasante Anstieg der Inflation sowie die entschiedene Reaktion der Notenbanken für die Konjunktur und die Überlebensfähigkeit ihrer Kreditkunden darstellen, haben Banken und Sparkassen im Sommer begonnen, sich im Glanze der allmählich wiederkehrenden Zinseinnahmen zu sonnen. Die Rechnung, dass sich der Effekt der steigenden Zinsen weiterhin stetig auf die Erträge auswirkt, wird wohl trotzdem nicht aufgehen. Sie wurde, wie man so schön sagt, ohne den Wirt respektive die Wirtschaftsprüfer gemacht. Letztere dürften sich bei der Erstellung der unterjährigen Berichte weitgehend herausgehalten haben, da sie in der Regel ohne Testat veröffentlicht werden. Spätestens im vierten Quartal dürften sie jedoch darauf hinwirken, dass bei der Kreditvorsorge für das laufende Jahr noch einmal kräftig nachgelegt wird.

Tatsächlich sind die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf die Kreditwirtschaft deutlich vielfältiger, als das Jahrzehnt des Wehklagens der Branche über die verfehlte Geldpolitik in der Eurozone vermuten lassen würde. Zwar stimmt es, dass die deutschen Banken wie auch die meisten europäischen Wettbewerber im Schnitt stärker von den Zinserträgen abhängen als die Wall-Street-Banken. Das bedeutet aber keineswegs, dass der unerwartet deutliche Kurswechsel der Europäischen Zentralbank (EZB) allen inländischen Instituten zupass käme. Selbst wenn man die drohende Pleitewelle im Mittelstand im Falle eines Stopps der russischen Gaslieferungen außen vor lässt: Es gibt jede Menge Institute, deren Geschäftsmodell wenig bis keinen Anlass bietet, die Zinserhöhungen als willkommene Wendung zu begrüßen.

So hat das Ende des billigen Geldes zum Beispiel die nicht enden wollende Bonanza am Markt für Übernahmen und Fusionen (Mergers & Acquisitions), aber auch das zuletzt ebenfalls florierende Geschäft mit Aktienemissionen zu einem abrupten Ende gebracht. Viele der Geldhäuser, die statt auf Zinserträge vor allem auf das provisionsbasierte Beratungsgeschäft setzen, stehen nun vor einem Kostenproblem. Schließlich hatte die allgemeine Erwartung eines länger anhaltenden Booms dafür gesorgt, dass der Wettbewerb um Talente im vergangenen Jahr massiv aufgeflammt ist. Auch wenn die Investmentbanken hierzulande die Einstiegsgehälter nicht im selben Maße angehoben haben wie ihre angelsächsischen Wettbewerber, wurden doch große Teams aufgebaut, um die in der Geschäftsplanung einkalkulierten Transaktionen überhaupt begleiten zu können.

Auch diejenigen Institute, die ihr Geld im Bereich der Immobilienfinanzierung verdienen, dürften den historischen Anstieg der Zinsen mit mäßiger Begeisterung verfolgt haben. Auch wenn man in den vergangenen Jahren irgendwann aufgehört hat, den Glauben daran zu verlieren, bleibt es dabei, dass steigende Immobilienpreise kein Naturgesetz sind. So hoch der Bedarf insbesondere bei den Wohnimmobilien auch weiterhin ist, sind Verschiebungen der Asset­allokationen angesichts des sich verändernden Zinsumfelds unvermeidlich. Schließlich gibt es wieder attraktive Anlagealternativen, die nicht zuletzt mit Blick auf die Diversifizierung von Risiken dankbar angenommen werden.

Ähnliches gilt übrigens auch für den privaten Bereich: Vorbei die Zeiten, in denen Bankkunden mit soliden Einkommen nahezu beliebig hohe Preise für den Traum vom Eigenheim zu zahlen bereit waren. Vor allem die Inflation schürt in breiten Teilen der Mittelschicht zu Recht die Sorge über den künftigen Wohlstand. Da überlegt man es sich lieber dreimal, ob man sich die Baufinanzierung für die womöglich überteuerte Immobilie tatsächlich für die nächsten Jahrzehnte ans Bein binden will, zumal Christine Lagarde das Gespenst des Negativzinses ja nun aus der Eurozone vertrieben hat. Zwar stehen den ein bis zwei Prozent Zinsen auf Festgeld derzeit Inflationsraten von fünf, sieben oder gar zehn Prozent gegenüber, so dass sich die reale Vermögensvernichtung sogar noch beschleunigt hat. So weit denken in Deutschland aber noch immer die wenigsten.

Die Euphorie über die Rückkehr der Zinsen dürfte daher übertrieben gewesen sein. Aber: Eine neue Bankenkrise befürchten muss man deshalb nicht. Die meisten Institute sind nicht bloß besser kapitalisiert als früher, sondern verfolgen auch ausgewogenere Geschäftsmodelle, durch die sich positive und negative Effekte der Zinswende mehr oder weniger ausgleichen. (Börsen-Zeitung, 28.12.2022)

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