China mit niedrigem Wachstumsziel
nh Schanghai
Trotz guter Aussichten auf eine wesentliche Erstarkung der mittlerweile von Corona-Restriktionen befreiten chinesischen Wirtschaft tritt die Regierung mit einer relativ bescheidenen Zielvorgabe für das Wachstum im Jahr 2023 nach außen. Zum Auftakt des diesjährigen Volkskongresses am Sonntag stellte Premierminister Li Keqiang eine als Mindestvorgabe zu verstehende Zielgröße für die Expansion des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von „etwa 5%“ in den Raum und sorgte damit bei den Marktteilnehmern für eine eher negative Überraschung. Im Vorfeld des Kongresses hatten die Experten mit einem ambitiöseren Wachstumsziel bei 5,5 oder 6% gerechnet.
Der nach Ablauf des Volkskongresses in einer Woche abtretende Regierungschef Li begründete die niedrigste Wachstumszielvorgabe seit Jahrzehnten mit einem besonderen Fokus auf konjunkturelle Stabilität und Rücksichtnahme auf eine Reihe von „externen Unsicherheitsfaktoren“. Er sprach dabei insbesondere globale Inflationsgefahren, eine nachlassende Außenhandelsdynamik und ausländische Bestrebungen, Chinas Aufstieg zu behindern, an. Letzteres gilt als eine Anspielung auf die im vergangenen Jahr und auch zuletzt wieder verschärften geo- und industriepolitischen Konflikte zwischen China und den USA.
Das Wachstumsziel für 2023 gilt allein schon deshalb als überraschend moderat, weil es noch unter der Vorgabe vom vergangenen Jahr liegt. Damals stand China im Zuge der mit extremen Mobilitätsrestriktionen verbundenen Null-Covid-Politik vor wesentlich schlechteren Wachstumsvoraussetzungen als in diesem Jahr, war aber bestrebt, nach außen hin geballten Wirtschaftsoptimismus zu verbreiten. Im Zuge des mehrmonatigen Lockdown von Schanghai und einer Reihe anderer Großstädte, die zu massiven Lieferkettenstörungen, Produktionsverlusten und einer Vergiftung des Konsumklimas geführt hatten, kam die chinesische Wirtschaft nicht annähernd an die Zielvorgabe heran und verbuchte mit 3% BIP-Wachstum die schwächste Expansionsrate seit Mitte der siebziger Jahre.
Nach der abrupten Beendigung der Null-Covid-Politik im Dezember und dem Ausklingen einer daran anschließenden gewaltigen Corona-Infektionswelle sind die Voraussetzungen für einen kräftigen Konjunkturaufschwung mittlerweile gegeben. Die jüngsten Einkaufsmanagerindizes für Industrie und Dienste haben sich unerwartet deutlich verbessert und neuen Konjunkturoptimismus angefacht. Die Hoffnungen liegen neben einer starken Konsumbelebung auf einer Erholung beziehungsweise sanften Landung des unter anderem von einer Verschuldungskrise bei chinesischen Immobilienentwicklern geschwächten Wohnungs- und Gewerbeimmobilienmarktes.
Seitens des Internationalen Währungsfonds (IWF) war die Wachstumsprognose für China im Februar auf 5,2% angehoben worden, die Konsensschätzung der Analysten liegt mittlerweile bei 5,3% BIP-Wachstum im Jahr 2023 und dürfte von der Tendenz her weiter nach oben angepasst werden. Dass die Regierung trotz der positiven Konjunkturaussichten bei der Wachstumszielformulierung nun ein sehr zurückhaltendes Erwartungsmanagement an den Tag legt, führen China-Ökonomen auf engere Budgetspielräume und eine in der Pandemie weiter verschärfte Verschuldungsproblematik auf Lokalregierungsebene zurück. Dies erschwert eine BIP-Ausdehnung über die tradierte Schiene der öffentlichen Anlageinvestitionen mit der Ankurbelung von Infrastrukturprogrammen.
Zum anderen gelten die Spielräume für monetäre Impulse und dezidiert gelockerte Geldpolitik trotz gegenwärtig moderater Verbraucherpreisinflation als eher gering. Hier muss Chinas Zentralbank Rücksicht auf die weiterhin restriktive Geldpolitik in den USA und die zuletzt wieder prononciertere Abschwächung des chinesischen Yuan gegenüber dem Dollar nehmen. Beides sind Faktoren, die wegen der latenten Gefahr verstärkter Kapitalabflüsse beherzte Zinssenkungsmaßnahmen zur Konjunkturstimulierung eher unwahrscheinlich machen. Li sprach in seiner Rede vor den Delegierten des Volkskongresses denn auch davon, dass die (der Regierung gegenüber weisungsgebundene) Notenbank eine vorsichtige und zielgerichtete Geldpolitik fahren werde, was von Marktteilnehmern als eine Absage an offensichtliche monetäre Stimuli gewertet wird.