Der russische Außenhandel ist von neuen Partnern abhängig
Der Basar ist eröffnet. Und wer, wenn nicht die Türkei beherrscht ihn nach allen Regeln der Kunst? Wie kein zweites Land agiert sie als Vermittler im Ukraine-Krieg, peilt aber nicht nur in dieser Rolle Erfolge an. Die Türkei packt die Gelegenheit beim Schopf, um für sich selbst das Beste herauszuschlagen. Türkischen Emissäre verhandeln derzeit mit dem russischen Gaskonzern Gazprom über die Bedingungen künftiger Verträge. Die Verhandlungen sind hart, wie sich aus einem Statement des türkischen Energieministers Fatih Dönmez schließen lässt. Man werde sie erst dann beenden, „wenn wir den maximalen Vorteil für die türkische Seite erzielt haben“, sagte er. Worum es geht, hat die Nachrichtenagentur Bloomberg kürzlich umrissen: Die Türkei will mehr als 25% Rabatt für die Lieferungen im laufenden Jahr und einen Teil des vergangenen Jahres. Andernfalls wolle man einen Zahlungsaufschub bis 2024.
Das Land am Bosporus, traditionell hinter Deutschland und Italien der drittgrößte Gaskunde der Russen, befindet sich in keiner schlechten Position. Infolge der russischen Drosselung des Exports nach Westeuropa ist die Türkei als größter Abnehmer russischen Gases (45% des Inlandsverbrauches) übrig geblieben. Das nutzt sie nun aus, indem sie mit ihren Trümpfen droht. Man könne sich in absehbarer Zeit mit den großen Gasfunden im Schwarzen Meer selbst versorgen, heißt es einmal. Man könne sich – so ein anderer Schachzug – nicht nur vorstellen, nach dem Wunsch der Russen zum großen Hub für den Transit russischen Gases zu werden, sondern als Hub auch das konkurrierende Gas aus dem rohstoffreichen Turkmenistan umzuschlagen.
Die Türkei hat Russland vielleicht nicht in der Hand, aber Russlands Außenhandel ist doch in eine Abhängigkeit von ihr geschlittert, die so zuvor nicht bestanden hatte. Das bilaterale Handelsvolumen hat sich verdoppelt. Russland ist plötzlich der größte Handelspartner der Türkei und löst damit Deutschland ab.
Dabei ist die Türkei nicht das einzige Land, auf dessen guten Willen die Russen infolge des Krieges nun angewiesen sind. China ist das andere und weitaus bedeutsamere. Und dann ist da noch Indien.
„Hatte zwischen Russland und seinem traditionell wichtigsten Handelspartner Europa immer eine Co-Abhängigkeit bestanden, so schlittert das Land nun in eine einseitige Abhängigkeit von einigen wenigen Ländern“, erklärt Michail Krutichin, Partner der Moskauer Energieberatungsfirma Rusenergy. Was die Handelsdaten im Detail und somit die regionalen Verschiebungen betrifft, so legt Russland selbst diese Informationen seit dem Frühjahr 2022 nicht mehr offen. Aus den Daten der Handelspartner aber lässt sich sehr wohl ein klares Bild zeichnen.
Von Westen nach Osten
Hat der Anteil des Westens (allen voran die EU-Staaten, die Russland nun als unfreundlich bezeichnet) am russischen Außenhandelsvolumen vor dem Krieg etwa 55% betragen, so fiel er im Laufe des Jahres – vor Inkrafttreten des Ölembargos Anfang Dezember – auf 45%. Umgekehrt stieg der Anteil jener sogenannten freundlichen Länder auf etwa 55%. Allein die fünf wichtigsten dieser Handelspartner (China, Türkei, Indien, Kasachstan und Belarus) haben ihren Anteil am russischen Außenhandelsvolumen von insgesamt 32,4% auf 43% erhöht, rechnet das russische Wirtschaftsmedium RBC vor. Nach Daten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) erreichen wieder mehr Container Russlands Schwarzmeerhäfen (siehe Grafik), gerade aus der Türkei und China.
Russlands Schwenk von Westen nach Osten kommt einer tektonischen Verschiebung gleich. Und auch wenn er schon viele Jahre vor dem Krieg angekündigt und verfolgt worden ist, so ist seine jetzige Geschwindigkeit und Qualität nicht das, was vom Kreml langfristig intendiert war. Zum einen nämlich war der europäische Absatzmarkt für russische Energieträger und Rohstoffe ungleich lukrativer. Zum anderen kann der sanktionsbedingte Wegfall westlicher Technologien wenn überhaupt, so nur zum kleinen Teil ersetzt werden.
Gerade in China hat Russland seine Hoffnungen auch in Sachen Technologie gesetzt, erkennt aber immer mehr die Grenzen dafür. China achtet genau darauf, keine Sanktionen zu verletzen. Und außerdem: „China kann uns viel ersetzen, aber es ist selbst nicht so führend bei den Technologien wie der Westen“, sagt Alexander Schirow, Direktor des Instituts für volkswirtschaftliche Prognose an der Moskauer Akademie der Wissenschaften.
China-Handel mit Rekord
Das ändert freilich nichts daran, dass China seine Position als größter Handelspartner der Russen extrem ausgebaut hat. Allein in den ersten zehn Monaten des Vorjahres erreichte der Warenaustausch den Rekordwert von 153,9 Mrd. Dollar – ein Plus von 33%. Zudem flossen nicht nur zusätzliches Öl und Gas nach China, sondern auch der Export chinesischer Waren schnellte nach oben. Habe China vor dem Krieg etwa ein Viertel des russischen Imports abgedeckt, so müsse der Anteil inzwischen „weitaus mehr als ein Drittel, vielleicht 40%“ betragen, erklärte Iikka Korhonen, Leiter des in der finnischen Zentralbank angesiedelten Instituts für Transitionsökonomien, Ende des Vorjahres auf einer Konferenz: Das bedeute Korhonen zufolge, dass hinsichtlich des Imports kein Land so sehr von China abhänge wie Russland, höchstens Nordkorea.
Mit diesem Ausmaß kann die Türkei nicht mithalten. Aber als Exporteur nach Russland hat sie Deutschland überrundet und rangiert nun auf Platz 3 hinter China und Belarus. Nur ein Teil davon sind türkische Waren. Vielfach handelt es sich um sanktionierte Güter aus Westeuropa oder den USA, die in der Türkei umgeladen und weitertransportiert werden.
Indien hat in dieser Hinsicht nicht wirklich etwas zu bieten und spielt für Russland als Lieferant keine Rolle. Umso nennenswerter ist der asiatische Riesenstaat aber als Neukunde für russisches Erdöl. Schon bald nach Kriegsbeginn nutzte Indien die Gelegenheit, dass Russland sein Öl deutlich billiger auf den Markt bringen musste, um Abnehmer zu finden. Indien kaufte – auch aus Unmut darüber, dass der Westen seine Sanktionen ohne Rücksicht auf die Schwellenländer verfügte und damit die Preise für Öl und Gas trieb – immer beherzter in Russland ein. Zum Schluss waren es deutlich mehr als 1 Million Barrel pro Tag, was einem Zehntel der russischen Ölproduktion entsprach. Russland überholt gar seine Konkurrenten Irak und Saudi-Arabien am indischen Markt.
Hohe Rabatte
Doch der Preisnachlass, den Russland Indien und China gewähren muss, wurde zuletzt immer größer. Vor allem seit die EU Anfang Dezember das Embargo gegen russisches Öl auf dem Seeweg sowie einen Preisdeckel in Kraft setzte, wurden die Rabattforderungen aus Asien immer aggressiver. Hatte der Preisabschlag für Russland Hauptsorte Urals gegenüber der in Europa maßgeblichen Nordseesorte Brent zwischen 15. November und 14. Dezember bereits 32% betragen, so in den folgenden vier Wochen 43%, wie das Monitoring des russischen Finanzministeriums zeigt. Am 6. Januar 2023 sackte der russische Preis laut Bloomberg gar auf 37,8 Dollar je Barrel ab, während Brent um fast 79 Dollar gehandelt wurde. Dabei ist der westliche Preisdeckel, unter dem der Urals-Export erlaubt ist, auf 60 Dollar festgelegt. Fürs Erste also wirkt der Deckel stärker als erwartet. Und fürs Erste haben China und Indien ein Druckmittel, zumal sie ja auch den längeren Transportweg bezahlen müssen.
„China und Indien können Russland die Preise diktieren, weil sie alternative Lieferanten haben“, sagt Energieexperte Krutichin. Andere Analysten verweisen auch auf den Umstand, dass die russischen Konzerne nun miteinander um die geringere Anzahl an Abnehmern konkurrieren müssen. Die russische Regierung hofft, dass sich der Rabatt „mit der Zeit verringert“. Mit 5. Februar tritt jedoch das westliche Exportverbot für russische Ölprodukte in Kraft, was China und Indien einen neuen Hebel gegen Moskau in die Hand gibt. Denn am Ende – so Analystenprognosen – werden die beiden Staaten auch hier Moskaus Notlage ausnutzen. So wie die Türkei beim Gas.