Deutliche Warnung
Die Inflation in der Eurozone erweist sich als wesentlich hartnäckiger, als viele Marktteilnehmer sich das noch vor Monaten erhofft hatten. Das Kalkül, dass mit den immer weiter sinkenden Energiepreisen – dem zunächst wesentlichen Treiber der Inflation nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – die Teuerungsrate im Laufe dieses Jahres fast schon zwangsläufig deutlich sinkt, geht nicht auf. Längst hat sich die Inflation in der gesamten Wirtschaft festgesetzt. Nachdem zunächst insbesondere der Einzelhandel, und hier vor allem Supermärkte, die gestiegenen Produktionskosten wegen der Energiekrise über Preiserhöhungen zumindest teilweise an die Konsumenten weitergegeben haben, zieht nun zunehmend der Dienstleistungssektor nach. Das geht aus den von der europäischen Statistikbehörde Eurostat veröffentlichten Inflationsdaten hervor.
Und es droht bereits ein weiterer Preisschub von anderer Seite. Zahlreiche Gewerkschaften hierzulande, aber auch im europäischen Ausland erhöhen angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmer den Druck auf die Arbeitgeber und fordern deutliche Gehaltserhöhungen. Der aktuelle Streik des öffentlichen Dienstes in Deutschland wird sicherlich nicht die letzte Arbeitsniederlegung in der Eurozone in den kommenden Monaten sein. Angesichts der Tatsache, dass die Reallöhne in Deutschland 2022 bereits das dritte Jahr in Folge gesunken sind, ist die Forderung der Gewerkschaften nach mehr Lohn für die Angestellten nur verständlich. Doch geht von ihr auch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale aus, die die Inflation im Euroraum noch weiter befeuern würde.
Für die Europäische Zentralbank (EZB) beinhalten die Inflationszahlen eine deutliche Warnung. Sollte sie zu früh die geldpolitischen Zügel lockern, rückt das Inflationsziel von 2% in weite Ferne. Eine Erhöhung der Leitzinsen in zwei Wochen um 50 Basispunkte gilt quasi als gesetzt. Die EZB ist aber gut beraten, auch bei der übernächsten Zinssitzung keinen Kurswechsel einzuleiten. Ansonsten verfestigt sich die Inflation im Euroraum weiter. Die Folge wäre, dass die EZB dann deutlich länger die Zinsen auf einem restriktiven Niveau halten müsste, um die Inflation wieder einzufangen. Für die Konjunktur wäre das eine enorme Belastung.
Die bisherige Projektion der EZB-Volkswirte für die Kerninflation in diesem Jahr liegt bei 4,2%. Mit der Veröffentlichung der Februar-Daten werden die Ökonomen nun gezwungen sein, ihre Prognosen abermals nach oben zu korrigieren. Die EZB hat zuletzt wiederholt betont, dass sie aktuell vor allem auf die Entwicklung der Kernteuerungsrate schaut. Die Zinserwartungen der Marktteilnehmer haben sich daher nun erhöht. Ein mittelfristiger Anstieg der Leitzinsen von derzeit 3% auf 5% erscheint inzwischen nicht mehr völlig abwegig.
Die Inflationsdaten geben jedenfalls den Falken im EZB-Rat, also den Verfechtern einer restriktiven Geldpolitik, neue Argumente an die Hand, den aktuellen Kurs auch mittelfristig beizubehalten – trotz der Gefahr einer Rezession durch weitere deutliche Zinserhöhungen. Solange die Kerninflation weit über 2% liegt, ist die Zeit für einen Kurswechsel nicht reif. Für die Europäische Zentralbank bleibt also noch viel zu tun.