Die Zeiten werden „ruckeliger“
fed Frankfurt
Im Ende 2020 verabschiedeten Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, dem StaRuG, stehen in Art. 1 nicht etwa Begriffe wie Insolvenz oder Restrukturierung im Zentrum, sondern Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement. Darauf hat Holger Rabelt, Managing Director der Commerzbank, anlässlich der von der Börsen-Zeitung ausgerichteten Fachkonferenz „Restrukturierung in der Praxis“ hingewiesen. Unternehmen – und insbesondere mittelständische Firmen – müssten Risikosteuerungskomitees institutionalisieren und in Szenarien denken, denn es kämen „eher ruckelige Zeiten“ auf sie zu.
Rabelt, der seit vielen Jahren mit Restrukturierungsthemen bei der Commerzbank befasst ist, skizzierte die Auswirkungen einiger Trends mit Blick auf die Krisenfestigkeit von Unternehmen. Viele von ihnen pufferten in Reaktion auf Halbleiterkrise und Chinas Zero-Covid-Politik ihre Vorräte auf. Die Firmen seien aufgrund des Energiepreisanstiegs mit höheren Produktionskosten konfrontiert, die nicht alle von ihnen auf die Kunden überwälzen könnten. Geopolitische Spannungen seien die Ursachen dafür, dass sich Firmen aus Regionen zurückzögen oder umsiedelten, was wiederum Kapitaleinsatz verlange. Und zugleich erfordere die nachhaltige Transformation als Antwort auf den Klimawandel zusätzliche Finanzkraft. Alle diese Faktoren führten zu einer hohen Beanspruchung der Unternehmen in Form höherer Verschuldung und höheren Finanzierungsbedarfs. Deshalb sei auch mit einer steigenden Zahl von Insolvenzen im nächsten Jahr zu rechnen.
Andreas Jaufer, geschäftsführender Gesellschafter bei der Kapitalmanagementgesellschaft Robus, rechnet vor diesem Hintergrund mit schärferen Konflikten zwischen den Stakeholdern der Unternehmen, die sich in schwerem Fahrwasser befinden. „Die Restrukturierung mit Rückenwind ist vorbei“, meint Jaufer. Nachdem das Umfeld in den vergangenen 12 Jahren den finanziellen Umbau von Firmenbilanzen erleichtert habe, steige nun der Druck von allen Seiten. Banken und Finanzierer einerseits und Geschäftsführung und Gesellschafter andererseits hätten weniger Zeit zur Krisenbekämpfung, denn die Finanzierungskonditionen seien strenger. Er erwarte „viele schwierige Diskussionen um frisches Geld“, prognostizierte der Portfoliomanager – insbesondere im Einzelhandel und bei den Automobilzulieferern. Zudem rechnet Jaufer mit einem länger anhaltenden, starken Preisauftrieb. Die Inflationserwartungen privater Haushalte für die nächsten fünf Jahre lägen derzeit bei 6% per annum, mahnte Jaufer.
Aus der Sicht des Wirtschaftsprüfers bedeutet dieser Ausblick, dass 2023 mit mehr Warnhinweisen in Bestätigungsvermerken zu rechnen sei, erläuterte Stefan Sinne, der bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton vorwiegend familienbezogene und inhabergeführte Unternehmen unterschiedlicher Größe und Rechtsform betreut. Die Fortführungsprognose sei in unsicheren Zeiten durchaus schwierig. Denn häufig warte der Wirtschaftsprüfer auf den erfolgreichen Abschluss einer Finanzierungsrunde, während die beteiligten Kapitalgeber wiederum zunächst das uneingeschränkte Testat als Qualitätssiegel sehen wollten – „ein Henne-Ei-Problem“. Zudem haben Unternehmen oft das Interesse, sich in ihrem Jahresausblick auf ihre Zukunftspläne zu konzentrieren. Der Wirtschaftsprüfer wiederum müsse auf eine angemessene Darstellung drohender Risiken bestehen, denn genau diese sachgerechte Abbildung der Lage werde testiert. Das schließe freilich ein, dass bestandsgefährdende Tatsachen im Ausblick erwähnt werden müssen – auf die der Wirtschaftsprüfer dann wiederum in seinem Bestätigungsvermerk verweisen kann. Es sei dann die Aufgabe des Bilanzlesers, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.