Reisen mit gutem Gewissen
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Im laufenden Kalenderjahr will die Tui das Desaster der Pandemie endgültig hinter sich lassen und operativ durchstarten. Dafür sollen die Aktionäre am Dienstag einem drastischen Kapitalschnitt zustimmen, um mit einer erneuten Kapitalerhöhung Geld einzusammeln, das dazu dient, Staatshilfen zurückzuzahlen. Dafür soll auch jener Massenbetrieb endlich wieder voll anlaufen, der sich auch Pauschalreise nennt und die wesentliche Säule des Tui-Geschäftsmodells bildet.
Die Nachfrage nach diesem tradierten Reisemodell ist offenbar ungebrochen, wie Tui-Deutschland-Chef Stefan Baumert erst kürzlich wissen ließ. Mehr als Hälfte der Gäste entscheidet sich demnach im Sommer für die Pauschalreise in der Version „all inclusive“, die der Reiseriese in vielen Hotels und obendrein konsequent auf Kreuzfahrtschiffen der Tuicruises anbietet. Wenn die Buchungszahlen des ersten Quartals, über das der Konzern auf der Hauptversammlung ebenfalls berichtet, diesen Trend bestätigen, steuert die Tui wie die (Pauschal-)Reisebranche insgesamt aber auch in wachsendem Maße auf einen Zielkonflikt zu. Denn bei dieser Art Urlaub steigen massenhaft Reisende in umweltschädliche Flugzeuge, um danach in ebenso umweltschädliche Kreuzfahrtschiffe oder energieintensive Hotelburgen umzusteigen.
Bereits vor Ausbruch der Pandemie sah sich der Massentourismus mit einer zunehmenden öffentlichen Kritik konfrontiert, weil die unbestreitbaren ökonomischen Vorteile der Zielländer von den unerfreulichen Nebenwirkungen überlagert zu werden drohten: Betonburgen an Spaniens Küsten wurden ebenso angeprangert wie mit Schweröl angetriebene Riesenschiffe, die auch an kleineren Orten(die plötzlich zum Hotspot geworden waren) wie etwa der kroatischen Stadt Dubrovnik auf einen Schlag Tausende von Reisenden ausspuckten und die Einwohner geradezu erstickten.
Derlei wenig nachhaltige Begleiterscheinungen, die dem Individualtourismus nicht in diesem Maße anhaften, sind auf Dauer ein betriebliches Risiko, zumal nicht nur inzwischen die Kunden selbst, sondern auch die Investoren daran Anstoß nehmen. Die Tui ist daher gut beraten, ihre Nachhaltigkeitsagenda „People, Planet, Progress“, die sie nun zunächst mit dem Zieljahr 2030 vorgestellt hat, strikt umzusetzen.
Dabei können Airlines und Kreuzfahrtschiffe wenig überraschend nicht annähernd so deutlich Emissionen reduzieren wie Hotels. Bei Letzteren wird der Energieverbrauch fallweise durch sommerliche Temperaturen einerseits oder bauliche Maßnahmen andererseits reduziert. Lokale Beschaffung tut ein Übriges. Von daher ist eine Reduktion der CO2-Emissionen der Hotels um 46,2% bis 2030 womöglich sogar leichter darstellbar als eine Absenkung der Treibhausgase, die von Flugzeugen und Schiffen ausgehen. Beide Bereiche sollen ihren CO2-Fußabdruck nach den Plänen der Tui um 24% bzw. 27,5% reduzieren.
Insbesondere die Airlines stehen für 80% der vom Konzern verursachten Emissionen. Die Investitionen in neue moderne Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe sind allerdings ein Kraftakt, zumal für ein Unternehmen, dessen Bilanz von der Pandemie noch erheblich strapaziert ist. Für den laufenden Turnus hat sich das Unternehmen Nettoinvestitionen von 450 bis 500 Mill. Euro vorgenommen. Die Nettoverschuldung lag per Ende September bei 3,4 Mrd. Euro, die Zinslast bei 373 Mill. Euro. Hinzu kommt, dass moderne Flugzeuge zwar energieeffizienter sind, aber immer noch auf lange Sicht weitgehend mit Kerosin fliegen. Nachhaltiger Treibstoff (Sustainable Aviation Fuel) oder Bio-Diesel ist extrem teuer. Die Kunden müssen da mitziehen.