Schwellenländer ziehen reichlich Kapital an
rec Frankfurt
Investoren haben im November so viel Kapital in Schwellenländeranlagen gesteckt wie seit langem nicht. Sowohl bei Anleihen als auch bei Aktien registrieren die Fachleute des internationalen Bankenverbands IIF Zuflüsse im zweistelligen Milliarden-Dollar-Bereich. In den nächsten Monaten sehen Beobachter wieder schwierigere Zeiten auf Schwellenländer zukommen – auch weil sich die Aussichten für die Weltwirtschaft immer mehr eintrüben.
Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank sind in zunehmender Sorge um die Weltwirtschaft. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa stellte bei einer Reise nach China weitere Abwärtsrevisionen für das globale Wirtschaftswachstum in Aussicht. Weltbankchef David Malpass, ebenfalls Teil der Delegation, brachte tiefe Besorgnis darüber zum Ausdruck, „dass die Welt vor dem Risiko einer globalen Rezession steht“. Jahre langsamen Wachstums und eine umfangreiche Neubewertung (Repricing) an den Finanzmärkten könnten die Folge sein.
„Beeindruckende“ Dynamik
Die Befürchtungen gelten vor allem dem kommenden Jahr. Dann ist laut Bankenverband IIF mit einer steigenden Schuldenaufnahme zu rechnen – und beim Währungsfonds fürchtet man, dass deutlich gestiegene Zinskosten viele Staaten überfordern könnten. Momentan stehen Schwellenländer gleichwohl hoch in der Gunst der Investoren. Laut IIF-Berechnungen flossen im abgelaufenen Monat im Saldo 17,5 Mrd. Dollar in Schwellenländeranleihen, China ausgenommen. Die Nettoinvestitionen in Aktien aus Schwellenländern waren mit 14,5 Mrd. Dollar kaum weniger „beeindruckend“, heißt es beim Lobbyverband der internationalen Bankenszene in Washington (siehe Grafik).
„Diese Dynamik steht in augenfälligem Kontrast zu den vorangegangenen Monaten“, konstatiert IIF-Ökonom Jonathan Fortun. Zwei Gründe führen Fortun und seine Kollegen dafür an: Zum einen erwarteten Anleger eine baldige Kehrtwende von der US-Notenbank Fed. Anlagen in Schwellenländern profitieren in der Regel von fallenden Zinsen in den USA und einem schwächeren Dollar. Als zweiten Grund führen die IIF-Experten die Erwartung einer wirtschaftlichen Erholung in Schwellenländern an. Zudem seien Investoren wieder stärker bereit, ins Risiko zu gehen, ergänzen die Analysten von Capital Economics.
Anders als in früheren Phasen steigender US-Zinsen samt einem starken Dollar ist eine bisweilen befürchtete Schwellenländerkrise diesmal ausgeblieben. Eine plötzliche Schubumkehr bei den Kapitalströmen wie in der Anfangsphase der Coronakrise, ein sogenannter „sudden stop“, war nicht zu beobachten. Das hebt Neil Shearing, Chefvolkswirt von Capital Economics, hervor. Shearing begründet die geringere Anfälligkeit damit, dass die meisten Schwellenländer das Gros ihrer Schulden inzwischen in Lokalwährungen statt in Dollar begeben.
„Das bedeutet aber nicht, dass alle Schwellenländer aus dem Schneider sind“, gibt Shearing zu bedenken. Eine zu hohe Neuverschuldung in der jeweiligen Landeswährung könne in einzelnen Ländern die Finanzstabilität gefährden. Und auch steigende Leitzinsen könnten zum Problem werden. Vielerorts dürfte der Zinsgipfel indes erreicht oder in Sicht sein: „Im Laufe des ersten Quartals dürften auch die letzten Schwellenländer den Zinsanhebungszyklus beenden“, erwarten die Ökonomen der DekaBank.
China in neuem Licht
Besondere Erwähnung ist dem IIF China wert. Die Märkte schauten „in neuem Licht“ auf das Land. Bislang habe China stetig ausländisches Kapital angezogen, selbst in Phasen starker Schwankungen anderswo. Dieses Muster habe sich in diesem Jahr geändert. „Der Zustrom ausländischen Kapitals nach China ist im Wesentlichen zum Stillstand gekommen.“ Das decke sich mit Aussagen von Marktteilnehmern, dass sie mehr auf geopolitische Risiken achten.