Trübe Aussichten, aber kein Absturz der deutschen Wirtschaft
ba Frankfurt
Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft bleiben zwar trübe, aber es mehren sich die Zeichen, dass die anstehende Rezession milder ausfallen dürfte als befürchtet. Neuestes Indiz ist einerseits das im November um 8 auf 82,5 Punkte gekletterte DIW-Konjunkturbarometer als auch der nachlassende Materialmangel in der Industrie. Vom Jobmarkt gibt es gleichfalls positive Signale: „Zwar sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung saisonbereinigt erneut gestiegen und Kurzarbeit nimmt wieder zu, die Beschäftigung wächst aber deutlich“, erklärte Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Zahl der Erwerbstätigen ist im Oktober auf ein Rekordhoch gestiegen. Für Hoffnung sorgt, dass eine Gasmangellage über den Winter unwahrscheinlicher geworden ist und die Entlastungspakete der Bundesregierung die Krisenfolgen abfedern.
„Die deutsche Wirtschaft zeigt sich insgesamt widerstandsfähiger als gedacht und kann den von vielen befürchteten Absturz wohl vermeiden“, sagte Guido Baldi, Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Allerdings gebe es wenig Hoffnung auf eine rasche und kräftige Erholung von der gegenwärtig schwierigen Situation. Auch werde die exportorientierte deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten zunehmend die Abschwächung der Weltwirtschaft zu spüren bekommen, mahnte Baldi.
Weiterhin gehe vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine ein hohes Eskalationspotenzial aus und die gegenwärtige Corona-Welle in China könnte die Probleme bei internationalen Lieferketten wieder verschärfen. Im November war die Materialknappheit in der Industrie so gering wie seit April 2021 nicht mehr. Laut Ifo klagten 59,3% der befragten Firmen über Engpässe. Im Oktober waren es noch 63,8%. „Die Zahlen machen Hoffnung. Dennoch kann noch nicht von einer tiefgreifenden Entspannung gesprochen werden“, erklärte dazu Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. „Viele Aufträge können noch immer nicht abgearbeitet werden.“ Bislang kostete der Materialmangel laut einer Berechnung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) die deutsche Wirtschaft knapp 64 Mrd. Euro – oder anders gesagt, Ende 2021 hätte das Bruttoinlandsprodukt um 1,2% und Mitte 2022 um 1,5% höher liegen können, hätten alle Neuaufträge seit Anfang 2021 auch abgearbeitet werden können. „Diese Zahlen untermauern den Bedarf, der Resilienz der Lieferketten künftig zulasten der Kosteneffizienz ein höheres Gewicht beizumessen“, heißt es in der am Montag vorgestellten IMK-Studie.
Keine De-Industrialisierung
Für weiteres Ungemach sorgen die hohen Energiekosten. So haben energieintensive Industrien seit Jahresbeginn die Produktion um kumuliert etwa 10% heruntergefahren. Im Fokus stünden dabei die Branchen Chemie, Grundstoffe und Glaskeramik, erklärte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank bei der Vorstellung seines Jahresausblicks. Die Gefahr, dass Produktionsstätten oder ganze Unternehmen wegen der hohen Energiekosten ins Ausland abwandern, hält Kater für „substantiell“. Er rechnet im Zuge dieser Strukturanpassungen damit, dass der Industrieanteil hierzulande in den kommenden Jahren unter 20% der Bruttowertschöpfung fallen wird. Das sei aber keine flächendeckende De-Industrialisierung, zumal die Entwicklung über mehrere Jahre ablaufen sollte. „Wir sollten aber um jeden Euro Wertschöpfung in der Industrie hier in Europa kämpfen“, mahnte Kater. Da die dahinterstehenden Arbeitsplätze „hochentlohnt und hochproduktiv“ seien, bleibe die große Herausforderung, ähnlich produktive und wohlstandserhaltende Arbeitsplätze in innovativen Industriesektoren oder im Dienstleistungsbereich zu entwickeln.
Erfreuliches Wachstum
„Deutschland und Europa müssen generell aufpassen, nicht vom weltweiten Wachstumszug abgehängt zu werden“, mahnen die Deka-Volkswirte. Für das laufende Jahr prognostizieren sie der deutschen Wirtschaft ein Wachstum von 1,8%, im kommenden Jahr dann einen Rückgang um 0,7%. Nachdem das Potenzialwachstum, das 2015 noch bei 1,5% lag für die Jahre ab 2023 nur mehr mit 0,75% erwartet werde, hält Kater die Wachstumsprognose für 2024 von +1,4% für „sogar recht erfreulich“. Für den Euroraum liegt die Voraussage für 2022 bei 3,3%, gefolgt von einer Stagnation 2023 und einem Plus von 1,9% 2024.