Bürokratieabbau – die Bundesampel hat ihr Versprechen gebrochen
Bürokratieabbau – Versprechen gebrochen
Die Ampel startet einen neuen Versuch zum Abbau von Verwaltungsvorschriften – Praxischecks sollen zentrale Rolle spielen
Die Lasten für die deutsche Wirtschaft für die Erfüllung gesetzlicher Auflagen und zu Dokumentationspflichten werden immer größer und legen sich wie Mehltau über den Standort. Ein neuer Entlastungsversuch wird nun gestartet; Praxischecks sollen vieles richten. Das neue "Deutschlandtempo" scheint aber weiter in weiter Ferne.
Von Stephan Lorz, Frankfurt und Andreas Heitker, Berlin
An Versprechungen und Konzepten fehlt es nicht: Seit Jahrzehnten bekennt sich die Politik zum Bürokratieabbau und produziert "Bürokratieentlastungsgesetze" in Serie. Inzwischen sind wir bei Nummer 4 angelangt. Doch sie haben immer nur kurzfristig Wirkung gezeigt, wie der Normenkontrollrat (NKR) kritisiert, der die Gesetzesfolgen auch hinsichtlich ihrer Kostenwirkungen für die Unternehmen analysiert. In seinem jüngsten Bericht zeigten sich die Mitglieder geradezu erschüttert über die Ergebnisse: Noch nie ist der "Erfüllungsaufwand" für die Unternehmen und Bürger, um den bürokratisch-rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden, so stark gestiegen wie im vergangenen Jahr: ein Plus von 54% oder 9,3 Mrd. Euro auf insgesamt 26,8 Mrd. Euro.
Mit Verweis auf die Bürokratielasten hatte zuletzt immerhin die FDP die Notbremse gezogen und will das Lieferkettengesetz stoppen. Und in einem Brief erinnerte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) seinen Kabinettskollegen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Die Grünen) erst kürzlich an das Versprechen im Koalitionsvertrag und fügte handschriftlich hinzu: "Wir müssen beim Bürokratieabbau noch schneller vorankommen!" Denn die Konjunktur müsse dringend wieder Fahrt aufnehmen.
Ankündigung im Koalitionsvertrag
In der Tat wurde der Bürokratieabbau im Ampel-Vertrag zu einem der Hauptziele erhoben: "Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen und der Wirtschaft, insbesondere den Selbständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen", steht an prominenter Stelle. "Überflüssige Bürokratie" werde abgebaut, heißt es da. Auf Kritik reagieren die Ampel-Parteien indes empfindlich. Felix Banaszak (Die Grünen) verwies darauf, dass die Regierung bereits 80 Regelungen abgeschafft habe und 60 weitere seien in Prüfung. Den Antrag der Unionsfraktion für eine "Bürokratiebremse" samt "Belastungs-TÜV" wurde von den Koalitionsparteien im vergangenen November aber gleichwohl abgelehnt, ohne ausgiebig über die Inhalte zu debattieren und gegebenenfalls gemeinsame Punkte festzuhalten.
Dabei hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz selber immer wieder vor einem "Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit", der sich über das Land gelegt habe, gewarnt und die Notwendigkeit einer neuen "Deutschlandgeschwindigkeit" beschworen. Mit großer Nachdrücklichkeit wird in diesem Zusammenhang auf das "Bürokratieentlastungsgesetz IV" verwiesen. Allerdings sind hier eher kleine Schritte aufgelistet, die zusammengenommen allenfalls auf eine Entlastung von 2,3 Mrd. Euro hinauslaufen, so sie auch entsprechend umgesetzt werden können. Es geht etwa um so große Errungenschaften, dass Buchungsbelege nur noch 8 statt 10 Jahre aufbewahrt werden müssen und in Hotels nicht mehr jeder Gast einen Meldeschein ausfüllen muss.
Es gab hierzu auch eine Umfrage unter Verbänden, welche Bestimmungen denn aus ihrer Sicht gestrichen werden können. Es kamen über 400 Streichvorschläge auf die Schreibtische der Minister. Nach Prüfung durch die Ministerialbürokratie werden aber nur 34 tatsächlich vollständig aufgegriffen, 210 wurden abgelehnt. Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) tat sich dabei mit allein 61 Ablehnungen hervor und hielt sie als "nicht umsetzbar". Auch nach Meinung der Wirtschaft zwar verdienstvoll, aber nicht die große Befreiung.
Überkomplexes Heizungsgesetz
Aber was hilft ein Bürokratieentlastungsgesetz, wenn die Ampel selber bei ihren neuen Gesetzen alle guten Vorsätze fahren lässt und noch eins draufsetzt? Denn das im Frühjahr vorgestellte und dann nochmal nachgebesserte Gebäudeenergiegesetz ("Heizungsgesetz"), das dafür Sorge tragen soll, dass spätestens 2028 jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65% erneuerbarer Energie betrieben wird, gilt als regelrechter Bürokratiehammer. Für den NKR ist dies sogar ein eigenes Kapitel wert. Zum Gesetz wurden nämlich Detailregelungen erlassen, die einen großen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen, unter anderem, um die Fördergelder nur an die berechtigten Adressaten auszugeben. Jede denkbare Variante beim Energieumbau fand Eingang in das Gesetz. Dabei sei das Gebäudeenergiegesetz nur "die Spitze des Eisbergs", mahnt der NKR. "Es gibt viele weitere Fälle, in denen hunderte Seiten komplizierter Gesetzestexte im Eiltempo durchs Parlament gebracht werden." Vielfach bleibe keine Zeit, um Betroffene und Vollzugsexperten einzubeziehen. Darunter leide die Praxistauglichkeit, es werde unsauber reguliert und es passierten Fehler. "Das erschwert die Umsetzung, erzeugt unnötige Bürokratie und behindert die Wirkung von Gesetzen", moniert der NKR. Insgesamt setze sich damit aber "ein Trend der vergangenen drei Jahre fort" – eine Entwicklung also, die im Wesentlichen in die Amtszeit der Ampel-Regierung fällt.
Mehr Beamte für die Zentrale
Die überbordende Bürokratie hat aber noch weitere Folgen, die für sich genommen neue Bürokratie nach sich ziehen: der nötige Aufwuchs in den Verwaltungen, um die vielen Bestimmungen umsetzen, prüfen und gegebenenfalls einfordern zu können. Zwischen 2012 und 2022 wurden 14% mehr Verwaltungsstellen in Bund, Ländern und Kommunen geschaffen auf jetzt 4,83 Millionen Jobs. Von den zusätzlichen 584.000 Stellen gab es allein im Bereich "Politische Führung" und "Zentrale Verwaltung" ein Plus von 118.000 Personen.
Während der Aufwuchs in Sektoren wie öffentliche Sicherheit und Soziale Sicherung nachvollziehbar ist, weil bekanntermaßen mehr Sicherheitspersonal und Polizei benötigt werden und etwa für die Integration von Flüchtlingen und die Kindertagesbetreuung offenkundig mehr Personal gebraucht wird, ist die Zunahme in den Ministerien und zentralen Behörden mit Fragezeichen zu versehen. Es sei zu befürchten, schreibt denn auch Björn Kauder, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, "dass hier zunehmend ein Wasserkopf entsteht". Die Vermutung liege nahe, dass die zusätzlichen Stellen nicht zuletzt aus politischen Gründen eingerichtet würden. "Zum Ziel einer schlanken und effizienten Verwaltung passt diese Entwicklung jedenfalls nicht."
Beim grün geführten Bundeswirtschaftsministerium laufen die Koalitionspartner mit ihren Forderungen, in Sachen Bürokratieabbau das Ruder endlich herumzureißen, inzwischen offene Türen ein. Dort wird darauf verwiesen, dass die Normenkontrolle hierfür längst nicht mehr ausreicht, weil die "low hanging fruits" längst abgeerntet seien. Der neue Ansatz, den das Haus von Robert Habeck seit dem letzten Jahr verfolgt und der nach ersten Versuchen nun flächendeckend ausgerollt werden soll, setzt auf Praxischecks. Das heißt, dass wirtschaftliche Prozesse und neue Gesetze künftig von Anfang bis Ende simuliert werden. Zugleich sollen systematisch Experten aus Wirtschaft und Verwaltung einbezogen werden, Hemmnisse identifizieren und die Praxistauglichkeit von Regulierungen überprüfen.
Getestet wurden die Praxischecks schon im Bereich der Fotovoltaik, wo von Stakeholdern über 50 Hindernisse für den gewerblichen und privaten Solarausbau identifiziert und zum Teil auch schon abgeräumt wurden. Auch im Bereich der Windenergie gab es schon erste Ergebnisse. Die Liste, wie es im Wirtschaftsministerium weitergehen soll, ist lang: Geplant sind Überprüfungen der Regeln für Unternehmensgründungen und -übertragungen, die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die in der Wirtschaft immer wieder für Unmut sorgt, im Bereich des Datenschutzes, bei der Wärmepumpen-Installation, aber auch im Lebensmittelhandwerk, sprich: bei Fleischern und Bäckern.
EU als schlechtes Vorbild
Das Wirtschaftsministerium will seine Praxischecks als zweite Säule des Bürokratieabbaus neben Transparenz/Normenkontrolle etablieren und hat auch schon die anderen Ressorts zum Mitmachen aufgefordert. Bisherige Resonanz: nahezu null. In Brüssel ist es in neuen Gesetzesverfahren üblich, "Impact Assessments" durchzuführen. Daran orientieren sich auch die Praxischecks – obwohl gerade EU-Gesetze bislang nicht durch wenig Bürokratie glänzen.