Sondergutachten Bundesrechnungshof

"Die Energiewende ist nicht auf Kurs"

Der Bundesrechnungshof hat einen ernüchternden Zwischenbericht zur Energiewende vorgelegt und wirft der Bundesregierung eine Gefährdung der Stromversorgung vor.

"Die Energiewende ist nicht auf Kurs"

"Die Energiewende ist nicht auf Kurs"

Bundesrechnungshof kritisiert Wissenslücken und fehlendes Monitoring – Verzug bei Erneuerbaren und Netzen

Der Bundesrechnungshof hat einen ernüchternden Zwischenbericht zur Energiewende vorgelegt: Danach ist gegenüber 2021 der Verzug bei allen wesentlichen Baustellen noch größer geworden. Die Prüfer fordern Berlin zum sofortigen Umsteuern auf. Unterdessen nimmt die Stromproduktion aus Erneuerbaren rasant zu.

ahe/lz Berlin/Frankfurt

Die Energiewende in Deutschland ist einem Sonderbericht des Bundesrechnungshofes zufolge derzeit "nicht auf Kurs". Um eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Stromversorgung zu erreichen, müsse die Bundesregierung umgehend und zielgerichtet umsteuern, hieß es. Rechnungshof-Präsident Kay Scheller bezeichnete die bisherigen Maßnahmen als ungenügend. "Die Bundesregierung ist im Verzug beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie beim Aufbau von Backup-Kapazitäten", kritisierte er bei der Vorstellung des Berichts.

Der Verzug sei gegenüber der letzten Bestandsaufnahme 2021 sogar noch größer geworden. "Hinzu kommen Wissenslücken über die Umweltwirkungen der Transformation und ein fehlendes Konzept gegen hohe Strompreise." Die Folgen sind laut Scheller alarmierend: Die sichere Versorgung sei gefährdet, Strom teuer und Umweltwirkungen könne die Bundesregierung nicht umfassend bewerten. So gefährde die Politik die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung, den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie das Erreichen der Klimaschutzziele. Erstmals nahm der Rechnungshof in dem Bericht zudem das fehlende wirksame und integrierte Monitoring zur Steuerung der Energiewende ins Visier.

In dem Bericht wird unter anderem darauf verwiesen, dass der Rückstand beim Ausbau der Stromnetze mittlerweile bei sieben Jahren beziehungsweise 6.000 Kilometern liegt. Beim Ausbau der Windenergie an Land seien 2023 lediglich 50% des Zielvolumens durch die Bundesnetzagentur vergeben worden. Ein Aufholen dieser Lücke in diesem Jahr sei "nicht realistisch", so Scheller. Auch die jüngst in der Kraftwerksstrategie angekündigten neuen Backup-Gaskraftwerke von 10 Gigawatt werden nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes nicht ausreichen.

Versorgungssicherheit kritisch

Als "wirklichkeitsfremd" kritisierten die Prüfer in diesem Zusammenhang die Annahmen der Bundesregierung zur Versorgungssicherheit. In ihrer 2023 vorgelegten Analyse der Netzagentur zur Versorgungssicherheit werde lediglich ein Best-Case-Szenario betrachtet, wonach auch die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien und den Stromnetzen sicher erreicht würden, sagte Scheller. Dieses Szenario sei aber sehr unwahrscheinlich und weiche von den tatsächlichen Entwicklungen erheblich ab.

Der Präsident des Rechnungshofes forderte das Bundeswirtschaftsministerium auf, auch die "Systemkosten" der Energiewende klar zu benennen. So würden bisher die massiven Investitionskosten von mehr als 460 Mrd. Euro für den Netzausbau bei der Kostendarstellung der Erneuerbaren nicht berücksichtigt. "Dadurch entsteht ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation."

Unterdessen hat die Windkraft die Kohle als wichtigsten Energieträger bei der Stromerzeugung abgelöst. Fast ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms stammte 2023 aus Windkraft, teilte das Statistische Bundesamt mit. 2023 war nach Angaben der Wiesbadener Statistiker zudem das erste Jahr, in dem in fast allen Monaten mehr Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser und Sonne als aus konventionellen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Atom eingespeist wurde. 2022 war noch Kohle mit einem Anteil von 33,2% der wichtigste Energieträger. Allerdings ist Deutschland seit 2023 von einem Nettoexporteur zu einem Nettoimporteur von Strom geworden: Es wurden 69,3 Mrd. Kilowattstunden importiert und nur 60,1 Mrd. Kilowattstunden exportiert.

Kommentar zur Klima- und Energiewende

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