Bundesregierung hält an ablehnender Haltung fest
sp Berlin
Die Bundesregierung hat ihre ablehnende Haltung zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltig im Rahmen der EU-Taxonomie bekräftigt. „Wir sind dagegen, dass Atomkraft als nachhaltig eingestuft wird“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin, kurz nachdem die EU-Kommission in Brüssel den delegierten Rechtsakt zur Konkretisierung der Taxonomie vorgestellt hatte. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) erklärte, sie halte den Rechtsakt „in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und die Klimaziele gefährden könnte“. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) erneuerte ebenfalls seine Kritik. „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten.“ Der jetzt vorgelegte Rechtsakt konterkariere das gute Konzept der Taxonomie und laufe ihren Zielen zuwider.
Vier Monate Zeit für Prüfung
Die Bundesregierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschluss der EU-Kommission umgehe, teilten die beiden grünen Regierungsmitglieder in einer gemeinsamen Erklärung mit. Habeck und Lemke hatten schon im Januar betont, dass Deutschland aus ihrer Sicht den delegierten Rechtsakt ablehnen sollte, sofern er in wesentlichen Punkten unverändert bleibt. „Die für uns notwendigen Veränderungen sehen wir nicht“, sagte Habeck jetzt. „Wir haben jetzt vier Monate Zeit, das zu prüfen, was die Kommission jetzt tatsächlich vorlegt“, sagte Hebestreit. Ob Deutschland gegen den Rechtsakt der Kommission klagen werde, wie Umweltverbände forderten, ließ der Regierungssprecher offen.
Die Bundesregierung hat schon mehrfach ihre Ablehnung zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltig zum Ausdruck gebracht. Eine Unterstützung für Gaskraftwerke als Übergangstechnologie hält Deutschland auch im eigenen Interesse aber für vertretbar. In dem nun angenommenen Rechtsakt hat die EU-Kommission noch Änderungen zu ihrem ursprünglichen Entwurf vorgenommen und die Auflagen für Gaskraftwerke gelockert. Insbesondere Deutschland hatte darauf gepocht, diese Kriterien flexibler zu machen.
Auch aus den Fraktionen der Ampel-Parteien hagelte es Kritik. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Achim Post sprach sich dafür aus, die Einstufung von Gas- und Atomkraftwerken als nachhaltig zu stoppen. Die frisch gewählte Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang warf der EU-Kommission vor, die Taxonomie zu einem Greenwashing-Instrument zu machen. Die Grünen würden sich nun dafür einsetzen, dass die Bundesregierung mit Nein stimmt, sagte Lang. Zudem gelte es, die Erfolgsaussichten für eine Klage gegen den Rechtsakt zu prüfen. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler begrüßte die Einstufung von Gaskraftwerken als nachhaltige Investition.
Die Taxonomie der EU ist eine Art Kompass für nachhaltige Finanzen. Sie soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Ein Comeback der Kernkraft dürfte sie auch in der jetzt vorgelegten Fassung aber nicht einleiten. „Das Thema ist in Deutschland abgeschlossen, der Ausstieg ist fast vollständig umgesetzt, und die Betreiber haben sich darauf längst eingestellt“, sagte Simon Müller, Direktor Deutschland der Denkfabrik Agora Energiewende, der Börsen-Zeitung. „Im Stromsektor ist der Durchbruch der Erneuerbaren inzwischen eine globale Tatsache. Die Investitionen gehen weit überwiegend in Windkraft und Solarenergie – deshalb fordert in der Industrie auch niemand neue Kernkraftwerke.“ Mit der Bezeichnung von fossilem Brennstoffeinsatz als nachhaltig sei die Glaubwürdigkeit des neuen EU-Labels aber von Anfang an beschädigt, sagte Müller.