Großbritannien

Chaostage in Westminster

Nach dem Rückzieher beim Spitzensteuersatz wächst der Druck auf Finanzminister Kwasi Kwarteng, die Körperschaftsteuer zu erhöhen. Entsprechende Gerüchte bewegen den Markt.

Chaostage in Westminster

hip London

Die britische Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng haben parteiintern mit erheblichem Widerstand gegen ihre Steuersenkungsvorhaben zu kämpfen. Die von ihnen geplante Streichung des Spitzensteuersatzes mussten sie bereits aufgeben. Gerüchte über Vorbereitungen auf einen weiteren Rückzieher der beiden ließen am Donnerstag das Pfund gegen den Dollar steigen.

Trotz aller Dementis aus Schatzamt und 10 Downing Street hält sich die Annahme hartnäckig, dass im Schatzamt bereits an Veränderungen der Steuerpläne gearbeitet wird. Truss will die Körperschaftsteuer nicht, wie von Kwartengs Vorgänger Rishi Sunak geplant, im April von 19 % auf 25 % erhöhen.

Bislang ist nicht klar, wie die Regierung ihren Wachstumsplan gegenfinanzieren will. Am Vortag hatte Truss im Unterhaus verkündet, es werde keine Ausgabenkürzungen geben. Kwarteng warb derweil beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington um Verständnis für seine Politik.

Das durch rasant steigende Renditen ausgelöste Chaos am Markt für britische Staatsanleihen ging auch am Donnerstag weiter. Pensionsfonds, die gehebelte LDI-Strategien (Liability-Driven Investment) verfolgten, waren gezwungen, Staatsanleihen zu verramschen, um hohe Nachschussforderungen der Gegenparteien solcher Derivatgeschäfte erfüllen zu können. Ihr Verband, die Pensions & Lifetime Savings Association, forderte die Notenbank dazu auf, ihre Stützungskäufe mindestens bis 31. Oktober fortzusetzen. Dann will die Regierung ihre mittelfristige Finanzplanung vorstellen. Zudem werden sich auch die unabhängigen Haushaltshüter des OBR (Office for Budget Responsibility) dazu äußern.

Truss in der Zwickmühle

Kwarteng sagte in Washington, weitere Verwerfungen seien „eine Angelegenheit für den Gouverneur“ der Bank of England, nachdem Notenbankchef Andrew Bailey darauf bestanden hatte, das Anleihenkaufprogramm der Notenbank an diesem Freitag zu beenden. Das Verhältnis zwischen Schatzamt und Bank of England ist seit dem Amtsantritt Kwartengs angespannt. Nachdem der Labour-Premier Gordon Brown die Notenbank in die Unabhängigkeit entließ, ist es zwar ein ungeschriebenes Gesetz in Großbritannien, dass die Regierung weder die Zentralbank noch ihre Geldpolitik kritisieren darf. Doch hatte Truss während ihres Kampfs um die Parteiführung angedeutet, am Mandat der Old Lady of Threadneedle Street schrauben zu wollen.

Truss und Kwarteng sitzen in einer Zwickmühle: So gerne sie der Bank of England hineinregieren würden, sie brauchen sie auf ihrer Seite, wenn sie auch nur einen Teil der von ihnen erhofften Deregulierungsschritte auf den Weg bringen wollen. Das könnte dazu führen, dass sich Bailey im Amt halten kann.

Die Notenbank ist bemüht, die Verantwortung für das Durcheinander am Rentenmarkt anderen zuzuschieben. Altersvorsorgepläne und LDI-Manager würden vom Pensionen-Regulierer TPR und der Finanzaufsicht FCA (Financial Conduct Authority) überwacht, verlautbarte das Finanzstabilitätskomitee. „Was jetzt wirklich wichtig ist, ist, dass sich alle an dieser Situation Beteiligten, die Pensionsfonds, die Assetmanager und die Gegenparteien auf Bankenseite, wirklich auf die Arbeit konzentrieren, die sie in den kommenden Tagen leisten müssen, um sicherzustellen, dass das System robust ist“, sagte FCA-Chef Nikhil Rathi.

IWF-Chefin Kristalina Georgiewa sagte in Washington, die Fiskalpolitik dürfe die Geldpolitik nicht unterminieren – ein klarer Seitenhieb gegen die britische Regierung. Das mache nur zusätzliche Zinserhöhungen erforderlich.

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