Chinas BIP auf Normalisierungskurs
nh Schanghai
Chinas Wachstumstempo beginnt sich im Nachgang zu einer starken Erholungsphase von den Auswirkungen der Corona-Pandemie wieder zu normalisieren. Die neuen Daten des Pekinger Statistikbüros weisen für das zweite Quartal einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7,9% gegenüber dem Vorjahreszeitraum aus. Damit wurde die Konsensschätzung der China-Ökonomen bei 8% geringfügig unterschritten. Im ersten Quartal hatte das chinesische BIP im Zuge der Aufholjagd nach der Corona-Delle um rekordhohe 18,3% zugelegt. Entsprechend gehen Beobachter auch für den weiteren Jahresverlauf von einer Entschleunigung der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft aus.
In den vergangenen Wochen waren verstärkte Ängste bezüglich des Stabilisierungskurses der Konjunktur aufgekommen. Dies veranlasste Chinas Währungshüter zu einer geldpolitischen Anregungsmaßnahme in Form einer Mindestreservesatzsenkung für Geschäftsbanken. Am Donnerstag verzichtete die People’s Bank of China jedoch darauf, im Rahmen einer einjährigen Geldmarktfazilität weitere offensichtliche Lockerungsimpulse zu setzen. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass die ebenfalls am Donnerstag verbreiteten Wirtschaftsleistungsdaten für den Monat Juni eine positive Überraschung gebracht haben.
Chinas Industrieoutput ist im Juni um 8,3% gegenüber dem Vorjahresmonat und damit kräftiger als erwartet angestiegen. Im Mai allerdings betrug das Wachstum der Industrieproduktion noch 8,8%. Die Zugkraft des verarbeitenden Gewerbes hat maßgeblich dazu beigetragen, dass China wesentlich rascher als andere Länder aus der Corona-Misere herausfinden und eine sogenannte V-förmige Erholungskurve hinlegen konnte (siehe Grafik).
Dabei hat sich vor allem die chinesische Exportwirtschaft mit rascher Anpassung an die pandemischen Gegebenheiten hervorgetan. Auch zuletzt im Juni legten die chinesischen Ausfuhren noch überdurchschnittlich kräftig um 32% zu. Allerdings erwarten Ökonomen nun ein sukzessives Abflauen der Außenhandelsdynamik im Verlauf des zweiten Halbjahres. Demgegenüber scheinen die Anlageinvestitionen an Tempo zu gewinnen. Für die ersten sechs Monate des Jahres registriert man hier einen Anstieg um 12,6% gegenüber der Vorjahresperiode.
Konsum bleibt wackelig
Als relativ erfreulich gilt die Entwicklung des im bisherigen Jahresverlaufs etwas nachhinkenden Konsums. So kletterten die Einzelhandelsumsätze zuletzt um 12,1%, während die Analysten hier eine Steigerung von maximal 11% auf dem Zettel hatten. Mit Blick auf coronabedingte Basiseffekte kann man allerdings noch immer nicht von einer vollen Erholung an der Konsumfront sprechen, was Chinas Wirtschaftsplanern einiges Kopfzerbrechen bereitet. Noch immer sieht man Zurückhaltung der Verbraucher bei größeren Anschaffungen und Konsumelektronik. Zuletzt waren sogar Absatzrückgänge bei Smartphones und Pkw zu verzeichnen.
Perspektivisch dürfte das zweite Halbjahr von einer marginalen Verlangsamung des Wachstumstempos geprägt sein, wenn sich aufgestauter Konsum aus der Coronaphase verringert, die Exportdynamik nachlässt und sich der in einer Erzeugerpreishausse gemündete Rohstoffpreisanstieg dämpfend auf die Nachfrage auswirkt, urteilen die China-Ökonomen der Nord/LB. Obwohl das diesjährige Wachstumsziel von offiziell 6% keineswegs in Gefahr scheint, thematisiert die chinesische Regierung bereits die Gefahren eines zyklischen Abschwungs.
Zuletzt hatte Peking die Zentralbank zu einer Mindestreservesatzsenkung im Dienste der Anregung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen veranlasst, die am Donnerstag wirksam geworden ist. Entsprechend aufmerksam wurden an den Märkten begleitende Refinanzierungsmaßnahmen der People’s Bank of China verfolgt. Dabei ließen die Währungshüter allerdings nur 100 Mrd. Yuan (13 Mrd. Euro) über die einjährige Medium Term Lending Facility (MLF) einschießen, denen zum Donnerstag auslaufende MLF-Gelder gegenüberstanden. So gesehen scheint die PBOC trotz der Mindestreservesatzsenkung keine Abkehr von einer mehrfach bekräftigten „neutralen“ geldpolitischen Linie zu beabsichtigen.