Ökonomen-Umfrage

„Das Konstrukt der konzertierten Aktion schadet mehr als es hilft“

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz geplante „konzertierte Aktion“ von Arbeitgebern und Gewerkschaften zur Bekämpfung der Inflation kommt bei von der Börsen-Zeitung befragten Ökonomen unterschiedlich gut an – die Meinungen im Wortlaut.

„Das Konstrukt der konzertierten Aktion schadet mehr als es hilft“

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise und Professorin für Volkswirtschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:

Die „konzertierte Aktion“ kann auch dafür sorgen, dass jeder die Verantwortung zum anderen schiebt. Das wäre eher bedenklich. Denn wenn – zum Beispiel, weil die Märkte und die Verbraucher nicht an den Erfolg glauben – die Inflationserwartungen steigen, dann wird es für die EZB noch schwieriger, die Inflation einzufangen, ohne eine Rezession auszulösen. Der Versuch einer Koordination kann also wertvolle Zeit kosten. Eine zeitnahe Straffung der Geldpolitik ist unumgänglich, um die Inflation zu bekämpfen.

Ein schlanker Prozess ohne Öffentlichkeit dürfte eher zu kurzfristigen Lösungen und Mitnahmeeffekten führen, die heute Härten abfedern, aber langfristige Chancen verbauen. Die von den Entscheidungen langfristig Betroffenen – nämlich die jungen Menschen – sitzen ja nicht am Tisch.

Es scheint mir wichtig, die wirtschaftspolitischen Herausforderungen nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer auszutragen, etwa in Form dauerhafter Reallohnverluste. Wir brauchen doch die Akzeptanz der Menschen für die anstehende Transformation. Wenn sie den Eindruck gewinnen, bei jeder Gelegenheit draufzahlen zu müssen, steigt die Skepsis, ob eine faire Transformation gelingen kann.

Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt und Ex-Wirtschaftsweiser:

Grundsätzlich ist es gut, dass der Bundeskanzler die hohe Inflation auf dem Schirm hat. Nicht zuletzt hängt sie auch mit dem Anstieg der Staatsverschuldung im Euroraum und der Monetarisierung dieser Schulden durch die EZB zusammen. Da wäre es wichtig, eine Aufweichung der Schulden- und Defizitregeln in der EU zu verhindern und sie stattdessen zu ertüchtigen.  Aber vor allem ist es Aufgabe der EZB, klare Schritte zu unternehmen und die Zinsen zu erhöhen. Sie ist bereits jetzt zu spät dran.

Generell sollten natürlich auch die Lohnverhandlungen realistisch sein. Eine Koordination auf höchster Arbeitgeber- und Gewerkschaftsebene mit Regierungsvertretern halte ich aber nicht für sehr sinnvoll. Der Kanzler hat ja bereits an den Tarifpartnern vorbei eine dauerhafte Erhöhung des Mindestlohns um 22% in diesem Jahr durchgesetzt. Das ist deutlich mehr als der Inflationsausgleich und schafft verständlicherweise den Wunsch nach Anpassung bei denen, die mehr als den Mindestlohn verdienen, aber nun einen deutlichen geringeren Abstand dazu sehen. Die Regierung sollte sich grundsätzlich aus den Lohnverhandlungen heraushalten und diese den Arbeitgebern und Gewerkschaften überlassen.

Idealerweise sollten die Löhne dort mehr steigen wo Arbeit knapp ist, und dort weniger, wo die Nachfrage nach Arbeitskräften geringer ausfällt. Deshalb ist möglichst auf die Gegebenheiten in verschieden Sparten, Regionen und Betrieben zu achten. In bestimmten Bereichen sind Reallohnverluste unvermeidbar. In anderen Bereichen sind Arbeitskräfte eben sehr knapp und die Unternehmen können die Preise an die Kunden weitergeben. So ergeben sich Verschiebungen in den relativen Preisen.

Vor dem aktuellen Hintergrund ist der Hinweis auf den Abschluss in der Chemie-Industrie mit einer Einmalzahlung zwar richtig, aber man sollte sich davon nicht zu viel an Inflationsdämpfung versprechen. Er gilt nur sieben Monate. Die Gewerkschaft will dieses Jahr noch eine deutliche längerfristige Lohnerhöhung. Aber die Chemie-Industrie ist sehr stark von den russischen Gaslieferungen und Verträgen mit Gaspreisen unter dem aktuellen Marktpreis abhängig.  Da erhofft man sich, dass mit einem anstehenden Kriegsende wieder alles anders sein könnte.

 

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität Berlin:

Die Idee der konzertierten Aktion des Bundeskanzlers ist klug und richtig. Denn in diesen schwierigen Zeiten muss es darum gehen, den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen und gleichzeitig notwendige Veränderungen zu ermöglichen. Dies kann nur durch eine enge Kooperation und Stärkung der Sozialpartnerschaften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gelingen. Ich erwarte, dass diese Verhandlungen recht starke Lohnerhöhungen befördern werden und Unternehmen, die von der Inflation profitieren, sich rechtfertigen müssen. Ich erwarte auch, dass die Bundesregierung eine deutlich expansivere Finanzpolitik wird umsetzen müssen, sowohl um Unternehmen bei der Transformation zu unterstützen, als auch um Menschen gegen soziale Härten zu schützen.

 

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:

Alle sollten sich zunächst bewusst sein, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Tarifvertragsparteien nur einen begrenzten Einfluss auf die Inflation haben. Gegenwärtig wird die Inflation vor allem von Materialengpässen getrieben, die viel mit Chinas Null-Corona-Politik zu tun hat. Außerdem verteuert Putins Angriffskrieg zurzeit die Energie. Für die längerfristigen Inflationsaussichten ist dagegen die EZB verantwortlich. Am Ende ist Inflation ein monetäres Phänomen. Die EZB muss ihre Leitzinsen viel schneller anheben, als es EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor kurzem in Aussicht gestellt hat. Die Inflationserwartungen der Menschen und damit auch die Inflation werden nur dann wieder sinken, wenn sich die EZB rasch von ihrer sehr lockeren Geldpolitik verabschiedet. Im Rahmen einer konzertierten Aktion können Arbeitgeber und Gewerkschaften nur insofern einen Beitrag zur Inflationsbekämpfung leisten, als sie auf Verteilungskämpfe verzichten. Aber es spricht vieles dafür, dass die Gewerkschaften ohnehin realisieren, dass die gestiegenen Energiepreise Deutschland als Ganzes ärmer machen und den Verteilungsspielraum vermindern. Von einer konzertierten Aktion solle man nicht so viel erwarten.

 

Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) Hans-Böckler-Stiftung:

Es ist eine gute Idee, wenn sich die Regierung mit den Sozialpartnern an einen Tisch setzt, um eine gemeinsame Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Risiken zu erreichen. Derzeit geht es darum, einerseits die Kaufkraft der Privathaushalte zu stabilisieren, damit es nicht zum Konsumeinbruch kommt, der die Wirtschaft in die Rezession treibt, auf der anderen Seite aber zu verhindern, dass die Inflation aus dem Ruder läuft. Wenn in einem solchen Setting die Regierung über weitere Entlastungspakete nach 2023 hinein die Kaufkraft der Beschäftigten stabilisiert, nimmt das natürlich Druck aus den Tarifverhandlungen und trägt zu einem stabilen Pfad der Entwicklung bei. Hier wird allerdings klar: Eine konzertierte Aktion kann nicht funktionieren, wenn der Staat nicht bereit ist, materiell beizutragen. Von daher bleibt abzuwarten, inwieweit eine konzertierte Aktion kompatibel ist mit dem Wiedereinhalten der Schuldenbremse schon 2023.

 

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln:

Die Zeit gegenseitiger Ignoranz der Makropolitiken ist vorbei. Es geht darum, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, und darum, welchen gezielten Entlastungsbeitrag die Finanzpolitik (über die Kompensation besonders betroffener Haushalte und existenzgefährdeter Unternehmen hinaus) leisten kann. Dafür ein Verständnis im Dialog zu erarbeiten, scheint mir alle Mühe wert. In diesem Sinne kann eine „konzertierte Aktion“ für ein gemeinsames Verständnis über die makroökonomische Lage sorgen: Lohn-, Geld- und Finanzpolitik in gegenseitiger Kenntnis der Aufgaben und Möglichkeiten, Grenzen und Verantwortung. Lohnpolitik hat auch eine Stabilisierungsverantwortung, das muss wieder deutlich werden. So warb der Sachverständigenrat in ähnlicher Phase zur Bewältigung inflationärer Risiken für einen stabilitätspolitischen Konsens aller Makropolitiken (JG 1980: „Grundmuster einer Lösung“; JG 1981: „Ein beschäftigungspolitischer Konsens“). Das ist gute Ordnungspolitik. Eine Gewähr des Erfolgs gibt es freilich nicht, das aber spricht nicht dagegen.

 

Stefan Kooths, Direktor Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel):

Das Konstrukt der konzertierten Aktion schadet mehr als es hilft. Vor allem verwischt es wirtschaftspolitische Verantwortlichkeit. Für die Preisstabilität sind nicht die Tarifparteien zuständig, sondern die Notenbanken, denen die Finanzpolitik die Arbeit schwerer oder leichter machen kann. Die Vorstellung, man müsse in korporatistisch-gesamtplanerischer Manier die Tarifpartner auf Stabilitätskurs halten, suggeriert, dass Inflation ihre Ursache in falschen Tarifabschlüssen habe. Das vertauscht Ursache und Wirkung. Ein höherer Inflationsausgleich wird dort aufgenommen, wenn sich die Inflationserwartungen entankern. Daher liegt das Problem nicht in einer vermeintlichen Lohn-Preis-Spirale, sondern in einer Preiserwartungs-Lohn-Spirale.

Die derzeitigen Inflationsschübe sind vor allem die Konsequenz der sehr expansiven Finanz- und Geldpolitik während der Corona-Pandemie. Dagegen hilft keine konzertierte Aktion, sondern eine Normalisierung der Geld- und Finanzpolitik.

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