Der Brics-Club lässt seine Teenager-Muskeln spielen
Der Brics-Club lässt seine Teenager-Muskeln spielen
Schirmherr für den Globalen Süden – Im Spinnennetz der Interessen Pekings und Moskaus – Kampfansage an den Dollar – Organisatorische Schwächen.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Das griffige Akronym Brics mit dem ein Goldman-Sachs-Ökonom einst große und wachstumsstarke Schwellenländer charakterisierte, ist längst kein brauchbares Motto mehr um Emerging-Markets-Portfolios zu strukturieren. Als Investmentthema hat das Brics-Konzept ausgedient, die realpolitische Ausstrahlung einer Interessengemeinschaft bedeutender Schwellenländer wächst aber.
Trump muckt auf
Im Jahr 2024 wurde die Mitgliedschaft um vier Länder erweitert und die Bekenntnisse zu einer multipolaren Weltordnung mit dem begleitenden Ziel einer „De-Dollarisation“ der Globalwirtschaft verstärkt. Das findet Aufmerksamkeit, nicht zuletzt beim angehenden US-Präsident Donald Trump. Seine polternde Warnung lautet: allen Brics-Staaten droht im Falle von Initiativen, die auf eine Ablösung des Dollar als Weltwährung hinzielen, eine dramatische US-Strafzollverhängung.
Erweiterte Mannschaft
Die Brics-Kernmannschaft wächst um eine arabisch-afrikanische Komponente. Mit von der Partie sind nun die Ölstaaten Vereinigten Arabische Emirate und Iran, sowie die bevölkerungsreichen Länder Ägypten und Äthiopien. Mit offiziellen Einladungen an Argentinien und Saudi-Arabien wurde zwar eigentlich eine Brics-11 angedacht, doch kommt noch keine Fußballtruppenstärke zustande. Die Saudis zieren sich in politischer Interessenabwägung beim förmlichen Beitritt. Argentinien hat unter einem neuen Präsidenten dankend abgelehnt. Dafür melden sich aus Südostasien Indonesien und Malaysia als potenzielle Neumitglieder an.
Agent des Globalen Südens
Wenn besonders wichtige Energieproduzenten und Schwellenländer mit hohem Konsumpotenzial in Richtung Brics gravitieren horcht man auf. Das spricht für die wachsende Wirtschaftsmacht einer Organisation, die sich der Dominanz der USA entgegenstellt und dabei als Agent des „Globalen Südens“ versteht. Der Begriff hat geographische Unschärfe und ist auch in der Abgrenzung eher schwammig. Man kann Lateinamerika, Afrika sowie Asien ex Japan und Korea in die Südachse einordnen, mit stark autokratisch geprägten Ländern als Tonangebern. Dem Trend verbunden fühlen sich das Ölkartell Opec, das Sicherheitsbündnis Shanghai Cooperation Organization (SCO), das Freihandelsarrangement Mercosur und die Afrikanische Union.
Ukraine? Na und?
Im Jahr 2008 aus der Taufe gehoben ist der Brics-Verbund nun zum Teenager gereift, der rasch an Muskelmasse zulegt. Er mangelt aber an zielgerichteter Kraftentfaltung und es besteht noch Gefahr auf schiefe Bahn zu geraten. Mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und dem Neumitglied Iran ist Brics in Augen vieler bereits eine unappetitlichere Gruppierung. Der internen Kohäsion schadet der Ukraine-Krieg aber kaum. Die Mitglieder sind aktive oder wenig verhohlene passive Unterstützer Russlands (Iran und China), langjährige Waffenlieferungsempfänger (Indien) oder aber Länder mit großer geographischer Distanz. Für diese handelt es sich um einen „regionalen Konflikt“, der ihre Interessen wenig berührt.
Umtriebiger Schirmherr
Insbesondere Peking geriert sich als Schirmherr des Globalen Südens und garniert dies mit altruistisch klingenden entwicklungspolitischen Bekenntnissen und bewährten Multipolaritäts-Floskeln. Die wahre Interessenlage ist eher „bipolar“ im Sinne einer Machtverlagerung weg von den USA und hin zu China. Der sonst drohfreudige geo- und industriepolitische Kraftprotz wählt den Hut des von Washington malträtierten und klein gehaltenen Schwellenlandes, das unter seinesgleichen Verbündete sucht. In dieser Rolle war China primärer Vorantreiber der Brics-Erweiterung. Indien hatte Vorbehalte dass eine erweiterte Brics noch mehr als Sprachrohr Chinas fungiert, Brasilien sorgte sich um das Image im Westen.
Freihandelszone geht nicht
Beide Länder lenkten letztlich ein, tragen aber wesentlich dazu bei, dass die Brics-Marke nicht ideologisch abdriftet, oder nach russischem Geschmack zur förmlichen Anti-West-Liga verkommt. Umgekehrt verhindern Indien und Brasilien aber auch, dass Brics als wirtschaftlicher Kooperationsmechanismus eine größere handelspolitische Dimension erlangt. Am „Next-Level-Schritt“ zu einer Freihandelszone, von der China überproportional profitieren würde, zeigt Indien keinerlei Interesse. Brasilien wiederum ist durch Einbindung in das Mercosur-Abkommen, formal daran gehindert in neue Arrangements abseits dieser Partnerländer zu treten.
Reform der Finanzarchitektur
Beim jüngsten Brics-Gipfel im russischen Kazan stand die Abschlusserklärung unter dem feierlichen Zeichen einer „Reform der internationalen Finanzarchitektur“. Angedacht ist ein alternatives grenzüberschreitendes Zahlungssystem, das den Ländern des Globalen Südens eine stärkere Verwendung ihrer lokalen Währungen bei der Handelsabwicklung ermöglicht. Dies gilt als Schutzmechanismus vor Wechselkursschocks und Reservewährungsknappheit, die aus der Dominanz des Dollar als Welthandelswährung resultieren. Kritiker stellen das Unterfangen freilich eher in die Ecke eines Schutzmechanismus für Schurkenstaaten, der Isolierung vor internationalen Sanktionsmechanismen ermöglicht. Dazu passt die von Russland enthusiastisch geförderte Idee der eigenen Brics-Währung.
Luftnummer Brics-Währung
Der Gedanke an ein Brics-Geld generiert Schlagzeilen zu wachsender Brics-Macht und intensiver Dollar-Verdrängung. Nach einhelliger Auffassung von Währungsexperten handelt es sich jedoch um eine Luftnummer ohne Realisierungschance. Das hat auch mit organisatorisch-strukturellen Schwächen des Verbunds zu tun. Die Brics-Agenda wird im System der jährlich rotierenden Präsidentschaft weitgehend vom Gipfel-Ausrichterland bestimmt. Das sorgt nicht gerade für Kontinuität und bietet keine Plattform für große Initiativen. Es mangelt auch an der klaren Fixierung von Zielen und erst recht an Mechanismen sie umzusetzen.
Strukturelle Mängel
Im Unterschied zur südostasiatischen Asean oder der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft Apec vermisst man bei Brics die permanente Koordination durch ein Generalsekretariat, das zu einer uniformen Agenda und ihrer Implementierung beiträgt. Es fehlen also geeignete Strukturen für Großtaten zur Gestaltung der multipolaren Weltordnung. Das heißt aber keineswegs Machtlosigkeit. Die Stärke des Brics-Formats liegt in engeren politischen Banden, neuen Partnerschaften und Interessenkoalitionen. Dies trägt effektiv dazu bei, von den USA etablierte Normen auf der Weltbühne in Frage zu stellen und aufzuweichen. Es ist ein langer und indirekter Weg. China geht ihn als Chance zur Einflussnahme auf die Global Governance besonders trittsicher an.
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