Der Countdown läuft
Die alljährlichen Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 haben am Montag turnusgemäß begonnen. Wie jedes Jahr um diese Zeit wurde der Fluss von russischem Gas Richtung Westeuropa via Nord Stream 1 dazu planmäßig abgedreht. Die Arbeiten sind wie in jedem Sommer seit der Inbetriebnahme der Pipeline 2011 für zehn Tage anberaumt. Hier enden allerdings die Gemeinsamkeiten mit den vergangenen Jahren. Denn vor dem Hintergrund des andauernden russischen Angriffs auf die Ukraine und dem parallel dazu geführten Wirtschaftskrieg, den Moskau mit einer Hand am Gashahn gegen den Westen betreibt, glauben nur wenige Beobachter, dass russisches Erdgas ab dem 21. Juli wieder wie vereinbart fließt.
Schon seit Wochen dreht der russische Präsident Wladimir Putin langsam den Gashahn zu und zieht damit die Daumenschrauben an, die sich allen voran Deutschland mit einer seit Eröffnung von Nord Stream 1 stark erhöhten Abhängigkeit von russischem Gas angelegt hat. Zuletzt flossen noch 40% der vereinbarten Gasmengen über Nord Stream 1 Richtung Westeuropa, weshalb die Bundesregierung Ende Juni die zweite Stufe im Notfallplan Gas aktiviert hat. Russland begründete die Drosselung mit dem Fehlen von Ersatzteilen, die für den Betrieb der Pipeline erforderlich sind. Dies sei eine Folge der Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat. Es würde niemanden überraschen, wenn der Kreml in den nächsten zehn Tagen ähnlich fadenscheinige Gründe entlang der gut 1200 Kilometer langen Pipeline findet, um die technische Wartung über die übliche Dauer hinaus zu verlängern.
Einen vorgeschobenen Grund für die zuletzt gedrosselten Lieferungen hat die Bundesregierung dem Kreml mit den erfolgreichen Bemühungen um den Rücktransport einer in Kanada gewarteten und für den Betrieb von Nord Stream 1 benötigten Siemens-Turbine nach Russland via Deutschland gerade aus der Hand geschlagen – wenn auch um den Preis, dass die russische Propaganda das als Schlag gegen die westlichen Sanktionen feiert. Doch weitere Gründe werden sich (er-)finden lassen.
Am Ende dürften ohnehin die Füllstände der deutschen Gasspeicher entscheiden, ob Moskau den Gasfluss versiegen lässt. Je geringer die Füllstände sind, desto größer ist die Hebelwirkung, die sich der Kreml von einem Lieferstopp erhoffen wird. Am Montag waren die Gasspeicher zu knapp 65% gefüllt. Der künftige Gasfluss durch Nord Stream 1 dürfte auch davon abhängen, ob dieser Wert in den nächsten zehn Tagen sinkt.